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# taz.de -- Über den Geist des Geschenks: Der Weg des Bogenschützen
> Mit der Geschenkekiste hat das Konzept „Ich bestelle mein Geschenk“ auch
> die Kinder erreicht. Dem Ethikrat fehlt die Zeit, sich darüber zu
> empören.
Bild: Der Ethikrat vervollkommnet sich selbst – und erlernt das Bogenschießen
Kürzlich traf ich eine Bekannte, die mir von den Geschenkekisten erzählte,
die jetzt bei Kindergeburtstagen üblich seien. Man packt in einem Laden
seiner Wahl Dinge in eine Kiste, die das Kind gern hätte, und dann können
die Eltern der eingeladenen Kinder etwas daraus kaufen und schenken. Ich
hatte noch nie davon gehört, doch es scheint, dass es ein gängiges Modell
des zeitgenössischen Geschenkemanagements ist. Die Bekannte hatte selbst
solch eine Kiste für ihren Sohn präpariert und erstaunlicherweise gelang es
mir, nahezu nichts dazu zu sagen.
Ein paar Tage später kam eines meiner Kinder mit einer Einladung nach
Hause, die auf eine Geschenkekiste verwies, und es gelang mir nicht, zu
schweigen. „Ein Geschenk ist kein Bestellauftrag“, sagte ich. „Ein Gesche…
zu bekommen, ist etwas, das sich der eigenen Kontrolle entzieht.“ Wenig
später brach das Kind mit seinem Vater auf, um etwas aus der Geschenkekiste
zu kaufen. Ich sah ihnen vom Balkon hinterher und als ich mich umdrehte,
entdeckte ich auf der Wiese gegenüber den Ethikrat. Der Ethikrat, das sind
drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich
[1][Handreichungen in Sachen praktischer Ethik geben].
Der Rat trug etwas Kimonorartiges und hatte riesige Bögen bei sich, der
Vorsitzende trug zudem eine hölzerne Zielscheibe. „Sie beschreiten neue
Wege“, rief ich. „Darf ich Ihnen zusehen?“ „Warum nicht“, rief der
Vorsitzende und nickte wohlwollend. Als ich zur Wiese kam, stand der
Vorsitzende vor den beiden Ratsmitgliedern, die in der Regel schwiegen.
„Die Ferse Ihres rechten Fußes muss in der gedachten Verlängerung der
großen Zehe Ihres linkes Fußes stehen“, sagte er. Die Ratsmitglieder
betrachteten ihn sorgenvoll und brachten ihre Füße in eine Position, die
wenig Linie erkennen ließ. „Sehen Sie hier“, sagte der Vorsitzende und
schlug ein vergilbtes Buch mit der Tuschezeichnung eines martialisch
wirkenden Schützen auf.
„Könnten wir nicht den Aspekt des Zielens vorziehen?“, schlug eines der
Ratsmitglieder vor. „Nein“, sagte der Vorsitzende streng. „Das widerspric…
dem Weg des Bogenschützen.“ Er reichte den Mitgliedern das vergilbte Buch.
„Hiermit können Sie das ikken naka sumi nachvollziehen.“ Die Ratsmitglieder
schwiegen verstockt.
## Eine Perversion der Idee des Schenkens
„Jetzt zu Ihnen“, sagte der Ratsvorsitzende. „Haben Sie ein philosophisch…
Anliegen, das Sie uns vorlegen möchten?“ „Nun“, sagte ich, wie immer
beschämt von der Banalität meiner Fragen. „Ich reibe mich am gegenwärtigen
Konzept des Schenkens, das nun auch die Kinder erreicht hat. Bislang war
es, dass man bei Hochzeiten eine Liste bekam, was man schenken sollte, nun
ist es auch bei Kindergeburtstagen so.
„Tatsächlich“, murmelte der Vorsitzende und betrachte die beiden
Ratsmitglieder, die das Buch beiseite gelegt und die riesigen Bögen
ergriffen hatten. „Mir scheint es eine Perversion der Idee vom Schenken und
zugleich symptomatisch für den Wunsch, alles zu kontrollieren“, sagte ich.
„Auch das Beschenktwerden muss effizient sein, was für eine Gelegenheit,
die Ausgaben für das Fest reinzuholen, indem man die Dinge, die man eh
kaufen will, bei den Gästen bestellt.“ „So kann man es sehen“, sagte der
Vorsitzende, aber er schien abgelenkt, denn ein Ratsmitglied hatte einen
Pfeil aufgelegt und schien nun nach einem passenden Ziel zu suchen.
„Ich finde dieses Prinzip schon bei den Hochzeiten dämlich“, sagte ich,
„aber dass es jetzt auch bei den Kindern ankommt, scheint mir fatal. Als
nächstes wünschen Sie sich Aktien.“ „Das scheint mir ein unwahrscheinlich…
Szenario“, sagte der Vorsitzende. „Und berücksichtigen Sie, dass die Kiste
nur ein Vorschlag, nicht aber ein Zwang ist?“
„Was man so Vorschlag nennt“, murmelte ich, aber der Vorsitzende hörte mir
nicht mehr zu. Ein Pfeil hatte sich leise schwirrend in den Boden gesenkt,
wenige Handbreit vor seinen Füßen. „Der erste Pfeil verneigt sich vor dem
Meister“, sagte er zufrieden, doch sein Schüler hatte sich hinter einem
Busch verborgen.
16 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Kolumne Ethikrat
Konsum
Kontrolle
Kinder
Kolumne Ethikrat
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