| # taz.de -- Kohlekraftwerke in der Ukraine: Wo Luftfilter die Ausnahme sind | |
| > Emissionen aus fossilen Anlagen in dem osteuropäischen Land machen an den | |
| > Grenzen nicht Halt. Trotzdem macht Kiew nichts, sagen Umweltverbände. | |
| Bild: Das Kraftwerk in Burschtyn, Ukraine | |
| Bovschiw/Burschtyn taz | Gackernde Hühner hüpfen über die ungeteerte | |
| Dorfstraße, irgendwo steht eine an einen Pfosten gebundene Kuh, müde Hunde | |
| liegen am Straßenrand. Ein Bächlein plätschert. In der 1.200 Einwohner | |
| starken Gemeinde Bovschiw [1][im westukrainischen Galizien] scheint die | |
| Welt in Ordnung zu sein. Was die meisten Bewohner des 32 Kilometer von der | |
| Metropole Iwano-Frankiwsk entfernten Dorfes nicht wissen: Das Wasser hier | |
| ist durch das nahe Kohlekraftwerk Burschtyn vergiftet. | |
| Beunruhigend findet das nur der 40-jährige Olexij Olijnik. 2019 hat der | |
| Mitinhaber eines lokalen Internetproviders seinen Brunnen untersuchen | |
| lassen. Das Gutachten des staatlichen Instituts für Arbeitsmedizin ergab, | |
| dass die [2][Cadmiumwerte mehr als das Vierfache über dem zulässigen | |
| Grenzwert] liegen. Seitdem holt sich Olijnik kein Wasser mehr von dort. | |
| Aber er ist gerne bereit, Journalisten und Umweltschützern aus dem fernen | |
| Kiew die hässliche Seite des größten Kohlekraftwerks der Ukraine zu zeigen: | |
| eine nur 500 Meter von seinem Haus entfernte Grube, die als Deponie für | |
| Asche- und Schlackemüll dient. „Was aus den Rohren rauskommt, direkt in | |
| diese Grube, enthält viel Chemie, Fäkalien, Reagenzien. Alles kommt | |
| ungefiltert zuerst in diese Grube, fließt dann an meiner Haustür vorbei in | |
| den Bach Hnyla Lypa“, sagt er. „Und der bringt das Wasser weiter in den | |
| Dnister, den Nationalpark Dnjestr und von dort knapp 50 Kilometer von | |
| Odessa entfernt in das Schwarze Meer.“ | |
| Am schlimmsten findet Olejnik, „dass niemand kontrolliert, was in diesem | |
| Werk passiert und was in diesem Abwasser alles drinnen ist“. Fünf Jahre | |
| lang hätten die Betreiber verhindert, dass die staatliche Umweltinspekteure | |
| die Anlage betreten – und als Strafe umgerechnet 20 Euro zahlen müssen. | |
| ## Groß und schmutzig | |
| Das Kohlekraftwerk Burschtyn gehört dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat | |
| Achmetow. Es gilt als das größte und gleichzeitig schmutzigste Kraftwerk | |
| der Ukraine. In den ersten acht Monaten 2021 ging knapp ein Drittel des | |
| produzierten Stroms nach Ungarn, Rumänien und die Slowakei, berichtet der | |
| betreibende DTEK-Konzern. Im gleichen Zeitraum 2020 war es sogar knapp die | |
| Hälfte. Das westukrainische Portal varianty.Iviv.ua wartet noch mit anderen | |
| Daten auf: 2018 habe das Kohlekraftwerk mit seinen 12 Blöcken und einer | |
| Kapazität von 2.400 MW insgesamt 183.000 Tonnen Schadstoffe in die Luft | |
| abgegeben. | |
| Überhaupt ist Luftverschmutzung mindestens ein so großes Problem wie die | |
| Kontamination von Wasser. Dabei hat die Ukraine im November 2017 einen | |
| Nationalen Plan zur Verringerung der Emissionen durch große | |
| Verbrennungsanlagen verabschiedet. Er soll dafür sorgen, dass | |
| Schwefeldioxid bis zum 31. Dezember 2033 um 95, Stickoxide um 72 und | |
| Feinstaubemissionen um 97 Prozent reduziert werden. | |
| ## Besserung gar nicht erst versucht | |
| Doch die Umsetzung ist teuer. Allein 2024 und 2025 werde mehr als eine | |
| Milliarde Euro benötigt, berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur | |
| Interfax. Und weil dieses Geld angeblich nicht da ist, versucht die | |
| Regierung bereits, den Zeitraum um fünf Jahre bis 2038 zu verlängern. | |
| Die Umweltorganisation Save Dnipro beklagt, dass die Ukraine seit 2014 auch | |
| keine Schritte mehr unternommen habe, die Industrieemissionsrichtlinie | |
| 2010/75/EU umzusetzen, mit der die EU die Umweltverschmutzung durch | |
| Industrieanlagen vermindern will. In ukrainischen Kohlekraftwerken würde | |
| ausschließlich Ruß rausgefiltert. Alle anderen Stoffe gingen ungehindert in | |
| die Umwelt. | |
| Konkrete Zahlen nennt die Organisation Ökodia. Sie zitiert eine | |
| [3][Untersuchung des Think Tanks Ember,] nach der 72 Prozent der Flugasche, | |
| 27 Prozent des Schwefeldioxids und 16 Prozent aller Emissionen überhaupt in | |
| Europa aus der Ukraine stammen. Die Experten des Center for Research on | |
| Energy and Clean Air kommen in einer weiteren Untersuchung zu dem Schluss, | |
| dass [4][giftige Emissionen aus ukrainischen Kohlekraftwerken 2019 1.315 | |
| Menschen in den EU-Mitgliedstaaten und 2.690 Menschen in der Ukraine das | |
| Leben gekostet] haben könnten. Insgesamt setzten diese Anlagen etwa 8,7 | |
| Millionen Menschen einer Luftverschmutzung aus, die nicht den | |
| Luftqualitätsrichtlinien der Weltgesundheitsorganisation entspricht. | |
| 23 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtsradikale-in-der-Ukraine/!5769181 | |
| [2] /Archiv-Suche/!5792738&s=cadmium&SuchRahmen=Print/ | |
| [3] https://www.epravda.com.ua/news/2021/05/25/674216/ | |
| [4] https://en.ecoaction.org.ua/emissions-likely-have-killed-1315-eu-people-and… | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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