# taz.de -- Nach dem Messerangriff in Neuseeland: Kritik an lückenhaften Geset… | |
> Der Attentäter wurde überwacht, trotzdem konnte er auf mehrere Menschen | |
> losgehen. Premier Ardern macht die schwachen Gesetze verantwortlich. | |
Bild: „Frustrierender Prozess“: Regierungschefin Jacinda Ardern über die T… | |
CANBERRA taz | Das sonst für Harmonie und friedliches Zusammenleben | |
bekannte Neuseeland ist nach dem [1][islamistisch motivierten Terrorangriff | |
vom Freitag] im Schock. Der 32-jährige Attentäter hatte in einem | |
Einkaufszentrum in Auckland ein Messer aus dem Regal genommen und damit auf | |
Passanten eingestochen. | |
Zwei Minuten später wurde der aus Sri Lanka stammende tamilische Muslim von | |
Polizeibeamten erschossen, die ihn überwacht hatten. Bei der Tat wurden | |
sieben Menschen verletzt, fünf davon mit Stichwunden. Drei der Opfer | |
befanden sich am Wochenende mit zum Teil lebensbedrohlichen Verletzungen im | |
Krankenhaus. | |
Die Attacke war der zweite Terrorangriff in Neuseeland in zweieinhalb | |
Jahren. 2019 hatte ein rechtsextremer Australier in zwei Moscheen der Stadt | |
[2][Christchurch 51 Muslime beim Beten erschossen]. Als Folge dieses | |
Massakers liegen im Parlament Gesetzesänderungen zur Verabschiedung, die | |
auch die Vorbereitung einer terroristischen Tat unter Strafe stellen würde. | |
Das ist bisher nicht der Fall – im Gegensatz etwa zum Nachbarland | |
Australien. Dort droht für die Vorbereitung einer terroristischen Straftat | |
eine lebenslange Haftstrafe. | |
Der Attentäter, dessen Name von der neuseeländischen Regierung offiziell | |
nicht genannt wird, scheint von der schwachen Gesetzeslage profitiert zu | |
haben. Der damals 22-Jährige war 2011 mit einem Studentenvisum aus Sri | |
Lanka nach Neuseeland gekommen. Kurz nach Ankunft beantragte er Asyl – | |
zunächst erfolglos. Nach einem Berufungsverfahren gelang es ihm doch noch, | |
den Flüchtlingsstatus zu erhalten. | |
## Rund um die Uhr bewacht | |
2016 wurde der Geheimdienst auf den Mann aufmerksam, nachdem er sich in | |
sozialen Medien begeistert über terroristische Anschläge geäußert hatte. Im | |
Mai 2017 wurde er am Flughafen Auckland verhaftet. Die Polizei vermutete | |
damals, dass er auf dem Weg nach Syrien war, um sich dem „Islamischen | |
Staat“ (IS) anzuschließen. In seiner Wohnung fanden Beamte | |
Propagandamaterial der Terrororganisation und ein Jagdmesser. Der Mann kam | |
auf Kaution frei, wurde später aber verhaftet, weil er sich ein Messer | |
gekauft und erneut extremistisches Material besessen hatte. | |
2021 wurde er schließlich der Propaganda für IS für schuldig befunden und | |
im Juli zu einem Jahr Überwachung verurteilt. Die Behörden glaubten zwar, | |
dass er einen Terroranschlag vorbereitete, konnten aber wegen der schwachen | |
Gesetzeslage nicht eingreifen. Zum Zeitpunkt der Tat war der Mann rund um | |
die Uhr von einem Team von 30 Beamten überwacht worden. | |
Von Kritikern als besonders bedenklich eingestuft wird die Tatsache, dass | |
dem Attentäter bereits 2019 der Status als Flüchtling abgesprochen worden | |
war und er einen Abschiebungsbescheid erhalten hatte. Der Tamile habe | |
seinen Antrag auf Schutz mit „betrügerischen Mitteln“ gestellt, so | |
[3][Premierministerin Jacinda Ardern], ohne Einzelheiten zu nennen. | |
Die sofortige Abschiebung aus Neuseeland war jedoch wegen laufender | |
Verhandlungen nicht möglich gewesen. Die Behörden konnten den Mann auch | |
nicht präventiv in Haft nehmen. Laut neuseeländischem Einwanderungsgesetz | |
ist die Festnahme nur im Vorfeld einer Deportation erlaubt. Doch selbst die | |
Ausweisung war keine Option: Er hatte geltend gemacht, in seiner Heimat Sri | |
Lanka drohe ihm wegen seiner politischen Aktivitäten „Verfolgung und | |
Folter“. Deshalb habe er nach neuseeländischem Recht als „geschützte | |
Person“ gegolten, so Ardern. | |
Die Regierungschefin sprach am Wochenende von einem „frustrierenden | |
Prozess“. Sie habe noch im Juli mit Offiziellen über den Fall gesprochen | |
und „meine Sorge darüber geäußert, dass das Gesetz jemandem erlauben kann, | |
hier zu bleiben, der seinen Immigrationsstatus auf betrügerische Weise | |
erworben hat und eine Gefahr für die nationale Sicherheit ist“. Die | |
Regierung hofft, noch im Verlauf dieses Monats entsprechende Lücken im | |
Gesetz schließen zu können. | |
5 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Messerangriff-in-Neuseeland/!5798935 | |
[2] /Untersuchung-in-Neuseeland/!5737006 | |
[3] /Neuseelands-Premierministerin-Ardern/!5720045 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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