# taz.de -- Russland nach der Duma-Wahl: Kritische Stimme im System Putin | |
> Die Partei „Neue Leute“ schafft den Sprung in die Duma. Dort will sie | |
> Politik für die Regionen machen. Als Gegnerin des Kreml sieht sie sich | |
> nicht. | |
Bild: Ein Mann der Grautöne: der Gründer der Partei „Neue Leute“, Alexei … | |
MOSKAU taz | Sie reden von der Besonderheit jedes einzelnen Menschen, | |
setzen sich für Wahlfreiheit ein und haben Russlands sogenannter | |
außerparlamentarischer Opposition angeboten, deren Vorschläge in die Duma | |
zu tragen. Das russische Parlament ist nicht dafür bekannt, sich die Sorgen | |
und Nöte der außerparlamentarischen Opposition – vor allem Liberale und | |
auch Anhänger*innen des inhaftierten Alexei Nawalny – auch nur in | |
Ansätzen anzuhören. Russlands junge Partei „Neue Leute“ (Nowyje Ljudi) gi… | |
sich als kritische Stimme innerhalb des Systems. Sie sind die Quasi-Realos | |
im russischen Autoritarismus. | |
Vorläufig 13 Sitze hat die Partei in der Duma. Das ist nicht viel im | |
Vergleich zu [1][der Zweidrittelmehrheit samt 324 Sitzen der | |
präsidentiellen Machtbasis von „Einiges Russland“]. Doch mit den „Neuen | |
Leuten“ sitzt nach bald 20 Jahren wieder eine fünfte Partei in der Duma. | |
„Ein interessantes Experiment“ nennen es russische Politolog*innen und | |
sehen den Erfolg der Neuen in der erfolgreichen Vermarktung dieses „Neuen“. | |
Viele Wähler*innen seien ermüdet von den immer gleichen Gesichtern, den | |
immer gleichen Sprüchen der Kommunist*innen, den pseudoliberalen | |
Populist*innen um den Krakeeler Wladimir Schirinowski und dem | |
unscheinbaren Sergei Mironow mit seiner durch den nationalistischen Rebell | |
Sachar Prilepin erweiterten Partei „Gerechtes Russland“. | |
„Neue Leute“ streben explizit keinen Machtwechsel an, wollen nicht | |
aufmüpfig sein, sondern „einfach was tun“, wie sie sagen. Für den Kreml | |
sind sie ungefährlich, für so manche Wähler*innen eine Möglichkeit, auf | |
etwas anderes als das Altbekannte zu setzen, ohne viel zu riskieren. | |
## Schnelle Registrierung | |
Russlands Polittechnolog*innen sind geübt darin, neue Parteien zu | |
erschaffen. „Neue Leute“ entstanden im März 2020, kurz vor den | |
Regionalwahlen. In Windeseile schaffte es die Partei, sich zu registrieren. | |
Ein Prozess, der stutzig machte und den Neuen das Label einbrachte, ein | |
„Kreml-Projekt“ zu sein. | |
„In Russland gibt es entweder Putin oder Nawalny, ein Schwarz und Weiß“, | |
pflegt Alexei Netschajew, der Gründer der Partei, stets auf die Kritik zu | |
reagieren – und fordert: „Wir müssten die Grautöne anschauen.“ Er selbst | |
ist so ein Grauton, einer, der nach Veränderungen ruft, aber Mitglied in | |
der „Allrussischen Volksfront“ ist, einem Projekt des russischen | |
Präsidenten Wladimir Putin, in dem sich Unternehmen und Organisationen | |
zusammentun, um die Macht des Kremls zu stützen. | |
Mit seinem Kosmetikunternehmen „Faberlic“ hat Netschajew ein patriotisches | |
Nachrichtenprogramm bei Youtube erschaffen, das die Errungenschaften | |
Russlands preist. Und er hat an seine Seite eine der eigenwilligsten und | |
bekanntesten Politikerinnen des Landes geholt. | |
[2][Sardana Awxentjewa] war Bürgermeisterin in Jakutsk, der kältesten Stadt | |
der Welt im Osten des Landes. Sie widersprach Putin, stimmte gegen dessen | |
Verfassungsreform. Jahrelang wehrte sie sich gegen die ihr nachgesagten | |
höheren politischen Ambitionen. | |
## Zurück in die Politik | |
Im Januar überließ sie ihren Posten anderen und erklärte das mit ihrem | |
Gesundheitszustand. Im April kehrte sie als Aushängeschild der „Neuen | |
Leute“ in die Politik zurück. Vor allem ihrer Mobilisierungskraft – auch in | |
den sozialen Medien – rechnet man den Erfolg der Neuen zu. | |
Die Partei positioniert sich als unternehmerfreundlich, setzt sich für eine | |
Steuerreform ein, fordert weniger Staatskontrollen der Wirtschaft und | |
kritisiert die Extremismusgesetze. Vor allem aber haben „Neue Leute“ die | |
Regionalpolitik im Blick. | |
Der Staat sehe in den Wähler*innen unvernünftige Kinder, erklärte der | |
Chef des Parteivorstandes. „Wir aber hören auf die Menschen, erzählen keine | |
Märchen und lullen die Leute nicht ein.“ Andrei Kolesnikow vom Moskauer | |
Carnegie-Zentrum nennt die Neuen eine „Imitationspartei“, um die liberale | |
Mittelklasse anzusprechen“. Als Gegnerin des Kremls sieht sich auch die | |
Partei selbst nicht an. | |
22 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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