| # taz.de -- Nachruf auf Klavier-Helmut: Kein Chopin mehr in Kreuzberg | |
| > Er war Klavierbauer und Straßenkünstler. Jetzt hat Kreuzberg eine | |
| > schrullig-liebevolle Kiezgröße weniger: Klavier-Helmut ist gestorben. | |
| Bild: Und immer ein Glas Wein dabei. Helmut Schneider alias Klavier-Helmut | |
| Berlin taz | So richtig verlassen konnte man sich nicht auf ihn. Mal schob | |
| er das Klavier in Richtung Viktoriapark, setzte sich dort auf seinen | |
| mitgebrachten Hocker und spielte für alle im Park. Dann war er für ein paar | |
| Monate abgetaucht. Später wieder sah man den zarten und zerbrechlichen Mann | |
| mit dem schlohweißen Haar und den immer zu weiten Hosen rein zufällig an | |
| der Admiralbrücke, wie er dort abends an seinem leicht verstimmten Klavier | |
| klassische Stücke von Mozart oder Chopin spielte und die Flasche Rotwein | |
| und sein Glas draufstellte. Immer mit dabei war ein schwarzer Hut für | |
| Spenden. | |
| Ob er davon leben konnte, weiß niemand so recht, aber wohl, dass es ihm | |
| egal war, ob er Geld dafür bekam. „Ich spiele grundsätzlich nicht, wenn das | |
| Geld knapp ist oder ich Fleisch kaufen will. Dann kriege ich nichts“, sagte | |
| er der [1][taz 2014]. Und dass er sich eine neue Kauleiste wünsche. Aber | |
| auch damit hätte er sich arrangiert, er brauche ja nicht viel. | |
| Nein, für das bisschen Geld hätte wohl kaum jemand ein wuchtiges Klavier | |
| auf einem Rollwagen durch die Straßen transportiert. Denn Klavier-Helmut, | |
| so wurde er in Kreuzberg bekannt, war einfach da um des Spielens willen. | |
| ## Fast 80 Jahre alt | |
| Fast 80 Jahre alt wurde der Kreuzberger, der zeitweise als Klavierbauer | |
| eine gutgehende Werkstatt über der legendären Kneipe Leierkasten in der | |
| Zossener Straße hatte und aufstrebenden Jungpianisten schon mal einen | |
| Steinway als Leihgabe vorbeibrachte, wenn er merkte, dass da Talent vor ihm | |
| saß. | |
| Dass es ihm wirklich nie ums Geld ging, erzählt auch die Anekdote, die der | |
| international bekannte Pianist Vladimir Stoupel preisgibt. Als dieser, als | |
| junger Student und aus Paris kommend, einen günstigen Klavierstimmer sucht, | |
| findet er in den Gelben Seiten eine winzige Anzeige von Klavier-Helmut. | |
| Helmut kommt und stimmt das Klavier, will als Lohn entweder 50 Mark oder | |
| aber der Jungpianist könne ihm was vorspielen. Das tut Stoupel dann und | |
| Klavier-Helmut ist so angetan, dass er ihm den Steinway gleich am nächsten | |
| Tag zwei Stockwerke in die Wohnung hochhievt, ohne es mit ihm abzusprechen. | |
| Nachdem Helmut kurz vor dem Mauerfall mit seiner Werkstatt Konkurs geht, | |
| verdient er sich fortan als Klavierstimmer seine Brötchen. Als das nicht | |
| mehr reicht, zieht er mit seiner Frau Tuula nach Finnland und lebt dort als | |
| Selbstversorger in einem Haus im Wald. Freunde von ihm erzählen, dass er | |
| sich anfangs bemüht habe, die Sprache seiner Frau zu lernen. Es sei aber | |
| den wortkargen Finnen zu verdanken, dass er es nach zwei Jahren | |
| vergeblicher Mühe einfach aufgegeben habe. Vielleicht deswegen; vielleicht | |
| auch, weil er Kreuzberg vermisst, oder vielleicht auch, weil er wieder Geld | |
| verdienen muss, zieht Klavier-Helmut erneut nach Berlin und stimmt und | |
| transportiert wieder Klaviere. | |
| ## Dann der Beckenbruch | |
| Nach einem Beckenbruch, den er sich bei einem Klaviertransport zugezogen | |
| hat, spielt er vor U-Bahn-Eingängen das Bandoneon, die handlichere Form | |
| einer Ziehharmonika. „Ich schämte mich, besonders wenn Leute vorbeikamen, | |
| die mich als Klavierstimmer kannten“, erzählt er der taz damals. | |
| Wer seine Liebe zum Klavierspielen teilte, bekam seine volle | |
| Aufmerksamkeit, auch später noch. So erzählt ein langjähriger Freund, der | |
| nicht namentlich genannt werden will, dass er ihm vor 15 Jahren ein Klavier | |
| versprach, und auch, dass er es ihm vorbeibrigen wolle. Vorbeibringen, in | |
| den vierten Stock?, frotzelte der Freund noch, bis er merkte, dass es | |
| Klavier-Helmut sehr ernst meinte. Und wirklich: Da stand er zwei Tage | |
| später und wuchtete das 200-Kilo-Ding die vier Treppen hoch, blaffte noch | |
| Nachbarn an, die zur Hilfe eilten, weil sie seiner Auffassung nach nicht | |
| hätten wissen können, wie man solch ein Klavier ordnungsgemäß | |
| transportiert. Am Ende stand das Klavier oben. | |
| Am Ende, so erzählt es einer seiner engsten Freunde, ist er still und leise | |
| verstorben. Klavier-Helmut, mit bürgerlichem Namen Helmut Schneider, wurde | |
| am Donnerstag vor zehn Tagen auf dem Friedhof am Halleschen Tor in | |
| Kreuzberg beigesetzt. Es soll viel Rotwein geflossen sein, und Vladimir | |
| Stoupel spielte ein letztes Mal auf dem Rollklavier. | |
| 29 Aug 2021 | |
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| [1] /Immer-mit-einem-Glas-Rotwein/!355896/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ebru Tasdemir | |
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