# taz.de -- Straßenkünstler: Ein Vagabund, der Steuern zahlt | |
> Seit fünf Jahren ist der Berliner Straßenkünstler Jan Manske alias | |
> DJuggledy in Europa unterwegs. Seit dem letzten Straßentheater-Festival | |
> "Berlin lacht!" trägt er den stolzen Titel "König von Kreuzberg". Jetzt | |
> ist er wieder in der Stadt | |
Bild: Und immer ein Glas Wein dabei. Helmut Schneider alias Klavier-Helmut | |
Mit der großen Sonnenbrille und den aufgetürmten braunen Dreadlocks kommt | |
der Straßenakrobat wie ein karibischer Reggae-Fan daher. Allerdings ist das | |
Outfit fast zu perfekt: Gelb wie die Streifen auf dem grünen Jogginganzug | |
ist auch die Brille, harmonisch rot sind Stirnband, T-Shirt, Turnschuhe und | |
Socken. Hinzu kommen ein mitteleuropäisch-blasser Teint und eine | |
ausgewachsene Berliner Schnauze. Fertig ist DJuggledy, der | |
Rastafari-Verschnitt. | |
Mit einem Metallkoffer hat er sich auf der Straße aufgebaut, um ihn herum | |
ein Zuschauerpulk. Mit raumladenden schnellen Schritten markiert der Mann | |
sein Territorium. "Gleich gehts los, gleich gehts los, wie geil für euch, | |
dass ihr hier seid!" DJuggledy heizt dem Publikum ein, wirft sich in Pose: | |
eine echte Rampensau. Aus einem kleinen Gettoblaster scheppert | |
spanischsprachige Reggae-Musik: eine Ode an ihn, DJuggledy, den | |
Diabolo-Dompteur. | |
Von seinem eigentlichen Handwerk, der Jonglage mit einem sanduhrenförmigen | |
Plastikgerät, ist nichts zu sehen. DJuggledy ist noch in der Vorbereitung, | |
räumt Kleinkram hierhin und dorthin, bandagiert sich seelenruhig das linke | |
Armgelenk. Man wartet, dass die Show endlich losgeht, bis man begreift, | |
dass sie bereits in vollem Gange ist: Er selbst ist die Show. | |
DJuggledy, Performer und Jongleur, ist für die bürgerliche Welt Jan Manske, | |
geboren am 21. Juni 1976 in Berlin, ein Straßenkünstler, ein Aussteiger. Er | |
hat ein offenes Gesicht mit klaren, blau-grünen Augen, die ständig | |
Blickkontakt suchen. Der starke Berliner Akzent aus der Show ist fast nicht | |
zu hören. In einem Lehrerhaushalt aufgewachsen ging er aufs Gymnasium, dann | |
an die Uni. Von der Aufnahmeprüfung, die er für das Fach Frankreich-Studien | |
bestanden hat, spricht Manske noch heute mit Stolz. Aber das Studium kam | |
ihm sinnlos vor. Mehr Erfüllung fand er auf Reisen, meist per Interrail | |
durch Europa. Dabei besuchte er Theaterfestivals, beobachtete | |
Straßenkünstler: "Da hab ich mir dann manchmal gedacht, so gut bin ich zwar | |
nicht, aber eigentlich kann ich das auch!" | |
Mit 16 Jahren hatte er angefangen zu jonglieren, nur aus Spaß. Irgendwann | |
wagte er im Ausland die ersten öffentlichen Auftritte und mit Mitte 20 den | |
Versuch, als Straßenkünstler zu leben. "Die Tour war ein Desaster", erzählt | |
Manske. Er fühlte sich einsam, lebte von der Hand in den Mund. "Dennoch war | |
das genau das, was ich unbedingt machen wollte." | |
Als echte Krisenzeit empfand er die Rückkehr nach Berlin, es war Winter, | |
das Geld weg, die Freunde hatten weiterstudiert. Ein Jahr lang rang er mit | |
seinem Traum vom Straßenkünstlerdasein und dem sozialen Druck, eine | |
Ausbildung zu machen. "In dieser Gesellschaft wird Angst geschürt: Wenn du | |
nicht den normalen Weg gehst, dann wirst du scheitern, verarmen. Auch meine | |
Eltern haben gedacht, ich wäre durchgedreht. Der Ausstieg aus dem | |
geregelten deutschen System ist hart." | |
2003 wagte er dann den endgültigen Schritt. Er kündigte seine Wohnung, | |
sammelte Geld und machte sich auf den Weg - auch mit dem Mut der | |
Verzweiflung. "Nach all dem Rumdeprimieren hatte ich nichts mehr zu | |
verlieren." Freunde und Familie unterstützten ihn: "Alle waren froh, dass | |
ich überhaupt wieder Energie geschöpft habe." | |
In seinem Auftrittszirkel wirbelt DJuggledy zu schnellen Hip-hopklängen | |
umher, lässt das Diabolo um den Körper rotieren, wirft es hoch, fängt es | |
auf, lässt es auf einer Dreadlock wandern. Jeden Trick kündigt er an, im | |
Redestakkato, er lässt seine Stimme überschlagen und kieksen. Dann: | |
scheinbar eine Pause in der Show. DJuggledy verscheucht Kinder von der | |
Auftrittsfläche, geht auf einen Zuschauer zu, motzt ihn an, er klatsche | |
nicht genug. Plötzlich greift er sich auf den Kopf, zieht die braune | |
Dreadlock-Mähne herunter, setzt sie dem verdutzten Mann aufs Haupt. Die | |
Überraschung ist gelungen, das Publikum johlt. | |
DJuggledy ist nun mit zerwühlter Kurzhaarfrisur unterwegs und macht den | |
Typwechsel komplett: Der grüngelbe Jogginganzug fliegt weg, knappe rote | |
Shorts, ein bauchfreies Shirt, und viel weiße Haut treten zutage. Die Sonne | |
scheint, DJuggledys Kopf nimmt zunehmend die Farbe seines roten T-Shirts | |
an, das Publikum klatscht. Der Rastafari ist zum halbnackten Proll mutiert, | |
der nun zu Musik von Türk-Pop-Star Tarkan und Reel 2 Reals "I Like to Move | |
it" die Hüften kreisen lässt. | |
Der Clou bestehe darin, die Erwartungshaltung mit einem Knall zu brechen, | |
erklärt Manske den Höhepunkt seiner Show. "Außerdem zieht Nacktheit | |
Aufmerksamkeit, das funktioniert immer." Seit fünf Jahren arbeitet er nun | |
als Straßenkünstler, ist mit seinem alten Wohnmobil ständig in Europa | |
unterwegs. Seine Premiere in Berlin hatte er aber erst im Jahr 2005. "Ich | |
hatte riesige Hemmungen, hier zu spielen", erzählt er. Vor drei Jahren | |
wurde er aber auf das Straßentheaterfestival "Berlin lacht!" eingeladen, | |
und nach kurzem Überlegen sagte er zu. "Es ist immer schwer, dahin | |
zurückzugehen, wo man herkommt. Aber gleichzeitig ist die eigene Stadt auch | |
der Ort, an dem man den meisten Erfolg haben kann", erklärt er. Dass ihm im | |
vergangenen Jahr im Rahmen von "Berlin lacht!" der Titel "König von | |
Kreuzberg" verliehen wurde, könnte seine These stützen. | |
Von seinem Straßenkünstlerdasein kann Jan Manske mittlerweile ganz gut | |
leben, zwischen 100 und 150 Auftritte absolviert er durchschnittlich im | |
Jahr. Immer häufiger wird er auf Festivals eingeladen. Dann bekommt er | |
nicht nur die Huteinnahmen, sondern auch eine kleine Auftrittsgage - ein | |
wenig finanzielle Sicherheit, die er genießt. Gerade war er in Kroatien, | |
Ungarn und Italien gebucht, im Winter reist er vielleicht auf die | |
Südhalbkugel. Zum fahrenden Volk gehört er also nach wie vor, aber auf | |
anderem Niveau: "Das ist schon fast ein Jetset-Leben", sagt er selbst. | |
Aber DJuggledy zu sein, das ist auch harte Arbeit, rund um die Uhr. Die | |
nächsten Auftritte müssen akquiriert, Kostüme gewaschen, das alte Auto für | |
die langen Anreisewege fit gehalten werden. Und wenn ein Auftritt schlecht | |
läuft, das Publikum nicht mitgeht, ärgert ihn das noch lange nach der Show. | |
An diesem Tag geht einiges schief, DJuggledy patzt bei seinen Tricks, die | |
Abstimmung mit der Musik funktioniert nicht, er schleudert Diabolos in die | |
Luft, fängt sie aber nicht, der Wind erschwert ihm die Arbeit. Die | |
Zuschauer scheint das nicht zu stören, sie lachen, die Kommentare variieren | |
zwischen "sexy" und "geil", die Stimmung stimmt. Hier auf der Straße ist | |
DJuggledy der King, allen Unzulänglichkeiten zum Trotz. | |
Plötzlich kommt eine junge Frau in den Auftrittszirkel, die nicht zur Show | |
gehört. Das Gesicht zum Publikum gewandt, tanzt sie umher, plappert | |
Unverständliches. DJuggledy gerät aus dem Konzept. "Hast dich ja extra | |
hübsch für mich gemacht, Süße", versucht er zu improvisieren, läuft zu ihr | |
hin, umarmt sie. Doch der Versuch die Frau in die Show zu integrieren, | |
wirkt ungeschickt, recht unwirsch weist er sie schließlich zurück. Wenn | |
DJuggledy sein Programm abspult, versteht er keinen Spaß. | |
Mit der Show "El Diabolo" ist Manske nun schon seit fast vier Jahren | |
unterwegs. Technisch sei sie nicht sehr anspruchsvoll, sagt er freimütig, | |
aber die Zuschauer würden ohnehin "kompliziertere Tricks nicht zu würdigen | |
wissen". Auf der Straße gehe es vor allem um die Performance. Und was die | |
betrifft, ist er Perfektionist. Für eine "würdige Show" brauche er viel | |
Publikum, wie auf Festivals, wo auch mal 600 Leute zuschauen. Die | |
Basisarbeit als Straßenkünstler ist Jan dennoch wichtig: "Der Straße muss | |
ich mich stellen, da komme ich her." Es sei eine Herausforderung, für alles | |
selbst verantwortlich zu sein, für Organisation, Dramaturgie, für Erfolg | |
und Misserfolg. "Straßenkünstler haben nur zwei Chefs - die Bullen und das | |
Wetter", zitiert er eine Berufsweisheit. | |
DJuggledy, das "energiesprühende Bündel", sieht Manske als "energetischen | |
Ausgleich" zu seinem eher introvertierten Wesen. Dennoch: Für die Zukunft | |
will er sich ein ruhigeres Projekt suchen. "Man wird bequemer." Er könnte | |
sich vorstellen, Workshops für andere Straßenkünstler anzubieten, aber: | |
"Das mit dem Planen habe ich abgelegt, als ich meine Zelte zu Hause | |
abgebrochen habe", erklärt er. Ans Sesshaftwerden ist nicht zu denken. | |
Seine Freundin, der Freundeskreis gehören zum fahrenden Volk. Aber er zahle | |
brav seine Steuern: "Das System hat mich also insofern wieder", lacht er. | |
Unter dem Geklatsche des Publikums vollendet DJuggledy nach einer | |
Dreiviertelstunde seinen finalen Trick. Ein letztes Mal Aufmerksamkeit | |
heischend, stellt er sich auf seinen Koffer. In seiner | |
schnodderig-berlinerischen Tonart fordert er das Publikum auf, seine Show | |
finanziell zu honorieren. Der Applaus sei ihm natürlich wichtig, aber | |
wichtiger sei, was in den Hut kommt. "Jeder soll zahlen, was er kann, aber | |
einen Schein", kokettiert er, "fände ich normal". | |
21 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Anna Corves | |
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Straßenkünstler | |
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