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# taz.de -- Die Wahrheit: Lob der Kanonenkugel
> Vor genau 50 Jahren erfanden die Briten eines der verheerendsten Mittel
> der Nordirlandpolitik: die Internierungen ohne Anklage.
Bild: Tausende waren aus ganz Irland angereist, um des Bloody Sunday zu gedenken
Es war einer dieser vermeintlichen Geistesblitze, die britische Politiker
bisweilen überkommen. Heute vor 50 Jahren führte der unionistische
nordirische Premierminister Brian Faulkner auf Geheiß des Londoner
Innenministers Reginald Maudling Internierungen ohne Anklage ein.
Am frühen Morgen des 9. August 1971 verhafteten britische Soldaten 340
Menschen – fast alles Katholiken. Es sollte ein entscheidender Schlag gegen
die Irisch-Republikanische Armee (IRA) werden, doch der Schuss ging nach
hinten los: Die IRA bekam erheblichen Zulauf, und weil sie zuvor Wind von
den geplanten Internierungen bekommen hatte, war niemand von der
IRA-Führung zu Hause. Die meisten der Verhafteten hatten gar keine
Verbindung zur IRA. Das schützte sie nicht vor der Folter durch die
Soldaten.
Mein Freund Michael zum Beispiel bekam nicht mal Zeit, sich Schuhe
anzuziehen und musste im Gefängnishof barfuß über Glasscherben laufen,
während man Schäferhunde auf ihn hetzte. Liam, ein anderer Freund, wurde in
einen Hubschrauber verfrachtet. Man verband ihm die Augen, flog eine Weile
herum und warf ihn dann hinaus. Er wusste nicht, dass der Hubschrauber nur
einen Meter über dem Boden schwebte.
Die Drahtzieher der Internierungen, Maudling und Faulkner, hatten wenig
Glück mit ihren Karrieren. Die beiden waren auch verantwortlich für die
Morde an 14 unbewaffneten Demonstranten, die von britischen
Fallschirmjägern im nordirischen Derry am Bloody Sunday im Januar 1972
erschossen wurden. Bei der Anhörung im Londoner Unterhaus behauptete
Maudling, die Demonstranten hätten zuerst geschossen.
Der jüngsten Unterhausabgeordneten aller Zeiten, Bernadette Devlin, die bei
der Demonstration dabei gewesen war, platzte daraufhin der Kragen.
Eigentlich wollte sie sich der zeremoniellen Keule bemächtigen, ohne die
das Parlament nicht tagen darf, denn sie repräsentiert die Macht der
Königin. Als Devlin klar wurde, dass die Keule zu schwer für sie war,
verpasste sie Maudling stattdessen eine Ohrfeige. Wenig später musste
Maudling zurücktreten, weil er gleich in drei Finanzskandale um Betrüger
und Hochstapler, für die er gearbeitet hatte, verwickelt war. Aus lauter
Kummer wurde er zum Alkoholiker und starb im Alter von 61 Jahren an
Leberzirrhose.
Sein Komplize bei den Internierungen und beim Bloody Sunday, Brian
Faulkner, ist nur 56 Jahre alt geworden. Ihm wurde sein Hobby, die Jagd,
zum Verhängnis. Als er 1977 in der nordirischen Grafschaft Down hinter
einem Fuchs her war, stolperte sein Lieblingspferd Cannonball, ein
achtjähriger Hengst. Er warf ihn ab und fiel dann auf ihn drauf. Faulkner
war sofort tot. Er war erst 24 Tage zuvor von der Queen in den Adelsstand
erhoben worden.
Wenigstens konnten seine Angehörigen „Baron Faulkner of Downpatrick“ auf
den Grabstein meißeln lassen. In Derry hingegen hängt in vielen Häusern
noch heute ein Porträt von Cannonball.
9 Aug 2021
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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