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# taz.de -- Buch von US-Historiker Alan Mikhail: Die Muslime der Karibik
> Kolumbus als Kämpfer gegen den Islam: Historiker Alan Mikhail wählt im
> Buch „Gottes Schatten“ eine neue Perspektive auf die Geschichte des
> Westens.
Bild: Erdogan benannte die dritte Bosporus-Brücke nach seinem Lieblingssultan …
Entdeckten Muslime Amerika und nicht Christoph Kolumbus? [1][Als der
türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan vor ein paar Jahren
öffentlich diese These vertra]t, erntete er schallendes Gelächter.
Wissenschaftler konnten dem islamistischen Hobbyhistoriker nachweisen, dass
er einen Logbucheintrag von Kolumbus, in dem der Seefahrer die Ähnlichkeit
eines Bergs auf Kuba mit einer Moschee beschrieb, falsch verstanden hatte.
Der US-amerikanische Historiker Alan Mikhail macht sich in seinem jüngsten
Buch Erdoğans skurrile These nicht zu eigen. Aber er verändert den Blick
auf die Bedeutung des Islam für die Geschichte. Die weltpolitische
Bedeutung des Osmanischen Reiches wird hierzulande meist mit Süleyman,
genannt der Prächtige, verbunden, der einst Wien belagerte. Doch für den
Geschichtsprofessor in Yale, Jahrgang 1979, ist dessen Vater Selim
derjenige, der das Osmanische Reich zu dem eigentlichen Global Player des
15. Jahrhunderts machte.
Mikhail teilt den Abscheu vor dem Mann, den der italienische Historiker
Paolo Giovio zu „den größten asiatischen Tyrannen“ zählte, die „die
Weltgeschichte gekannt hat“. 1470 geboren, stürzte er seinen Vater Bayezid
und ließ seine fünf Halbbrüder erdrosseln, um auf den Thron zu kommen.
Seinen zweifelhaften Ruf verdiente sich der Sunnit, als er 40.000 Schiiten
hinrichten ließ.
## Das Reichsgebiet verdreifacht
Auf der Habenseite verbucht Mikhail dennoch, dass Selim in nur acht Jahren
Regierungszeit sein Reichsgebiet verdreifachte, die Mameluken in Ägypten
und die Safawiden im Iran niederkämpfte, sich die heiligen Stätten in Mekka
und Medina sicherte und als erster osmanischer Sultan das Schwert des
Kalifen und den Umhang des Propheten umlegte.
Bestand Europa zu Selims Lebzeiten aus einem Flickenteppich zerstrittener
Stadtstaaten und Königreiche, erstreckte sich Selims Reich über drei
Kontinente. Mit der Entdeckung des Kaffees während eines Feldzugs gegen den
Jemen etablierte er gar das erste globale Handelsgut. Erst diese
furchteinflößende Stärke, so Mikhail, habe die Europäer nach Westen
getrieben. Es war also eine symbolische Demonstration, dass der Potentat
Erdoğan [2][2016 die dritte Bosporus-Brücke nach seinem Lieblingssultan
benannte].
Überzeugend weist Mikhail in einer akribischen Analyse vieler neuer Quellen
nach, dass es Kolumbus bei seiner Expedition in erster Linie darum ging,
den christlichen Großkhan in China zu einem Bündnis gegen den Islam zu
gewinnen. Es ist verblüffend zu lesen, wie der Mann aus Genua die indigenen
Bewohner in der Karibik und später Südamerika unter der Brille der
muslimischen Gefahr wahrnahm, mit der er aufgewachsen war. Deswegen mussten
Sklaven aus Westafrika die unsicheren Kantonisten als Arbeiter in den neuen
Kolonien ersetzen.
Mikhails Buch ist glänzend geschrieben, packend, mitunter suggestiv
erzählt. Es ist das Musterbeispiel eines ideologiekritischen Augenöffners,
so wie es das Narrativ vom Aufstieg des Westens dekonstruiert. Kein Wunder,
dass das Buch in den USA und Großbritannien eine heftige Kontroverse
auslöste. Eine Fraktion bemängelte es als Rückfall in ein Verständnis, das
Geschichte als die der großen Männer interpretiert. Andere lobten den
„erfrischenden“ Perspektivwechsel der „revisionistischen Darstellung“,
zu dem sich Mikhail gleich zu Beginn seines Buches bekennt.
Selbst Luthers Reformation, so Mikhail, verdankt ihren Siegeszug Selim.
Weil seinen Widersachern der Kreuzzug gegen den Islam wichtiger war als der
gegen den Ketzer in Wittenberg, gewann Luther Zeit.
Die politische Bedeutung von Mikhails Buch liegt darin, dass er eine Linie
von dem Islamhass des 15. Jahrhunderts bis zu dem Feindbild Islam heute
zieht. An dem nicht viel geändert hat, dass in Amerika inzwischen
tatsächlich jede Menge Moscheen stehen.
11 Aug 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Sachbuch
Geschichte
Kolumbus
Kolonialismus
Islam
Islam
Kolonialismus
Schwerpunkt Türkei
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