| # taz.de -- Tierquälerei im Sport: Arme Säue überall | |
| > Nach dem umstrittenen Olympia-Ritt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen | |
| > Reiterin Annika Schleu. Gut so. Doch es wird nicht genug verändern. | |
| Bild: Das Pferd von Annika Schleu bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio | |
| Die Fünfkämpferin Annika Schleu, so viel Tiermetapher darf bei dem Thema | |
| erlaubt sein, ist derzeit eine arme Sau. Die Olympionikin, die nach | |
| aussichtsreichem Wettkampf beim Reiten in Tokio null Punkte holte, weil das | |
| ihr zugeloste Pferd nicht springen mochte, und auf das Tier eindrosch („Hau | |
| drauf, hau mal richtig drauf“, so berühmtermaßen Bundestrainerin Kim | |
| Raisner), wurde erst im Internet ob ihrer Tränen verhöhnt, dann wochenlang | |
| als Tierquälerin beschimpft und bedroht. Eine bis dahin kaum beachtete | |
| Randsportlerin, eine ganze Karriere reduziert auf eine fatale Entscheidung | |
| unter hohem Druck, eine Laufbahn zerstört durch ein Meme. Viele der neu | |
| entdeckten PferdefreundInnen hatten für diesen Teil der Tragödie wenig | |
| Empathie. | |
| Der Zeit [1][sagte Schleu über den Hass]: „Es ist sehr schwer, sich davon | |
| zu erholen.“ Eine Gesellschaft, die völlig selbstverständlich ihre Wurstel | |
| aus qualvoll lebenden Schweinen in winzigen Ställen kauft, kann es nicht | |
| ertragen, ihre eigenen Überlegenheitsfantasien im Fernsehen zu sehen. Nun | |
| ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Sportlerin und Trainerin | |
| wegen Tierquälerei. Das ist prinzipiell sinnvoll. Aber es reicht nicht, um | |
| Grundlegendes zu verändern. | |
| Die Debatte war schon einmal weiter. Da nämlich, als es [2][über Sinn und | |
| Unsinn von Pferden im olympischen Sport] ging. Der Fünfkampfverband war | |
| schnell dabei, Schleu und Raisner eine Individualschuld zuzuschreiben; | |
| menschliches Versagen ist bequemer als Systemdebatten. Im Fünfkampf wird | |
| den SportlerInnen ein Tier zugelost, das sie nicht kennen. Allein diese | |
| Praxis ist völlig verantwortungslos, sie widerspricht jedem Ethos von | |
| persönlicher Beziehung zwischen Mensch und Tier. | |
| Würde jemand dem Tischtennisspieler Timo Boll zwanzig Minuten vor Beginn | |
| des Doppels einen Partner zulosen, mit dem er nie gespielt hat, und sich | |
| dann wundern, wenn die beiden frustriert aufeinander losgehen? Ganz | |
| unabhängig davon: Die AllesmacherInnen vom Fünfkampf, die oft eben keine | |
| spezialisierten ReiterInnen sind, in einer Stresssituation auf Tiere | |
| loszulassen, ist völlig idiotisch. Reiten gehört nicht in den Fünfkampf. | |
| ## Sport, der quält | |
| Das alles ist bei etwas Nachdenken relativ offensichtlich. Und doch sind da | |
| die anderen „Disziplinen“, die die Tiere im Leistungssport zu erfüllen | |
| haben. „Pferde zu zwingen, über derart hohe Hindernisse zu springen, | |
| entspricht in keiner Weise den natürlichen Bewegungsabläufen dieser Tiere“, | |
| stellt die Tierschutzorganisation Peta etwa in Bezug aufs Springreiten | |
| fest. Schwere Verletzungen seien häufig, außerdem Tierquälerei wie das | |
| Blistern, bei dem eine chemische Substanz den Pferden starke Schmerzen | |
| verursacht, sobald sie die Stangen berühren. Besonders notorisch gar für | |
| Todesfälle sind Disziplinen wie das Vielseitigkeitsreiten (ehemals | |
| treffender: Military) und der Rennsport. | |
| Es ist Ausdruck eines tieferen Skandals. Der heutige Sport, der Leistung | |
| als Körperleistung definiert, quält an der Spitze zwangsläufig. Er quält | |
| Menschen wie Tiere. Wie oft mag Annika Schleu ihren Körper gequält haben, | |
| um zu Olympia zu gelangen, was nimmt sie dafür in Kauf? | |
| Olympia-TeilnehmerInnen, zeigte jüngst eine Studie, sterben früher als die | |
| Normalbevölkerung. Und SiegerInnen sterben früher als bloße | |
| TeilnehmerInnen. Wo eigener Schmerz nicht zählt, zählt auch nicht der | |
| Schmerz anderer. Auch nicht jener der Pferde. | |
| Es ist gewiss jedes Menschen persönliche Entscheidung, sich für den süßen | |
| Saft des Sieges in ein frühes Grab zu sporteln. Das kann man machen oder | |
| lassen. Pferde aber haben sich nie freiwillig dazu entschieden, diese | |
| Tortur aus Reisen, Training, Doping mitzumachen. Sie gehören nicht in den | |
| Sport, jedenfalls nicht in diesen. Aber vielleicht in einen anderen. Einen, | |
| wo für andere Dinge applaudiert wird. Wir sind, wofür wir klatschen. Wie | |
| könnte ein Sport aussehen, der das bedenkt? | |
| ## Der Wille fehlt | |
| Organisationen wie Peta schelten gern das gesamte Reiten als Zwang, [3][als | |
| schädlich und unnatürlich], aber es macht natürlich für das Pferd einen | |
| Unterschied, ob man Rennsport betreibt oder im Schritt einen für das Pferd | |
| spannenden und schönen Ausritt im Wald macht. Oder Beziehungsarbeit macht. | |
| Das kann doppelt bereichern, für Menschen mit Behinderung oder psychischen | |
| Problemen etwa können Reittherapien eine große Hilfe sein. Und unnatürlich? | |
| Nun ja, ein Hundeparcours ist auch nicht gerade die natürliche | |
| Beschäftigungsform des Wolfs gewesen, Katzen saßen nicht immer auf dem | |
| Sofa. Die essenzielle Frage ist eher: Macht es dem Tier Spaß? Kann es | |
| selbst mit entscheiden? | |
| Es fehlt gerade im Sport am Willen, das überhaupt herausfinden. In die | |
| Forschung über Wohlbefinden und Spaß aller zu investieren, so wie gerade an | |
| der körperlichen Leistung geforscht wird. Dafür muss sich der Sport selbst | |
| verändern. | |
| Der Fall Annika Schleu zeigt vor allem eines: Die aktuelle Gesellschaft ist | |
| eine, die sowohl ihre Tiere als auch ihre Menschen wie arme Säue behandelt. | |
| Natürlich kann man anders Sport treiben. Man könnte die als SiegerInnen | |
| auszeichnen, deren Tieren es nach dem Sport besonders gut geht. Oder die, | |
| die eine besonders enge Beziehung zwischen Mensch und Pferd aufgebaut | |
| haben. Oder die, die Spiele erfinden, die beiden Spaß machen, Pferden und | |
| SportlerInnen. | |
| ## Alternative Olympiaden | |
| Das ist nicht schwer, ist aber nicht gewollt. Und wenn sich herausstellen | |
| sollte, dass dem Pferd nichts am Reiten Spaß macht, dann muss man halt | |
| runter vom Gaul. Sehr viele andere Olympiaden wären möglich: etwa eine | |
| nicht der Körperleistung, sondern des Glücks, wo alle möglichst zufrieden | |
| rausgehen sollen. | |
| Von einem müsste sie sich verabschieden: von objektivem, fairem Wettbewerb. | |
| Aus Wohlbefinden kann man nur schwer ein neutrales Siegertreppchen | |
| erstellen. Aber den objektiven, fairen Wettbewerb, gab es den je? Annika | |
| Schleu würde wohl sagen: auf einem Pferd antreten zu müssen, das Angst hat, | |
| war auch kein fairer Wettbewerb. | |
| 6 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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