| # taz.de -- Übersehener Rassismus: „Naja, aber er ist nicht PoC“ | |
| > Wenn Ost- und Südostasiat:innen nicht als PoC gelesen werden, spricht | |
| > man ihnen ihre Rassismuserfahrungen ab. | |
| Bild: Von wegen zurückhaltend und gehorsam – Asiat:innen haben die Schnauze … | |
| Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der | |
| taz Panter-Stiftung. | |
| Wir sitzen mal wieder im Wahlcamp im Kreis und überlegen, welche spannenden | |
| Interviewpersonen als Nächstes in unsere Texte aufgenommen werden sollen, | |
| bevorzugt PoC, als der Name Quang Paasch fällt. Ein Blick auf seinen | |
| Instagramaccount verrät mir, dass er jung, aktivistisch und dynamisch ist. | |
| Ich will Zustimmung einbringen, als plötzlich in der Runde der Satz fällt: | |
| „Naja, aber er ist nicht PoC“. | |
| Irgendwie überrascht mich dieser Satz nicht, trotzdem reagiere ich | |
| automatisch gereizt. Ein Blick auf Paaschs Foto genügt, um zu sehen, dass | |
| er asiatisch gelesen ist. Im Internet lese ich, dass seine Eltern aus | |
| Vietnam kommen. Daher ist mein erster Impuls, zu sagen: Natürlich ist Quang | |
| Paasch PoC. | |
| Aber mein Impuls ist übergriffig. Denn PoC ist eine Eigenbezeichnung, und | |
| in der Abwesenheit von Paasch über seine Bezeichnung zu diskutieren, | |
| ignoriert seinen Willen, selbst bestimmen zu dürfen, wie er wahrgenommen | |
| und gelesen werden möchte. Nicht jede Person ist d'accord mit dem Term | |
| „PoC“. | |
| Trotzdem möchte ich als Japanerin auch erklären, warum ich allergisch | |
| reagiere, wenn Ost- und Südostasiat:innen nicht als PoC gesehen werden. | |
| ## Vereint in unangenehmen Erfahrungen | |
| Der Begriff PoC kommt aus dem Englischen und steht für die Abkürzung | |
| Person/People of Color. Wie viele andere auch, dachte ich lange Zeit, dass | |
| der Begriff PoC Schwarzen vorbehalten sei. Dem ist aber nicht so. Für | |
| spezifische Erfahrungen von schwarzen und indigenen Menschen gibt es den | |
| Begriff BIPoC. Als PoC hingegen kann sich jede Person bezeichnen, die in | |
| einer Mehrheitsgesellschaft Rassismus und Ausgrenzung erlebt hat. | |
| Zunehmend häufiger werden in der westlichen medialen Berichterstattung | |
| Rassismus und rassistische Strukturen gegenüber Schwarzen thematisiert. Und | |
| das ist auch gut so. Medien und die Unterhaltungsbranche sorgen noch immer | |
| dafür, dass Schwarze, Lateinamerikaner:innen und Westasiat:innen | |
| als potenzielle Bedrohung und Gefahr dargestellt werden. | |
| Demgegenüber werden Ost- und Südostasiat:innen als brave | |
| Vorzeigebeispiele präsentiert. Ihnen wird häufig die elitäre, strebsame und | |
| akademische Charaktereigenschaft zugeschrieben. Die Herkunftsnationen | |
| gelten auch aufgrund von popkulturellem und kulinarischem Hype als | |
| exotische und aufregende Reiseziele. In den meisten Fällen sind es | |
| Positivbeispiele, die mit diesen Herkunftsländern und somit den Menschen | |
| verknüpft werden. | |
| Diese in westlichen Nationen stark ausgeprägte Wahrnehmung gegenüber Ost- | |
| und Südostasiat:innen wird in der englischen Sprache als Model Minority | |
| Myth bezeichnet. Dieser Mythos des strebsamen Musterschülers ist toxisch | |
| für Betroffene, da ihnen ein Image aufgedrückt wird, dem sie nicht | |
| entsprechen wollen oder können. Gleichzeitig weckt dieses Image von | |
| Asiat:innen den Eindruck, dass sie weniger von Rassismus betroffen seien | |
| als andere, da es ihnen „gut ginge“. Dabei ist Rassismus auch für sie | |
| Alltag, er wird bloß übersehen. | |
| ## Eine Welle von Hass | |
| Im Frühjahr 2020, als die ersten Coronafälle bekannt wurden, häuften sich | |
| Sätze von weißen Menschen wie „Keine WG-Besichtigung für Asiaten“. | |
| Europäische Zeitungen betitelten die Coronapandemie als „Gelbe Gefahr“, | |
| asiatisch gelesene Menschen wurden angegriffen, beschimpft und ihnen wurde | |
| die Aufnahmeprüfung zu einer [1][Berliner Musikhochschule] verweigert. Die | |
| Medien verstärkten den rassistischen Effekt, indem sie bei der Bildauswahl | |
| zu Berichterstattungen über das Coronavirus Bilder von Ostasiat:innen | |
| verwendeten. | |
| Um diesem entgegenzuwirken, mussten Initiativen wie #IchBinKeinVirus ins | |
| Leben gerufen werden, die Hilfe für Betroffene und Aufklärungsarbeit | |
| leisteten. Die Gründer:innen wiederum waren sehr viel Hass und | |
| Beleidigung im Netz ausgesetzt, weshalb die Initiative beschloss, das | |
| Projekt vorerst zu beenden. | |
| Als sei der Rassismus, dem diese Menschen ausgesetzt sind, nicht | |
| problematisch genug, findet das Thema in der Mainstream-Medienlandschaft | |
| kaum Beachtung. Dabei hat der Hass gegenüber Ost- und Südostasiat:innen | |
| nicht erst mit der Coronapandemie begonnen, sondern fand auch schon vorher | |
| statt. Die europäische Bezeichnung der „Gelben Gefahr“ gibt es seit Ende | |
| des 19. Jahrhunderts. | |
| Der rassistische Angriff in Hamburg-Billbrook blieb lange Zeit unsichtbar | |
| und stand nie im Mittelpunkt, bis sich einzelne Journalist:innen diesem | |
| Thema annahmen, Podcasts und Artikel schrieben und darauf aufmerksam | |
| machten. Rostock-Lichtenhagen hingegen ist bekannter, aber nicht jede:r | |
| weiß, gegen wen es sich gerichtet hat. | |
| Die Rede ist von Angriffen auf Geflüchtetenheime, rassistische | |
| Polizeigewalt und Mord. Und selbst, wenn die Fälle nicht medial | |
| aufgegriffen werden, sind Ost- und Südostasiat:innen stets | |
| Beleidigungen, Beschimpfungen und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, | |
| begonnen in der Schule. | |
| ## Empörung bleibt aus | |
| Trotzdem interessiert das alles kaum jemanden. Während Protestbewegungen zu | |
| Black Lives Matter auch hierzulande in Form von Demonstrationen und | |
| Plakaten Wellen schlugen, blieb im Frühjahr dieses Jahres die Empörung über | |
| den Vorfall von Atlanta aus. Das rassistische und stereotypisierende Motiv | |
| des Täters, also der gezielte Mord an asiatischen Frauen, wurde zunächst | |
| sogar in Frage gestellt. | |
| Warum? All das ist darauf zurückzuführen, dass der Mythos hartnäckig | |
| erhalten bleibt, Asiat:innen „ginge es ja gut“, ergo, sie „können nicht | |
| von Rassismus betroffen sein“. Aber dieser Umgang hat Konsequenzen. | |
| Es führt dazu, dass Menschen mit ihren Rassismus- und | |
| Diskriminierungserfahrungen alleine bleiben und sich zum Beispiel auch | |
| nicht trauen, den Begriff PoC für sich zu beanspruchen. Oder dass weiße | |
| Menschen ankommen und Sätze fallen lassen können wie „Person XYZ ist keine | |
| PoC“ – weil mit PoC andere Diskriminierungserfahrungen verbunden werden und | |
| die Diskriminierungen von Ost- und Südostasiat:innen nicht | |
| „ausreichend“ sind. | |
| Möchten wir wirklich einen respektvollen Umgang miteinander pflegen, wird | |
| es Zeit, den Rassismus wahrzunehmen, den Ost- und Südostasiat:innen | |
| erfahren. Es wird Zeit, dass Worte wie „Schl**auge“, „Chin***“ oder „… | |
| nicht mehr in den Mund genommen und Witze über Augen, Penisse, andere | |
| Körperteile oder sprachliche Akzente scharf angegangen werden. Die | |
| hartnäckige Stereotypisierung der Geschlechter – Frauen als exotisch, | |
| erotisch und unterwürfig, Männer als nerdig, karrieregeil oder | |
| Kampfsportler – müssen aufgebrochen werden. Asiat:innen müssen endlich | |
| mitgezählt und mitgedacht werden, wenn von PoC die Rede ist. | |
| 9 Sep 2021 | |
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| [1] https://bzi-bundesintegrationsrat.de/rassismus-in-der-corona-krise/ | |
| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
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