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# taz.de -- Neue Öko-Frachter unter Segeln: Vom Zylinder gezogen
> Der Ostfriese Ralf Oltmanns will mit einer 100 Jahre alten Idee die
> Frachtschifffahrt umweltfreundlicher machen. Der Erfolg bleibt bisher
> noch aus.
Bild: Die „Annika Braren“ mit Flettner-Rotor im Nord-Ostsee-Kanal
Leer taz | Die Zukunft der Frachtschifffahrt kommt womöglich aus einer
Werbeagentur in Ostfriesland.
Sie gehört Kapitän Ralf Oltmanns, dessen Vater auch schon Kapitän war, und
der von sich sagt, dass damals auch gar kein anderer Beruf für ihn infrage
kam. Nachdem er fünf Jahre zur See gefahren war, lernte er trotzdem erst
einmal Schaufenstergestalter und wurde Anzeigenverkäufer in Leer. Kapitän
wurde er dann auch noch, aber erst mit Mitte 40.
Sein Geld verdient Oltmanns weiter mit Reklame. Denn von seiner Idee kann
er bislang nicht leben. Dabei glauben manche, dass sie die Schifffahrt
revolutionieren wird. Also viel umweltfreundlicher machen.
Dass das nötig ist, ist klar. Mittlerweile ist das aber nicht mehr nur eine
Forderung irgendwelcher Ökos, sondern auch eine kaufmännische
Notwendigkeit. Denn bis 2050 soll der [1][Kohlendioxid-Ausstoß der Schiffe
halbiert] werden, verglichen mit 2008. Das hat die Internationale
Seeschifffahrtsorganisation IMO beschlossen.
## Der Zylinder, der ein Segel ist
Außerdem gibt es nun einen [2][Energieeffizienzindex], wie man ihn von
Kühlschränken und Autos kennt. Auch den hat die IMO beschlossen. Er
verpflichtet nahezu die gesamte fahrende Welthandelsflotte, ab 2023
schärfere CO2-Emissionswerte einzuhalten. Also besinnt man sich wieder
darauf, den unerschöpflichen, aber eben auch unkalkulierbaren Wind für
Frachtschiffe zu nutzen.
Hier kommt die Idee von Kapitän Oltmanns ins Spiel. Auf den ersten Blick
scheint sie gar nichts mit Segeln zu tun zu haben, oder wenigstens mit
Windenergie. Denn sein „Flettner-Rotor“ sieht eher aus wie der Schornstein
eines Dampfschiffes. Und man versteht nicht gleich, wie er funktioniert.
Doch technisch betrachtet, ist der Flettner-Rotor vielem überlegen, was
sonst entwickelt wurde und wird, um Frachtschiffe mit der Hilfe des Windes
voranzubringen. Das bestätigt auch Kapitän Michael Vahs, Professor an der
Hochschule Emden/Leer, der seit mehr als 15 Jahren an Windantrieben für
Seeschiffe forscht. Denn wo andere 500 Quadratmeter Tuchsegel an mehreren
großen Masten brauchen, reichen bei Oltmanns gut 50.
Um zu verstehen, warum das System so toll ist, muss man etwas ausholen.
Immerhin hat sogar Albert Einstein gesagt, „der besondere Reiz“ dieser
Rotoren sei, dass ihre Wirkungsweise „dem Laien meist ein Mysterium bleibt,
trotzdem dabei nur rein mechanische Wirkungen zur Verwendung kommen, die
jeder gefühlsmäßig zu beherrschen glaubt“.
## Wie bei der Bananenflanke
An dieser Stelle käme der Satz von Bernoulli ins Spiel, von dem Sie in
Physik vielleicht schon mal gehört haben. Aber das Ganze ist zu
kompliziert, um es hier zu erklären. Außerdem ist da noch ein Effekt, der
nach einem Herren namens Magnus benannt ist, der im 19. Jahrhundert lebte
und zeigen konnte, wie die aus dem Fußball bekannte Bananenflanke
funktioniert. Das Prinzip ist, rein physikalisch, dasselbe wie hier.
Kurz gesagt ist der Flettner-Rotor ein Zylinder, der dem Wind ausgesetzt
wird und mithilfe eines Elektromotors rotiert. Dabei entsteht eine Kraft
quer zur Anströmung des Windes, die man zum Vortrieb nutzen kann. Benannt
ist das Ganze nach einem gewissen Anton Flettner, der sich das als
Schiffsantrieb patentieren ließ. Das ist schon 100 Jahre her. Doch weil
sich erst einmal die Schiffsdiesel durchsetzten, geriet die Idee in
Vergessenheit.
Flettner ließ Anfang der Zwanzigerjahre einen Dreimastschoner umbauen, die
„[3][Buckau]“. Ralf Oltmanns hat schon als Kind ein Bild davon gesehen, in
einem Magazin, auf dem Schiff seines Vaters. Er fand es damals
„potthässlich“, wie er heute sagt, und hat das Foto deswegen seinerzeit
nicht ausgeschnitten und aufgehoben, so wie viele andere.
Lange Jahre später, an der Seefahrtschule Leer, handelte seine
Abschlussarbeit vom „E-Ship 1“ der Windkraftfirma Enercon aus Aurich, einem
Frachtschiff, das neben einem Dieselantrieb auch [4][Flettner-Rotoren] hat.
Im Vergleich zu herkömmlich angetriebenen Frachtschiffen spart es immerhin
15 Prozent Treibstoff, das entspricht mehr als 5.000 Tonnen Kohlendioxid im
Jahr.
In den vergangenen zehn Jahren hat Ralf Oltmanns, zusammen mit 15 Partnern
aus der maritimen Industrie, einen ganz eigenen Flettner-Rotor entwickelt,
verkauft und im April dieses Jahres in den 86 Meter langen
Mehrzweckfrachter „Annika Braren“ verbaut, der von der Kollmarer Reederei
Rörd Braren betrieben wird.
Sein Rotorzylinder misst 18 Meter in der Höhe und drei im Durchmesser, was
einer Segelfläche von 54 Quadratmetern entspricht. Oben und unten sind
große Endscheiben mit sechs Metern Durchmesser verbaut, um den Wirkungsgrad
zu verbessern.
„Das System funktioniert einwandfrei“, sagt Geschäftsführerin Anna Braren…
„und der Schub des Rotors ist auch für die Crew merklich“: Bei gleichem
Tempo könne die Maschinenleistung um bis zu 20 Prozent gedrosselt werden.
Dabei richtet die Crew ihren Kurs nicht nach dem Wind aus, wie es
Segelschiffe tun; sie nimmt einfach den Wind mit, der entlang des Weges eh
weht.
2018 gab es bereits ein Erprobungsschiff, die 90 Meter lange „Fehn Pollux“,
ein Mehrzweckfrachter, auf dem ein ähnlicher Rotor der Firma Eco Flettner
von Oltmanns verbaut war. Das Projekt wurde von Michael Vahs und der
Hochschule Emden/Leer wissenschaftlich begleitet – und übererfüllte die
Erwartungen der WissenschaftlerInnen deutlich.
## Mehr Schub als die Hauptmaschine
„Bei optimalen Bedingungen bringt dieser Prototyp mehr Schub als die
Hauptmaschine“, sagt Vahs – „und wir können jetzt auch belegen, dass sich
die Investition für Schiffseigner nach wenigen Jahren amortisiert“. Vahs
geht bei den aktuellen Kraftstoffpreisen von fünf bis sieben Jahren aus –
„aber das ist für viele Reeder nicht so richtig heiß“, das Geschäft sei
eben sehr schnelllebig.
Die Geschwindigkeit der „Fehn Pollux“ nahm bei voller Rotorleistung von 280
Umdrehungen pro Minute von 14 auf fast 19 Stundenkilometer zu – gemessen
wurden Treibstoffeinsparungen um mehr als 15 Prozent. „Das hohe
Leistungspotenzial von Flettner-Rotoren wurde also nachgewiesen“, sagt
Vahs. Und was noch wichtiger ist: Ein Rotor auf dem Vorschiff lässt sich
heute schon „auf einem erheblichen Teil der Welthandelsflotte
installieren“, sagt Vahs.
Das System kombiniere eine hohe Segelleistung bei minimalem Platzbedarf,
arbeite vollautomatisch und sei robust gegen Verschleiß, so Vahs – anders
als Konzepte, die auf herkömmliche Segel setzen, also teure Masten und viel
Wartung brauchen, zudem eine gut ausgebildete Crew. Auch die
automatisierten Zugdrachen der Hamburger Firma [5][Sky Sails] – einst
Pioniere im Markt –hätten eine „viel filigranere Technik“, so Vahs.
## Knöpfchen drücken
Um einen Flettner-Rotor zu benutzen, müsse man nicht mal wirklich segeln,
sondern im Grunde „nur Knöpfchen drücken“ können, sagt Oltmanns, und das
funktioniert bis Windstärke neun, also auch im Sturm. Ein Tuchsegel nicht,
das muss man dann einholen. Außerdem muss die Reederei niemanden extra
anheuern, um so einen Flettner-Rotor zu bedienen. Das macht der wachhabende
Offizier von der Kommandobrücke aus. Das wäre auf einem konventionell
besegelten Schiff kaum denkbar.
Allerdings braucht so ein Rotor viel freie Fläche an Deck, damit der Wind
optimal strömen kann. Herkömmliche Containerschiffe scheiden für diese
Technologie also bislang noch aus, denn sie türmen ihre Ladung an Deck hoch
auf, weswegen sie von dort immer wieder mal ins Meer fällt. „Aber wer sagt,
dass die Containerschiffe so bleiben?“, entgegnet Oltmanns.
Derzeit fahren weltweit sieben Schiffe mit einem Flettner-Rotor, 24 weitere
Projekte hat Ralf Oltmanns in den letzten zwölf Monaten durchgerechnet. Zum
Beispiel das eines 250 Meter langen Tankers, der sechs Flettner-Rotoren mit
je 150 Quadratmetern Segelfläche bekommen soll. Unter optimalen
Windbedingungen wie etwa im Nordatlantik soll das Schiff seinen ganzen
Vortrieb aus den Windrotoren gewinnen können.
Damit würde dieser Tanker nach Oltmanns’ Kalkulation 8.876 Tonnen
Kohlendioxid im Jahr weniger ausstoßen als bisher, wenn das Schiff an 260
Tagen unterwegs ist. Mehr als zehn Tonnen Schweröl pro Tag würden nicht
verbrannt – beim derzeitigen Ölpreis könnten also über 1,1 Millionen Euro
an Treibstoffkosten eingespart werden.
## Die Kosten entscheiden
Trotz aller Vorteile hat sich das System bisher noch nicht durchgesetzt.
Das war schon in den Achtzigern so, als der Flettner-Rotor dank der
Ölkrisen das letzte Mal eine kleine Renaissance feierte. „Die Einsicht,
sich wieder mehr den regenerierbaren Energieressourcen zuzuwenden, beginnt
in allen großen seefahrenden Nationen wieder mehr in den Vordergrund zu
rücken“, schrieb ein Fachmagazin 1986 über damals neu entwickelte
Flettner-Rotoren – von einer „Einladung an die notleidende Werftindustrie“
war gar die Rede.
Nun, die Einsicht erreichte leider nur wenige. Warum? „In der
Handelsschifffahrt sind immer die Kosten entscheidend“, sagt Vahs. „Zurzeit
ist immer noch alles abhängig vom Treibstoffpreis“, sagt Oltmanns – und der
ist schlicht zu wechselhaft:
Vor sieben, acht Jahren war er erheblich höher als heute. „Wenn es
betriebswirtschaftlich keinen Sinn macht, Kohlendioxid einzusparen – wo
bleibt dann der Vorteil für den Schiffsbetreiber?“ Den gibt es erst dann,
wenn die Klimaziele der IMO verbindlich umzusetzen sind. Zumal den
Treibstoff in der Regel der Charterer bezahlt, nicht die Reeder des
Schiffes.
Warum hat die [6][Reederei Rörd Braren] trotzdem investiert? „Uns liegt die
Umwelt sehr am Herzen“, sagt Anna Braren, in der Vergangenheit bekam die
Reederei deshalb schon den [7][Blauen Engel und den Europäischen
Umweltpreis].
Die „Annika Braren“ fährt derzeit zwischen Schweden und England. Sie ist
aus Sicht der Reederei vor allem für die Nord- und Ostsee geeignet, die
laut Umweltbundesamt zu den am dichtesten befahrenen Weltmeeren gehören.
Doch Charterer entscheiden nicht allein nach ökologischen Standards, sagt
Anna Braren – „auch wenn es zunächst erst mal alle gut finden“, dass die
Reederei sich für mehr Umweltschutz engagiert.
## Es fehlt das „Yachtambiente“
Und mediale Aufmerksamkeit bekommt man eher mit einem Sky Sail oder mit der
Projektzeichnung eines Ozeanriesen, auf dem vier, vielleicht sogar fünf
Masten stehen. Derzeit kursieren einige davon, keine dieser Ideen ist
bislang gebaut und erprobt.„Faszination spielt eine Rolle“, sagt Vahs, und
das, was er „Yachtambiente“ nennt. Denn so eine Idee wie die von Ralf
Oltmanns muss sich eben auch verkaufen, und da hat der Flettner-Rotor ein
Problem: Rein optisch macht er nicht viel her. Seefahrerromantik kommt hier
keine auf.
„Ich bin davon überzeugt, dass sich die Flettner-Rotoren durchsetzen
werden“, sagt Oltmanns trotzig. „Wir Ostfriesen geben sowieso nicht auf.“
Er nennt sich einen „Optimisten“. Oltmanns sei „kein Traumtänzer“, sagt
sein Ausbilder Michael Vahs über ihn – „er glaubt zu Recht an die Sache“.
Doch am Markt funktionieren, da sind sich alle Beteiligten einig, wird auch
der Flettner-Rotor nur, wenn die Politik die Rahmenbedingungen dafür
schafft. „Der Schaden, den das Kohlendioxid anrichtet, muss mit eingepreist
werden“, sagt Oltmanns. Oder andersherum: „Wer Emissionen verhindert,
sollte dafür belohnt werden.“ Dann werden auch Windantriebe auf Schiffen
wirtschaftlich.
## Deutschland „verliert zunehmend an Boden“
Technologieführer bei den Rotorsegeln ist derzeit die finnische Firma
Norsepower, Oltmanns’ Firma Eco-Flettner beschreibt Forscher Vahs als
„klein, aber versiert“. Deutschland habe bisher noch eine weltweite
Spitzenposition inne, „verliert jedoch zunehmend an Boden bei der
Markterschließung“. Immerhin gibt es seit Kurzem eine neue Förderung des
Bundesverkehrsministeriums, die bei Insidern nur „[8][NaMKü]“ heißt, und
SchiffseignerInnen bis zu 55 Prozent der Kosten zahlt.
Vorerst muss Ralf Oltmanns aber weiter damit leben, gegen den Wind zu
arbeiten, daheim in Ostfriesland. Und Ausdauer beweisen. Ja, 2007, als er
anfing, mit den Flettner-Rotor, da habe er gehofft, „dass die Welt
schneller reagiert“. Doch den 62-Jährigen ficht das nicht an. Er ist einer,
den der Klimawandel und seine Folgen für Ostfriesland umtreiben, auch die
Frage, was auf dem flachen Land passiert, wenn das Wasser kommt. Sein Haus
steht deshalb auf einem Geestrücken. Sechs Meter über dem Meeresspiegel.
6 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/WS/reduktion-emissionen-internati…
[2] https://www.deutsche-flagge.de/de/umweltschutz/luft-energieeffizienz/energi…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Buckau_(Schiff)
[4] http://flettner-rotor.de/
[5] https://skysails-group.com/
[6] https://reedereibraren.com/
[7] https://veus-shipping.com/2021/05/bei-braren-dreht-sich-alles-um-den-wind/
[8] https://www.namkue.de/
## AUTOREN
Jan Zier
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