| # taz.de -- Widerstand gegen die Taliban: Eine unüberwindliche Kluft | |
| > In Afghanistans Provinz Pandschir formiert sich bewaffneter Widerstand | |
| > gegen die Taliban. Doch der könnte vom Streit um die Führung geschwächt | |
| > werden. | |
| Bild: Bewaffnete afghanische Soldaten zusammen mit anderen Aufständischen im P… | |
| In Afghanistans Provinz Pandschir bildet sich eine bewaffnete Nationale | |
| Widerstandsfront gegen die Taliban. Sie besteht aus Soldaten der | |
| ehemaligen Regierungsarmee, die nach dem Taliban-Einmarsch in Kabul Sonntag | |
| vor einer Woche in das gleichnamige Tal geflüchtet waren, sowie lokalen | |
| Milizen und Freiwilligen. | |
| Das dünn und von afghanischen Tadschiken besiedelte Pandschirtal nördlich | |
| von Kabul ist die einzige Provinz, die die Taliban bisher nicht besetzten. | |
| Es war bereits eine Hochburg des Widerstands, erst gegen die sowjetischen | |
| Besetzer Afghanistans im Kampf gegen die Mudschaheddin von 1979 bis 1989, | |
| dann gegen die Taliban, nachdem diese 1996 zum ersten Mal die afghanische | |
| Hauptstadt Kabul eingenommen hatten. | |
| Es gibt auch personelle Kontinuität. An die Spitze der Bewegung setzte sich | |
| der 32-jährige Sohn des früheren antisowjetischen Mudschaheddinführers | |
| Ahmad Schah Massud, Ahmad Massud. Massud senior, 1992 bis 1996 | |
| Verteidigungsminister einer Mudschaheddin-Regierung, war zwei Tage vor den | |
| Terroranschlägen des 11. September von zwei Al-Qaida-Agenten ermordet | |
| worden, die sich als Journalisten ausgegeben hatten. | |
| Sein an der britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildeter Sohn | |
| Ahmad hatte bereits seit mehreren Jahren versucht, die politische | |
| Opposition gegen den bisherigen Präsidenten Aschraf Ghani zu einigen. Er | |
| hatte auch bereits begonnen, lokale Freiwillige militärisch auszubilden. | |
| ## Alle Macht den Drogen | |
| Massud spricht sich für ein föderales Afghanistan aus. Seine Kämpfer | |
| verwenden die schwarz-weiß-grüne Flagge der früheren | |
| Mudschaheddinregierung, nicht die schwarz-rot-grüne Nationalflagge, unter | |
| der vor wenigen Tagen Jugendliche und Frauen in Kabul, Chost, Assadabad und | |
| Dschalalabad gegen die Taliban protestiert hatten. | |
| Aus dem Pandschir hatte sich Ahmad Massud am vorigen Mittwoch mit einem | |
| Gastbeitrag in der Washington Post zu Wort gemeldet und gesagt, er wolle | |
| „in die Fußstapfen meines Vaters“ treten und „es mit den | |
| Mudschaheddinkämpfern gegen die Taliban aufnehmen“. Er verfüge über 6.000 | |
| Mann, darunter ehemalige Spezialkräfte, aber nicht ausreichend Waffen und | |
| Munition. Der Westen solle deshalb „ohne Verzögerung“ mehr davon senden. | |
| Unterdessen kam es in dem Pandschir benachbarten Andarab-Tal zu ersten | |
| Kämpfen gegen die Taliban. Ein als Sprachrohr der Massud-Kräfte betriebener | |
| Twitter-Account bezeichnet die neuen Aufständischen als Chesisch-e Melli | |
| (Nationaler Aufstand), ein Sammelbegriff für lokale Milizen unter der | |
| Regierung Ghani. Sie hätten sich gegen Hausdurchsuchungen durch die Taliban | |
| und deren Beschlagnahmung von Waffen gewehrt, diese sogar aus drei | |
| Distrikten vertrieben und 60 bis 100 Kämpfer getötet. | |
| Auch die Tadschiken des Andarab, in der Provinz Baghlan, sind als | |
| kämpferisch bekannt. Sie kämpfen aber auch um die Kontrolle über eine | |
| wichtige Drogenhandelsroute. | |
| ## Offene Verhandlungen | |
| Die Taliban setzten daraufhin Truppen in Marsch und behaupteten, sie hätten | |
| alle drei Distrikte – Banu, Deh Salah und Pul-e Hissar – wieder | |
| zurückerobert. Allerdings wurde am Montag zumindest in einem davon weiter | |
| gekämpft. Die Taliban schickten auch „Hunderte“ Kämpfer an die drei | |
| Eingänge des isolierten Pandschirtals. | |
| Massud teilte prompt mit, er habe die „Operation“ in Andarab nicht | |
| organisiert, denn er suche eine Gesprächslösung mit den Taliban. Offenbar | |
| hofft er, eine Art Autonomie für das Pandschir herausschlagen zu können. | |
| Tatsächlich blieb es zum Redaktionsschluss um das Pandschir ruhig. Auch die | |
| Taliban bestätigten, dass sie verhandeln wollen, Massud aber eine | |
| Botschaft, sich friedlich ihrem Regime anzuschließen, abgelehnt habe. | |
| Weiterer bewaffneter Widerstand gegen die Taliban wurde bereits vorigen | |
| Freitag aus dem Distrikt Chinjan (ebenfalls Baghlan) sowie dem | |
| Hasara-Distrikt Behsud südwestlich von Kabul gemeldet, aber weder | |
| bestätigten das unabhängige Quellen noch gab es seither Nachfolgeberichte. | |
| Eine ZDF-Journalistin tweetete gestern auch von Widerstand in der | |
| Nordprovinz Kundus, machte aber bisher keine weiteren Angaben. | |
| Im Pandschir sollen sich auch andere Schwergewichte der Pandschiri-Fraktion | |
| wie Ex-Vizepräsident Amrullah Saleh und Ex-Innenminister General Bismillah | |
| Muhammadi aufhalten. Saleh hatte sich nach der Flucht von Präsident Ghani | |
| am vorigen Dienstag per Tweet zum „legitimen amtierenden Präsidenten“ des | |
| Landes erklärt, da er sich weiter „auf afghanischem Boden“ befinde, und | |
| ebenfalls Widerstand angekündigt. | |
| ## Massud Junior traut man keine Einigung zu | |
| Der französische Afghanistan-Spezialist Gilles Dorronsoro von der Pariser | |
| Sorbonne wies gegenüber AFP auf Konflikte zwischen Saleh und Massud hin. | |
| Massud habe „wenig politischen Einfluss“, während Saleh eine | |
| „Schlüsselfigur“ in dem Machtspiel sei und als ehemaliger Geheimdienstchef | |
| über ein ausgedehntes Agentennetz verfüge. | |
| Neben beiden beansprucht ein halbes Dutzend weiterer Politiker in der | |
| notorisch zerstrittenen islamistischen Partei Dschamiat-i Islami, zu der | |
| die Pandschiri-Fraktion gehört, das Erbe Schah Massuds. | |
| Dazu gehören Junos Kanuni, ein weiterer Ex-Innenminister und früherer | |
| Stellvertreter Massuds, sowie zwei seiner Brüder, darunter ein weiterer | |
| früherer Vizepräsident, Ahmad Sia Massud, die in Pakistan sind, sowie der | |
| Sohn des verstorbenen Massud-Nachfolgers Kassim Fahim, Abed, der in Kabul | |
| mit dem Chef des Nationalen Versöhnungsrates und Ghani-Gegenspieler | |
| Abdullah Abdullah arbeitet. Massud junior scheint zu jung, um diese Klüfte | |
| zu überbrücken. | |
| Die Fraktionskriege zwischen den Parteien der Mudschaheddin in den 1990er | |
| Jahren waren auch Ursache für die Entstehung der Taliban, die diese | |
| Fraktionen zur Freude großer Bevölkerungsteile entwaffnete. Nach der | |
| Intervention 2001 sorgte ihre rabiate Machtpolitik an der Seite der USA | |
| gegenüber der großen paschtunischen Bevölkerungsgruppe maßgeblich für das | |
| Wiedererstarken der Taliban. | |
| Massuds neue Widerstandsbewegung könnte die ethnische Nord-Süd-Spaltung | |
| weiter vertiefen und zu einem weiteren Bürgerkrieg führen. Auch die jungen | |
| Leute aus den Flaggenprotesten sind für sie kaum einzubinden. | |
| 23 Aug 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Taliban | |
| Widerstand | |
| GNS | |
| Schwerpunkt 9/11 | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hybris des Westens in Afghanistan: Null moralische Lufthoheit | |
| Der Westen hat sein Recht verspielt, sich über die Taliban zu erheben. | |
| Wiedergutmachung ist angesagt, nicht erneute Großspurigkeit. | |
| Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Offizier kritisiert Bundesregierung | |
| Der Vorsitzende des Ortskräfte-Vereins Grotian spricht von „mutwilligem | |
| Versagen“ bei der Evakuierung aus Kabul. Die Versorgung mit medizinischen | |
| Gütern wird knapp. | |
| Evakuierungen aus Afghanistan: Geld gegen Sicherheit | |
| Rund 3.000 Menschen hat die Bundeswehr aus Afghanistan evakuiert. Klare | |
| Aussagen, wer noch ausgeflogen werden soll, macht die Bundesregierung | |
| nicht. | |
| Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Taliban drohen mit „Konsequenzen“ | |
| Sollten die USA und ihre Verbündeten den Abzug verzögern, werde das Folgen | |
| haben. Unicef sieht eine Million afghanische Kinder vom Hungertod bedroht. | |
| Protest gegen Taliban in Afghanistan: Erster Widerstand am Hindukusch | |
| Am Nationalfeiertag protestieren Afghanen im ganzen Land gegen die Taliban. | |
| Auch bewaffnete Gegenwehr formiert sich. Mit einem Gegenpräsidenten. | |
| Machtübernahme in Afghanistan: Alltag in Angst | |
| Die Taliban bauen ihre Herrschaft in Afghanistan systematisch aus. Vorerst | |
| geht es um die Sicherheitsorgane und eine funktionierende Wirtschaft. |