# taz.de -- Streitgespräch über Demo in Blankenese: „Reichtum durch Arbeit … | |
> Wie kann man Reichtum gerecht verteilen? Über den Aufruf zur Demo in | |
> Blankenese streiten Veranstalter Ansgar Ridder und Anwohner Christian | |
> Rudolf. | |
Bild: Demos für Umverteilung von Reichtum gab es schon öfter – nun ist eine… | |
taz: Herr Ridder, warum demonstriert Ihr Bündnis „Wer hat, der gibt“ heute | |
in Blankenese? | |
Ansgar Ridder: Es dient als Symbol. Wenn über Ungerechtigkeit gesprochen | |
wird, dann über arme Leute. In ärmeren Stadtteilen finden häufig Demos | |
statt. Deshalb machen wir das jetzt mal in Blankenese, wo die weißen Villen | |
stehen – [1][so wie letztes Jahr schon in Harvestehude]. Klar, dort ist | |
nicht jeder reich. Aber das Durchschnittseinkommen ist achtfach höher als | |
auf der Veddel. | |
Das [2][Abendblatt zitiert Sie] mit dem Satz: „Holen wir uns eben selber, | |
was uns zusteht“. Ist das wörtlich zu verstehen? | |
Ridder: Nein. Wir wollen Druck auf der Straße machen, damit die soziale | |
Frage in den Fokus kommt. Um ein Problem zu ändern, muss man es erkennen. | |
Reichtum ist in Deutschland verschleiert. Die reichsten Konzerne sind in so | |
einer Familienstiftung für mittelständische Unternehmen. Das hat nicht | |
diese Extravaganz wie in den USA. | |
Wollen Sie das offenlegen? | |
Ridder: Ja. Wir sagen: Hier ist das Geld. Es gibt in Deutschland das Diktat | |
der schwarzen Null. Für Corona wurde das ausgesetzt, aber nach der Krise | |
kommt die Frage, wo das Geld holen? In früheren Krisen nahm man es den | |
Arbeitenden. Das wollen wir nicht. | |
Herr Rudolf, Sie sind Blankeneser. Was sagen Ihre Nachbarn über diese Demo? | |
Christian Rudolf: Ich war in einem Laden und hörte das Gespräch einer | |
Verkäuferin mit einer Kundin. Das war sehr sorgenvoll und | |
angstgeschwängert. Ich fragte: „Was ist denn los?“ Und die so: „Ja, wir | |
müssen hier alles verbarrikadieren. Das geht hier wieder rund wie damals | |
schon. Das linke Pack.“ Ich fragte dann: „Wieso sagt du das so pauschal?“ | |
Man müsse das viel differenzierter sehen. Es geht um die Sache! Und | |
politisch linke Positionen entsprächen ja wohl viel eher einem sozialeren | |
Weltbild als die ewig gestrigen konservativen Ergüsse. | |
Haben Sie Angst vor dieser Demo? | |
Rudolf: Ich habe grundsätzlich Angst vor Gewalt. | |
Ridder: Bei unseren Demos gab es noch nie Gewalt. Ich spreche jetzt für | |
„Wer hat, der gibt“. Es gab die Demo in Harvestehude. Da gab es keine | |
Plünderungen oder Gewalt. Generell ist das ein seltenes Phänomen. Ich | |
verstehe, wo das herkommt. Die Berichterstattung im Abendblatt ging in | |
diese Richtung. | |
Rudolf: Viele Hamburger erinnern die Randale beim G20-Gipfel. Ihr plant | |
keinen zweiten Aufguss? | |
Ridder: Nee. Damals gab es uns noch gar nicht. Wir haben uns erst in der | |
Coronakrise gegründet. Es gibt auf St. Pauli und in der Schanze jede Woche | |
eine linke Demo, die ohne Gewalt abläuft. Das kriegt man in Blankenese | |
nicht mit. G20 war vielleicht eine Sondersituation. Aber das würde ich für | |
dieses Wochenende in Blankenese ausschließen. | |
Rudolf: Das beruhigt – wollen doch viele Hamburger einen Politikwechsel. | |
Also geht diesmal nix zu Bruch? | |
Ridder: Die letzte Demo war friedlich. Ich kann natürlich nicht für jeden | |
Menschen sagen, der macht nichts. Aber es ist von uns nicht darauf | |
angelegt. | |
Herr Rudolf, Sie schreiben uns: „Ich bin voller Makel … Ich wohne in | |
Blankenese.“ Sehen Sie sich am Pranger? | |
Rudolf: Ich nahm den Stift in die Hand, weil mich das ärgert, dass es so | |
pauschal heißt: Das linke Pack kommt und alles ist Scheiße. Ich bin kein | |
Gegner von Herrn Ridder, ich bin inhaltlich voll auf seiner Seite. Nur | |
sollten wir uns nicht selber schaden. Nicht, dass es durch Gewalt weniger | |
Wahlkreuze an der richtigen Stelle gibt. | |
Nun ist die ja nicht angesagt. | |
Rudolf: Na doch. Der Slogan „Wir holen uns, was uns zusteht“ klingt | |
bedrohlich. | |
Ridder: Das ist zugespitzt formuliert. Wir wollen damit sagen, extremer | |
Reichtum entsteht nur durch die Arbeit anderer und die Aneignung. Wir | |
verstehen Reichtum als Teil unserer Arbeit. Wir wenden uns gegen die | |
Erzählung, ein Milliardär habe alles selber verdient. Wer Reichtum in | |
Aktien anlegt, verdient sein Geld durch die Arbeit von mir. Wir leben eben | |
nicht in einer Gesellschaft, wo jeder nur das bekommt, was ihm zusteht. Das | |
wollen wir diskutieren. Es nervt mich auch, dass wir nur in den Diskurs | |
kommen, weil wir diese schrillen Sätze benutzen. | |
Sollten Reiche höhere Steuern zahlen? | |
Rudolf: Ganz klar, ja. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Der Reichtum | |
einer jeden kapitalistischen Gesellschaft basiert auf dem „Wechselspiel“ | |
von Gewinn und Verlust. Entstehen irgendwo Gewinne, entstehen anderswo | |
Verluste. Will man die Menschen erreichen, ist die Ansprache wichtig. Es | |
bringt viel mehr, über Fakten zu reden, als zu sagen, wir ziehen uns die | |
schwarzen Masken über das Gesicht und fahren zur Randale zum G20 in die | |
Schanze. Das ist dümmlich und dient nur dem politischen Gegner. | |
Also, Sie erinnern noch den G20? | |
Rudolf: Ich saß im O-Feuer, als die Randaletouristen von den Dächern im | |
Schulterblatt die Polizei mit Steinen bewarfen. Wenn bei „Wer hat, der | |
gibt“ nun steht, wir holen uns, was uns zusteht, ist im Subtext Gewalt | |
angerissen. | |
Ridder: Die Kritik an dem Slogan kann ich annehmen. Es gibt Menschen bei | |
uns, die wütend sind. Wir haben viele, die im sozialen Bereich arbeiten und | |
weniger verdienen als ältere Leute, weil sie schlechtere Tarifverträge | |
haben, weil argumentiert wird, es sei kein Geld da. Wir haben Leute, die | |
während der Coronakrise arbeitslos wurden. Da gibt es eine Dringlichkeit, | |
die muss sich in der Sprache wiederfinden. Und zur Faktenfrage: Wir weisen | |
darauf hin mit Zahlen des Deutschen Wirtschaftsinstituts, wie sich der | |
Reichtum in der Krise vermehrt hat. Unsere soziale Marktwirtschaft wird | |
immer als egalitär dargestellt. Das ist sie aber nicht. | |
Die Wahl steht an. Bietet eine Partei das an, was Sie wollen? | |
Ridder: Ich würde lügen, wenn ich nicht sage, es gibt Parteien, die uns nah | |
sind. | |
Die Linke will eine Vermögenssteuer. | |
Ridder: Die ruft ja auch zu unserer Demo auf. Grüne und SPD haben auch | |
solche Passagen im Programm. Aber schauen wir uns die letzte rot-grüne | |
Bundesregierung an, hat man davon als Arbeiterfamilie noch Narben. | |
Hartz-IV, massivster neoliberaler Turn. Das müssen wir zurückdrehen. Ohne | |
Druck von der Straße passiert das nicht. | |
Brauchen wir Reichtums-Obergrenzen? | |
Rudolf: Unbedingt. Betätige ich den Wahlomat, lande ich seit Jahren bei der | |
Linken. Ich finde, dass unser Leben hier in Deutschland, in Westeuropa, | |
unserer Insel, immer besser wurde. Für den größten Teil dieser | |
Gesellschaft. Und tatsächlich basiert das auf meiner | |
Gewinne-Verluste-Aussage. | |
Ridder: Mein Lebensstandard stagniert. Wir leben in einem reichen Land. Es | |
ist aber so, dass die untersten Einkommen stagnieren, die Einkommen von | |
jungen Leuten niedrig sind. Die haben Probleme, eine Familie zu gründen. | |
Dann haben wir eine Mietexplosion, die alles auffrisst, was man | |
gewerkschaftlich an mehr Geld erkämpft. | |
Rudolf: Dass Pflegeberufe, „systemrelevante“ Berufe et cetera besser | |
bezahlt werden müssen, ist absolut notwendig! Das muss man in so eine Demo | |
reinpacken! Und nicht dieses Geschwafel. Ihr seid alle so reich hier. Ich | |
piss dir an die Wand. | |
Ridder: Wir fordern Konkretes. Anhebung des Mindestlohns auf ein | |
armutsfestes Niveau, mehr Geld für systemrelevante Berufe und faire | |
Arbeitsplätze für alle. | |
Rudolf: Das will ich auf den Plakaten sehen. | |
20 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Krisenbuendnis-zur-Coronapandemie/!5710006 | |
[2] https://www.abendblatt.de/hamburg/article233068827/blankenese-demo-linksrad… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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