# taz.de -- Problematische Namen von Kletterrouten: „Zyklon B“ zum Klettern | |
> Bei den Kletterern fallen immer mehr sexistische und rassistische Namen | |
> von Routen auf. Zudem häufen sich Nazibegriffe bei Kletterwegen. | |
Bild: Problematisch: Erstbegeher gehen teils mit ihrem Namensgebungsrecht diskr… | |
Allzu oft beginnen sportjournalistische Artikel nicht mit Triggerwarnungen, | |
dieser schon. Dabei handelt er von Namen, die Kletterrouten tragen. Aber | |
welche Namen! „Bimboland“ heißt im bayerischen Kochel am See ein kleineres | |
Klettergebiet. „Rape and Carnage“ (Vergewaltigung und Massaker) heißt eine | |
Kletterroute am Mount Arapiles im südlichen Australien, „Zyklon B“ eine | |
Tour im westnorwegischen Rogaland. Rassismus, Sexismus, offener | |
Rechtsextremismus – alles ist dabei. Die Liste mit, wie es dann oft heißt, | |
problematischen Namen umfasst weltweit etwa 2.000 Kletterrouten. | |
Für die meisten Routen sind nicht Organisationen wie Alpenverein oder | |
Naturfreunde zuständig, sondern es sind die jeweiligen Erstbegeher, die sie | |
an den Fels schreiben und von denen über 98 Prozent männlich sind. Einzig | |
in der Schweiz werden Routennamen vom Schweizer Alpen-Club (SAC) | |
publiziert, das verleiht ihnen etwas Amtliches. In Österreich und | |
Deutschland wie auch in den USA oder Australien hingegen gilt das nicht. | |
Hier werden die Routennamen popularisiert durch Kletterführer, die oft in | |
Kleinverlagen erscheinen. Zu diesen Büchern, in denen Lage, Schwierigkeit | |
und Besteigungshistorie beschrieben werden, gehört „Keltenkalk“, das gerade | |
in seiner vierten Auflage erscheint. Dort werden Kletterwege namens | |
„Riefenstahl“, „Festung Europa“ oder „Ewiges Reich“ vorgestellt. Dem | |
österreichischen [1][Standard] sagte Thomas Behm, einer der beiden Autoren | |
von „Keltenkalk“, all diese Routennamen seien „wie Danger Dan auf Youtube | |
zu sagen und zu singen pflegt: ‚Das ist alles von der Kunstfreiheit | |
gedeckt.‘ “ Dass Danger Dans Lied klar antifaschistisch ist, spielt in | |
Behms Antwort keine Rolle. Er sieht sich selbst vielmehr als Opfer einer | |
„Hetzkampagne“. | |
Kritik an Behm und den Namensgebungen, die er als Erstbegeher vorgenommen | |
hatte und als Buchautor popularisiert, gibt es schon [2][seit zehn, elf | |
Jahren]. Der Österreichische Alpenverein und die Naturfreunde, | |
Wanderorganisation der Arbeiterbewegung, wehren sich gegen Nazibegriffe in | |
den Alpen. Eine Kommission beschäftigt sich derzeit damit, wie man dagegen | |
vorgehen kann. | |
## „Banalisierung der Judenverfolgung“ | |
Vor allem dreht sich die Diskussion um die Person Thomas Behm, sagt Dieter | |
Schimanek von den österreichischen Naturfreunden. Der habe noch von früher | |
einen guten Ruf in der Szene als wichtiger Erschließer neuer Routen. Doch | |
in dem neuen Kletterführer fänden sich „vermehrt eindeutige Anspielungen“, | |
wesentlich mehr als vor zehn Jahren. Neu hinzugekommen sind Begriffe aus | |
dem neurechten Feindbildarsenal, etwa „Greta Dummberg“ oder | |
„Wirtschaftsflüchtling“. | |
Vor etwa zehn Jahren gab es auch [3][in Schweden] eine solche Diskussion | |
über Routen namens „Himmler“ oder „Drittes Reich“. Eine Historikerin, … | |
gern klettert, hatte dies in der Tageszeitung Dagens Nyheter als | |
„Banalisierung der Judenverfolgung“ öffentlich kritisiert. Aber sowohl der | |
schwedische Kletterverband als auch der Herausgeber eines Kletterführers | |
wollten die Kritik nicht verstehen. Die Historikerin solle das doch „mit | |
einer Prise Humor“ nehmen, hieß es. Der Herausgeber erzählte noch, er habe | |
eine selbst erkletterte Route einmal „Der kleine Hitler“ genannt, weil sie | |
besonders unangenehm sei. | |
In anderen Ländern wird die Diskussion anders geführt. In den USA etwa ist | |
vor einem Jahr Duane Raleigh als Verleger des Klettermagazins [4][Rock and | |
Ice] zurückgetreten, weil er als junger Mann einer Route N-Wort-Namen | |
gegeben hatte. „Wir waren Teil einer Kultur, die ich bedaure“, schreibt | |
Raleigh. Ihm sei nie bewusst gewesen, dass er als junger Kletterer | |
Privilegien genossen hatte, „die das nichtweiße Amerika nicht hat“. | |
Und in Australien hatte vor einem Jahr eine Kletterin in dem Portal | |
[5][Vertical Life] einen Artikel gegen sexistische, rassistische und | |
homophobe Routennamen verfasst. Daraufhin entschuldigte sich einer der | |
Angegriffenen – er war verantwortlich für „Flogging a Dead Faggot“ | |
(Auspeitschen einer toten Schwuchtel) – in der Kommentarspalte und | |
versprach, sich um eine Umbenennung zu kümmern. Die homophobe Gewalt sei | |
ihm vor 30 Jahren nicht bewusst gewesen, mittlerweile sehe er es anders – | |
„als ich letztes Jahr wieder in Arapiles war, wurde mir übel“. | |
Die Kletterszene lebt in weiten Teilen von ihrem Hippie-Ruf: unangepasste | |
Anarchos, die ihr Leben verbringen, indem sie sich an Felsblöcken und | |
-wänden ausprobieren – und Begriffe erfinden. | |
Die österreichische Linguistin Catharina Scharf hat für ihre 2014 | |
vorgelegte Dissertation Kletterrouten sprachwissenschaftlich analysiert. | |
Generell gelte, schreibt sie, dass die Kletterer eine Subkultur seien, für | |
die „gemeinsame Sprache ein wichtiges Medium dafür darstellt, sich von | |
anderen zu unterscheiden und gleichzeitig die In-Group zu stärken“. Auch | |
der „oft fast zwingend wirkende Drang zu Kreativität, Originalität und | |
Humor“ lasse sich aus der Szenementalität herleiten, so die | |
Wissenschaftlerin. | |
Wie das aussieht, hat ein badischer Kletterer seinem Verband, den | |
Naturfreunden, mitgeteilt, die ihre Mitglieder gebeten haben, | |
problematische Routennamen zu melden. Dort finden sich Namen wie „Weg der | |
neuen Generation“, „Spötterdämmerung“, „Try just a little bit harder�… | |
„Delikatesswandel“ und mittendrin ein „Negerpimmel“. Die Kletterer erz�… | |
sich relativierend, das sei ein mundartlicher Begriff für Schwarz- oder | |
Blutwurst. So schnell endet die Triggerwarnung nicht. | |
23 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.derstandard.at/story/2000129183956/wirtschaftsfluechtling-und-g… | |
[2] https://www.bergsteigen.com/news/neuigkeiten/klettertouren-namen-am-rechten… | |
[3] https://orf.at/v2/stories/2008618/2008617/ | |
[4] https://www.rockandice.com/climbing-news/an-apology-from-the-publisher/ | |
[5] https://www.verticallifemag.com.au/2020/06/route-names-another-perspective/ | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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