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# taz.de -- Gewalttaten nach Zurückweisung: Vom Penisbild zum Mordversuch
> Annäherungsversuche abzulehnen, kann für Frauen fatale Folgen haben – das
> zeigt ein Prozess, der am Dienstag im Hamburger Landgericht startete.
Bild: Geständnis angekündigt: Der Angeklagte Mustafa D. zum Prozessauftakt im…
Hamburg taz | Frau S. weiß nicht, was sie erwartet, als sie am 11. März mit
ihrem Sohn nach Hause kommt. Im Treppenhaus zu ihrer Wohnung in
Hamburg-Wilhelmsburg wartet Mustafa D. auf sie. Der 23-Jährige schreit
zunächst etwas Unverständliches, dann schießt er mit einer Pistole auf S.
und ihren Sohn, viermal. Mit einem Schuss durch die Wange kann sie sich und
ihren Sohn nach oben in die Wohnung retten.
So beschreibt es Staatsanwältin Ehmcke am Dienstag zum Prozessauftakt.
Mustafa D. wird wegen versuchten Mordes, Bedrohung, Beleidigung, Missbrauch
des Waffengesetzes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Als die
Fotografen hereinkommen, verrät nur das Zittern des Papiers, mit dem er
sein Gesicht verdeckt, seine Nervosität.
Motiv der Tat soll laut Anklage seine Verärgerung über die 17-jährige
Tochter gewesen sein. Sie habe seine Annäherungsversuche zurückgewiesen. Ob
und inwiefern der Täter mit der Tochter Kontakt hatte, ist bisher unklar.
Der Angeklagte habe sie über mehrere Instagram-Profile beleidigt und
bedroht, sagt Staatsanwältin Ehmcke.
Er habe pornografische Bilder verschickt und Drohungen gegen sie, den
kleinen Bruder und die Mutter ausgesprochen. Als „Kopftuchschlampe“ und
„Nuttenkind“ habe er die Adressatin beleidigt. Doch er soll die Bilder und
Nachrichten an den falschen Instagram-Account geschickt haben. Tochter S.
habe nicht reagiert. Daraufhin habe er das Zuhause der Familie aufgesucht
und auf die Mutter, B., geschossen. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit
davon aus, dass der Angeklagte schuldfähig ist.
„Zurückweisungen werden von einigen Männern als Verletzung des Stolzes
wahrgenommen“, sagt Franziska Albers von der [1][Frauenberatung der
Arbeiterwohlfahrt] (AWO). Dass Ablehnung gewalttätiges Verhalten auslöst,
sei nicht ungewöhnlich und komme häufig auch in Partnerschaften vor. Der
Mann versuche durch Gewaltanwendung die Macht zurückzugewinnen, die er
durch die Verletzung seines Stolzes verloren glaube.
Um solche Gewalt anzuwenden, würden immer häufiger soziale Medien genutzt.
Dabei gehe „digitale Gewalt oft Hand in Hand mit analoger Gewalt“, sagt
Diana Jäger, ebenfalls von der AWO. Weil die Täter Fake-Profile anlegen
können, senke das die Hemmschwelle und die Fälle werden meist nicht
aufgeklärt.
Gerade in Zeiten von Corona wachse das Problem. Frauen erlebten dann
Beschimpfungen, Demütigungen, würden fortwährend kontaktiert und bedrängt.
Das sei genau so schlimm wie analoge Gewalt, sagt Albers. „Das Problem bei
digitaler Gewalt ist, dass sie überall und jederzeit angewandt werden
kann.“ Pornografische Inhalte, die übers Netz verschickt werden, treffen
Opfer häufig unerwartet. „Das ist ganz klare Grenzüberschreitung. Frauen
werden dadurch in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt.“
Zahlen zu Gewalt gegen Frauen gibt es wenige. So erfasst das BKA nur Daten
darüber, [2][wie viele der Straftaten innerhalb einer Partnerschaft
stattfinden]. Demnach waren 2019 bei vollendeten und versuchten Delikten
der Partnerschaftsgewalt 81 Prozent der Opfer weiblich. Wie viele
Gewalttaten es außerhalb von Partnerschaften gibt, die aus pauschalem Hass
gegen Frauen resultieren, wird nicht erfasst.
## Beratungsbedarf hat zugenommen
Der Bedarf nach Beratung für Frauen hat während der Coronapandemie
jedenfalls zugenommen, legen [3][Statistiken des Hilfetelefons] nahe. 2020
lag die Anzahl der Beratungen ab April konstant höher als 2019. Durch den
Lockdown steige das Risiko für Frauen, dass häusliche Gewaltsituationen
sich zuspitzen und eskalieren, heißt es im Bericht, der im Mai
veröffentlicht wurde.
Zum Prozessbeginn von Mustafa D. wurde bisher nur die Anklageschrift
verlesen. Der Verteidiger des Angeklagten kündigte an, der Beschuldigte
werde die objektiven Tatumstände gestehen. Er habe die Frau und den Jungen
nicht töten wollen.
1 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.awo-hannover.de/awo-frauenberatung-angebot-wird-ausgeweitet/
[2] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndL…
[3] https://www.hilfetelefon.de/fileadmin/content/01_Das_Hilfetelefon/4_Zahlen-…
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
## TAGS
Hamburg
Schwerpunkt Femizide
Hass
Sexualisierte Gewalt
Soziale Netzwerke
häusliche Gewalt
Schwerpunkt #metoo
Rachepornos
Stalking
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