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# taz.de -- Nach VW-Blockade: Fotograf vor Gericht
> Nach einer Protestaktion gegen VW ermittelt die Polizei gegen einen
> Fotografen. Am Montag beginnt der Prozess.
Bild: Umweltschutzaktivisten blockieren einen Güterzug mit Neuwagen von VW
Hamburg taz | Wer die Worte „VW“ und „Numrich“ zusammen googelt, bekommt
als ersten Treffer einen [1][taz-Artikel zu einer Klima-Protestaktion gegen
VW] mit einem Foto des Fotografen Pay Numrich angezeigt. Doch so weit kam
die Polizei in ihren Ermittlungen offenbar nicht.
Der Beschuldigte in dem Ermittlungsverfahren ist der freie Flensburger
Fotograf Numrich selbst. Im August 2019 hatte er [2][eine Aktion von
Klimaaktivist*innen] journalistisch begleitet, bei der rund 80
Personen einen Zug blockierten, der kurz zuvor das VW-Werk voll beladen mit
Autos verlassen hatte. „Die Produktion eines jeden Autos verursacht Schäden
in der Umwelt“, erklärte die „[3][Aktion Autofrei]“ damals und forderte,
Autos abzuschaffen. Zehn Personen ketteten sich an die Gleise, Numrich
fotografierte die Aktion. Die Wolfsburger Polizei nahm 27 Personen wegen
des Verdachts der Nötigung in Gewahrsam, konnte sie jedoch zum größten Teil
nicht identifizieren.
Fast ein halbes Jahr später bekommt Numrich Post von der Polizei: eine
Vorladung als Beschuldigter. Die Vorwürfe: gefährlicher Eingriff in den
Bahnverkehr, Landfriedensbruch, Nötigung. Die Polizist*innen wollen ihn
anhand eines Bildabgleichs als Täter identifiziert haben. Numrich kommt der
Vorladung nicht nach. Wieder ein halbes Jahr später erreicht ihn ein
Strafbefehl über 600 Euro. Der Journalist legt Widerspruch ein.
Aber wie kam die Polizei überhaupt auf ihn? Vor Ort hatten die
Beamt*innen seine Daten nicht aufgenommen, weil er für jeden erkennbar
als Journalist da gewesen war. Allerdings beschlagnahmte die Polizei bei
der Festnahme der Aktivist*innen einige Handys. Darin fanden sich die
Telefonnummern des Journalisten.
Eine Abfrage beim Telefonanbieter Telefonica ergab Numrichs Personalien,
wie aus der Akte hervorgeht. Noch eine weitere Telefonnummer aus einem der
sichergestellten Handys konnten die Ermittler*innen einer Person
zuordnen: Hanna Poddig, ebenfalls freie Journalistin. Sie verkaufte später
ein Foto der Aktion an die Tageszeitung Neues Deutschland. Auch sie bekam
eine Vorladung als Beschuldigte.
## Recherche im Internet
Die Beamt*innen recherchierten zu Poddig und Numrich und bekamen einiges
zusammen. „Eine Internetrecherche ergab, dass Numrich auf diversen
links-motivierten Internetseiten/Blogs als Schreiber und Fotograf
auftritt“, steht im Identifizierungsvermerk der Akte. Des Weiteren sei
Numrichs Anschrift identisch mit der des Sportvereins „Roter Stern
Flensburg“ und der Beschuldigte selbst dort aktiv. Über den Sportverein
wissen die Ermittler*innen: „Er beschreibt sich selbst als Alternativen
Sportverein.“ Auf dessen Homepage seien Bilder von Personen, auf denen
Gesichter zu erkennen seien, „szenetypisch unkenntlich gemacht“.
Allerdings verleitet die festgestellte Tätigkeit als „Schreiber/Fotograf“
die Ermittler*innen offenbar nicht dazu, anzunehmen, Numrich sei als
Journalist bei der VW-Blockade gewesen, in der Akte taucht die
Berufsbezeichnung nicht auf. Numrich sagt: „Die Polizei hat zu keinem
Zeitpunkt entlastend ermittelt. Offenbar stand von Anfang an fest, dass ich
schuldig sein soll.“ Auf einem pixeligen Schwarzweißbild von zwei
Aktivist*innen, die auf den Schienen am blockierten VW-Zug stehen, meint
die Polizei, Numrich und Poddig identifizieren zu können.
Die Intervention eines Flensburger Beamten des Staatsschutzes führt nach
einigen Monaten dazu, dass das Verfahren gegen Poddig eingestellt wird. Das
sehe doch ein Blinder, dass sie nicht die Person auf dem Foto sein könne,
habe er sinngemäß gesagt, berichtet Numrich. Poddig ist vorbestraft, die
Polizei kennt sie, und das kommt ihr in diesem Fall zugute. Bei Numrich ist
das nicht so, über ihn hat die Polizei noch nie etwas vermerkt.
Am Montag soll es in Wolfsburg nun zur Gerichtsverhandlung kommen. Numrich
will sich selbst verteidigen. Zwar findet er die Ermittlungen „ultra
absurd“. Gleichzeitig ist er sich sicher, dass er kein Einzelfall ist. „Es
ist leider ein klassisches Problem der Ermittlungsbehörden, dass der Täter
von vornherein feststeht“, sagt Numrich. Offensichtliche Fragen blendeten
die Ermittler*innen aus, weil es nur noch darum ginge, den
vermeintlichen Täter zu belasten. „Es reicht dann, jemandem eine linke
Gesinnung zuzuschreiben, und der soll es dann gewesen sein“, so der
Journalist.
## Angeklagter sieht Pressefreiheit in Gefahr
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, ist es ihm wichtig, die
Verhandlung zu führen – eine Einstellung wegen Geringfügigkeit lehnte er
ab. Nicht nur, weil es ihm um Gerechtigkeit geht, auch die Pressefreiheit
sieht Numrich durch ein solches Vorgehen der Behörden in Gefahr. „Wenn
Journalist*innen zum Ziel von Ermittlungen werden, weil sie in Kontakt
mit Aktivist*innen stehen, könnte das dazu führen, dass sie über
bestimmte Themen gar nicht erst berichten, um sich selbst zu schützen“,
sagt er.
Numrich ist optimistisch, am Montag einen Freispruch zu erzielen. Für seine
weitere Arbeit als Journalist könnte das ziemlich wichtig sein, auch
deshalb hat er sich gegen die Einstellung des Verfahrens gewehrt. Denn das
hätte wahrscheinlich bedeutet, dass er in den Polizeiakten als
linkspolitisch motivierter Straftäter geführt wird. Das wiederum würde
seine journalistische Tätigkeit einschränken. Allerdings sagt Numrich auch:
„Falls es dafür nach diesen Ermittlungen nicht ohnehin zu spät ist.“
19 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Protest
Schwerpunkt Klimawandel
GNS
Autoindustrie
IAA
Verkehrswende
Klima
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