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# taz.de -- Alternativer Sexshop in Leipzig: Dildos shoppen ohne Scham
> Die Voegelei ist der erste alternative Sexladen Leipzigs. Hier werden
> neben Sextoys auch Kommunikationsworkshops angeboten.
Bild: Spielzeug aus der „Voegelei“
Leipzig taz | Wer die Voegelei im Leipziger Osten betritt, merkt im ersten
Moment nicht, dass es sich um einen Sexshop handelt. Der Raum ist hell und
lichtdurchflutet, auf dem Boden liegt ein großer Perserteppich in
Bordeauxrot, nirgendwo sieht man Produktverpackungen mit nackten Körpern –
eine angenehme Wohnzimmeratmosphäre.
Direkt neben der Eingangstür steht ein kleines Tischchen mit großer Schale,
die bis oben hin mit Schleckmuscheln gefüllt ist – Süßigkeiten, die man
sich als Kind beim Kiosk gekauft, aber nie aufgelutscht hat. Schaut man
sich weiter um, bleibt der Blick an dem Postkartenständer vor der Kasse
hängen. Eine Karte zeigt vier Frauen, die gut gefüllte Pommestüten in den
Händen halten, darüber steht in roter Schreibschrift: „fries before guys“,
Pommes vor Jungs. In einem Zeitungsständer neben der Kasse stecken das
Missy Magazine und die Jungle World, links davon hängt eine schwarze
Pinnwand mit bunten Kettenanhängern in Vulvaformen und Buttons, auf denen
Sprüche stehen wie „no means no“, „pretty fat“ oder „kiss my queer a…
Die Vibratoren, Dildos, Penis- und Analspielzeuge stehen so unaufgeregt in
den Regalen, dass man sie erst auf den zweiten Blick wahrnimmt.
„Wir möchten Sex aus der Schmuddelecke holen und Menschen dazu ermutigen,
sich mit ihrer Lust zu beschäftigen“, sagt Max Valerij, Sexual- und
Paarberater und Gründer des Sexshop-Kollektivs Voegelei. Im Juli dieses
Jahres hat er den Laden zusammen mit drei Freund*innen eröffnet. „Manche
Menschen sind noch immer der Ansicht, dass Sex beschämend ist und nur dazu
da, um Kinder zu zeugen. Wir sehen Sex als etwas Schönes und Tolles an.“
Valerij – Dreitagebart, Septum und Glitzergürtel – hat sich in
herkömmlichen Sexshops nie wohlgefühlt. „Die meisten richten sich nur an
heterosexuelle cis Männer und vermitteln klischeehafte Bilder von Sex –
dabei ist Sexualität so individuell, wie wir Menschen individuell sind.“
Viele Produkte reproduzierten falsche Körperideale und degradierten Frauen
zu Sexobjekten.
## Vegane Peitschen
Auf den Erotik-Shop in der Leipziger Innenstadt treffen diese
Beschreibungen in jedem Fall zu. Obwohl hier täglich zig Menschen
entlangspazieren und das angrenzende Café ein großes studentisches Publikum
anzieht, ist der Sexladen an einem Nachmittag im Juli komplett leer. Die
Fenster sind abgedunkelt, überall prangen nackte schlanke Frauenkörper mit
großen Brüsten auf Dessous-Schachteln und DVD-Hüllen. Im hinteren Teil des
Ladens gibt es einen Raum, der von oben bis unten mit Pornos gefüllt ist.
Fast alle dienen nur der Befriedigung des Mannes, manche haben sexistische
oder rassistische Titel wie „I love black lesbian“ oder „Zwei Typen auf
eine Alte“. Der Unterschied zwischen der Voegelei und dem Erotik-Shop
könnte nicht größer sein.
„Die Voegelei ist ein Sexshop für alle geschlechtlichen Identitäten, nicht
nur für Frauen und Männer“, sagt Valerij. „Wir stehen für
Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt.“ Das spiegeln auch die Produkte
wider. Neben veganen Peitschen, Fesseln aus Fahrradzubehör und Strap-ons
gibt es Menstruationsunterwäsche, Aufklärungsbücher, feministische
Pornomagazine, Graphic Novels, Kondome, Lecktücher, verschiedenste
Gleitgele sowie Bedarf für trans Menschen wie Brust- und Penisprothesen
oder Binder, um die Brüste abzubinden.
Das Konzept des alternativen, queerfeministischen Sexladens ist nicht neu.
[1][Mit Sexclusivitäten in Berlin-Kreuzberg hat Laura Méritt in den 1990ern
den ersten Sexshop dieser Art in Europa gegründet.] Valerij ließ sich vor
allem vom Berliner Other Nature beeinflussen, das 2011 eröffnete. 2018
folgte Fuck Yeah in Hamburg, und auch in München planen vier Frauen einen
alternativen Sexshop.
Valerij erinnert sich noch genau an seinen ersten Besuch bei Other Nature
vor acht Jahren. „Ich war total geflasht, es war ganz anders als alles, was
ich bisher an Erotikshops kannte.“ Mit anders meint Valerij: hell,
freundlich, offen. „Es gab eine Sitzecke, in der man Tee trinken und die
Produkte befühlen konnte“, sagt Valerij. Seit seinem Besuch bei Other
Nature hatte er den Wunsch, ein solches Geschäft auch in Leipzig zu
eröffnen.
## Einfach nur neugierig
Durch Crowdfunding hat Valerij vor vier Jahren fast 21.000 Euro
Startkapital für sein kleines Unternehmen zusammenbekommen. Danach folgte
die Suche nach Räumlichkeiten, eine lange Renovierungsphase – und Corona.
Hat sich der Aufwand gelohnt? „Das wird sich zeigen“, sagt Valerij. Bei der
Eröffnung Mitte Juli hätten die Leute draußen Schlange gestanden, am
darauffolgenden Tag habe er hingegen nur fünf Kund*innen gehabt. „Es
kommen vor allem Frauen zwischen 25 und 35 Jahren zu uns, aber nicht alle
kaufen etwas. Viele sind einfach nur neugierig.“ Auch während des Gesprächs
mit der taz betreten junge Frauen mit kurzen Ponys und hochgezogenen
Sportsocken den Laden, schauen sich um – und gehen wieder.
Valerij glaubt trotzdem daran, dass sich die Voegelei finanziell tragen
wird. „Klar, Leipzig ist mit seinen knapp 600.000 Einwohner*innen
deutlich kleiner als Berlin und Hamburg. Aber Leipzig hat eine
verhältnismäßig große queerfeminstische Szene“, sagt Valerij. Doch wozu
braucht es alternative Sexläden wie die Voegelei überhaupt, wenn es
Onlineshops wie Amorelie oder Eis gibt? „Gerade bei Sexspielzeugen macht es
einen großen Unterschied, ob ich sie nur anschauen oder auch anfassen und
einschalten kann“, sagt Valerij. Außerdem biete die Voegelei Sextoys an,
die es bei Großanbietern wie Amorelie nicht zu kaufen gebe.
„Wir arbeiten überwiegend mit Manufakturen zusammen, die von
Flint*-Personen geführt werden“, also von Frauen, Lesben, Intersexuellen,
Nichtbinären oder trans Personen. „Es ist beachtlich, wie viele Männer
Sextoys herstellen und wie wenig Flint*-Personen. Wir wollen Letztere
unterstützen und für mehr Sichtbarkeit sorgen.“
Daneben achtet Valerij darauf, welche Materialien verwendet werden, wo
produziert wird und unter welchen Arbeitsbedingungen. Nur wenn Produkte
seine ethischen und ökologischen Kriterien erfüllen, kommen sie ins
Sortiment. „Ein Großteil unserer Sextoys kommt aus Deutschland oder
Schweden, manche sind handgefertigt oder vegan“, sagt er.
## Hohe Preise
Entsprechend hoch sind aber auch die Preise. Ein weinroter Vibrator der
Berliner Manufaktur Playstixx kostet 79,90 Euro, ein Klitoris-Sauger der
schwedischen Firma Lelo 169 Euro. Für 120 Euro gibt es die „Ussy“, einen
500 Gramm schweren, 22,5 Zentimeter langen knallgelben Silikon-Masturbator,
in den man seinen Penis einführen kann. Spielzeuge im niedrigen
Preissegment sind eher rar. Die Voegelei, sagt Valerij, sei aber viel mehr
als nur Einzelhandel, sie sei ein Ort des Austauschs. „Wir stehen für
Fragen bereit, und wer möchte, kann mit uns über seine sexuellen Ängsten
und Wünsche sprechen.“
Valerij bietet Sexual- und Paarberatung an, und sofern es die
Coronapandemie zulässt, finden Workshops statt, zum Beispiel Bondage-,
Blowjob- oder Kommunikationsworkshops. „Vielen Menschen fällt es schwer,
ihren Partner*innen von ihren sexuellen Vorlieben zu erzählen – auch ich
war früher total verklemmt. Im Workshop wollen wir Tipps geben, wie man das
überwinden kann“, sagt er.
Valerijs übergeordnetes Ziel ist es, falsche Idealbilder von Sex abzubauen.
Mit falschen Idealbildern meint er etwa die Vorstellung, dass Menschen mit
Penis beim Sex „lange durchhalten“ müssen, Blowjobs ein Muss sind oder die
Penetration „hart und fest“ sein sollte. „Wer versucht, diese Erwartungen
zu erfüllen, macht sich unnötig Druck und hat höchstwahrscheinlich keinen
schönen Sex.“ Sexualität, und das betont Valerij immer wieder, sei
vielfältig, es gebe kein Normal, kein Ideal. „Unser Laden soll Menschen
dazu ermuntern, ihre eigene, einzigartige Sexualität zu entdecken – und
auszuleben.“
17 Aug 2021
## LINKS
[1] /Sexpertin-ueber-Public-Pussy-Power/!5714353
## AUTOREN
Rieke Wiemann
## TAGS
sex-positiv
Queer
Leipzig
Lesestück Interview
sexuelle Selbstbestimmung
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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