# taz.de -- „Morgenandacht“ im Deutschlandfunk: Christonormatives Radio | |
> Beide Kirchen haben exklusive Sendefenster im öffentlich-rechtlichen | |
> Rundfunk. Warum haben andere Glaubensgemeinschaften das nicht? | |
Bild: Filme wie „Die Kirche bleibt im Dorf“ sind das eine, Morgenandacht wa… | |
Neulich habe ich mein Bad wiedermal geflutet. Ich stand unter der Dusche | |
und musste, während das Wasser lief, plötzlich zum Radio auf dem Regal | |
sprinten und den Sender wechseln. Es erklang nämlich dieser | |
christonormative Singsang, mit dem ich früh morgens um halb sieben lieber | |
nicht meinen Tag beginnen möchte. [1][Im Deutschlandfunk lief die Sendung | |
„Morgenandacht“], die von den christlichen Kirchen produziert und vom | |
größten öffentlich-rechtlichen Informationsangebot im deutschen Radio | |
ausgestrahlt wird. | |
Als also ein taz-Kollege – der morgens ebenfalls regelmäßig sein Bad | |
flutet, um den Sender zu wechseln – mir von seinem Unbehagen berichtete, | |
fühlte ich mich nicht mehr alleine. Immerhin bilden zwei Individuen schon | |
eine kleine Minderheit. Ich machte mich also an die Arbeit und stellte mir | |
zu Beginn zwei Fragen: Was sagt es über die deutsche Medienlandschaft aus, | |
dass die evangelische und die katholische Kirche exklusive Sendefenster in | |
gemeinschaftlich finanzierten Programmen bekommen? Und was sagt es über die | |
deutsche Medienlandschaft aus, [2][dass andere (religiöse) Minderheiten | |
dies nicht bekommen]? | |
Über etwas zu schreiben, dem ich aus dem Weg gehe: Das geht gar nicht. | |
Deswegen habe ich mich neulich frisch geduscht, abgetrocknet, angezogen an | |
den Schreibtisch gesetzt und mir die Sendung Morgenandacht angehört. Auf | |
der Internetseite des Deutschlandfunks gibt es ein Archiv des | |
Kirchenformats. Ich habe auf der Seite willkürlich auf Play-Symbole | |
geklickt: „Gott ist die Liebe“, sagt eine sanfte Frauenstimme. Die Wörter | |
„Liebe“ und „lieben“ kommen in dem etwas mehr als vierminütigen Beitrag | |
(ich habe penibel nachgezählt) 27 Mal vor. „Liebe ist wie Beton, es kommt | |
drauf an, was man draus macht“, heißt es. Okay, denke ich. | |
Bei einer anderen Morgenandacht geht es um Wolfgang Amadeus Mozart und | |
seinen Rivalen Antonio Salieri. Ich bin dabei weggedöst, weil die | |
Sprecherstimme seicht-hypnotisch auf mich wirkte. Wie die meisten Sendungen | |
endet auch diese Folge mit einem Bibelvers. | |
Hinter einer anderen Folge, der Sprecher ist ein Mü dynamischer, verbirgt | |
sich so eine Art Ratgeber: Was tun, wenn die Stimmung schlecht ist? Die | |
Antwort liegt, wie könnte es anders sein, in der Bibel und in Jesus | |
Christus. Das Schema der Sendung ist also klar: Alltagssituation | |
beschreiben, alles möglichst wolkig formulieren, mit einem Bibelvers | |
verbinden, Jesus preisen. Immer ein Hauch von Missionierung im Subton, | |
klingt alles so wie in der Kirche halt. | |
## Seichte Inhalte mit Liebe und Gott | |
Ich habe im Studium viel anthropologisch gearbeitet. Und in der | |
Anthropologie spielt Religion eine zentrale Rolle als Forschungsobjekt. Ich | |
bin also nicht der Typ Autor, der sich über gläubige Menschen herablassend | |
lustig macht. Obwohl ich selbst nicht glaube, geht es darum, Glauben zu | |
verstehen, [3][seine Wirkungsmacht auf Individuen] und eben auch auf | |
Strukturen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erforschen. | |
Religion bestimmt an vielen Orten, an wen Ressourcen verteilt werden und | |
wer leer ausgeht. Mir liegt es fern, diese Sendungen lächerlich zu machen – | |
obwohl ich ja mein Bad deswegen regelmäßig flute. Eher stellt sich die | |
Frage, ob nicht andere Glaubensgemeinschaften auch ein Anrecht auf seichte | |
Inhalte mit Liebe und Gott und bisschen Ratgeber haben. Vielleicht auch auf | |
ein wenig Missionierungsarbeit auf Kosten der Beitragszahler*innen? | |
Deutschland ist religionspolitisch betrachtet kein neutraler Staat. Am | |
besten kann man das an den Beziehungen zwischen der katholischen und der | |
evangelischen Kirche und dem Staat festmachen. Finanzämter sammeln | |
Kirchensteuer ein, die Kanzlerschaft beginnt – manchmal – mit einem „so | |
wahr mir Gott helfe“ (sicher hatten Angela Merkel und einige ihrer | |
Vorgänger dabei den weißen Jesus vor Augen), Weihnachtsdekoration wird auf | |
Steuerkosten aufgehängt. | |
Das deutsche Staatsverständnis ist also christonormativ, es zentriert und | |
finanziert den christlichen Glauben und macht ihn zur alltäglichen Norm. | |
Öffentliche Räume sind von dieser Christonormativität durchtränkt, nur | |
selten wird dabei gefragt, wie es anders- oder nichtgläubigen | |
Bürger*innen damit geht. Beim gemeinschaftlich finanzierten Rundfunk, | |
der ja auch in die privaten Räume der Menschen schallt, muss diese Frage | |
aber endlich gestellt werden. | |
Auf der Internetseite der Medienanstalt der evangelischen Kirche heißt es: | |
„Rundfunkstaatsvertrag, Landesmediengesetze und Sendersatzungen (legen) | |
fest, dass die Kirchen als bedeutsame gesellschaftliche Gruppe im Programm | |
der öffentlich-rechtlichen wie der privaten Sender ‚angemessen‘ zu Wort | |
kommen müssen.“ Die Kirchen leiten ihre direkte und ungefilterte | |
Beteiligung am Rundfunkprogramm aus einer „verfassungsrechtlichen | |
Verankerung“ ab. | |
Und so predigen die Kirchen von Liebe und Gott und Jesus, wie es ihnen | |
passt in der ARD („Das Wort zum Sonntag“), im ZDF (Gottesdienste) und beim | |
aus Steuergeldern finanzierten Auslandssender Deutschen Welle. Bei der DW | |
bekommt der missionarische Beigeschmack mit dem Fokus aufs Ausland noch mal | |
eine ganz andere Intensität. Einige Privatsender stellen den Kirchen | |
Programmfenster bereit: Bei RTL ist es zum Beispiel die Sendung | |
„Bibelclip“, bei Sat.1: „Das gute Wort zum Wochenstart“. | |
In Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz ist der allgemeine Gleichheitssatz | |
formuliert, der den deutschen Staat zur Gleichbehandlung aller Menschen und | |
damit auch aller Gruppen verpflichtet. Bedeutet das, dass ich bald mein Bad | |
bei Sonnenaufgang wegen Mohammedzitaten im Radio flute? | |
## Das Privileg der christlichen Glaubensgemeinschaft | |
Glaubensgemeinschaften, die nicht christlich und anerkannt sind, bekommen | |
das Privileg eigener Kirchenredaktionen derzeit nicht. Hinduistische, | |
jüdische oder muslimische Sendungen gibt es in diesem Sinne also (noch) | |
nicht. | |
Formate im Netz, im Radio und im TV, die sich zum Beispiel mit Judentum | |
oder Islam auseinandersetzen, sind beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk | |
redaktionell eingerahmt. Es sind also Journalist*innen und | |
Redakteur*innen, die hier die Entscheidungen treffen, nicht die katholische | |
Bischofskonferenz mit der eigenen Wahl von Medienbeauftragten, wie es bei | |
den katholischen Angeboten der Fall ist. Bei der evangelischen Kirche ist | |
es ähnlich. | |
Um mir hier nicht selbst was zu predigen, habe ich das Gespräch gesucht. | |
Ich habe Shaykha Halima Krausen angerufen. Sie ist Imamin und Theologin an | |
der [4][Akademie der Weltreligionen] der Universität Hamburg. Krausen sagt | |
am Telefon, dass sie sich im Prinzip schon so etwas wie eine muslimische | |
Morgenandacht vorstellen könne. Wichtig sei, dass sich ein solches Angebot | |
an die allgemeine Zuhörerschaft richte, nicht nur an Muslim*innen. Aber von | |
sich aus fragt sie: „Welche Organisation soll so etwas überhaupt umsetzen?“ | |
Islam ist pure Anarchie. Wer soll stellvertretend für „die Muslim*innen“ in | |
Deutschland eine Sendung gestalten? Aus meiner langen Lebenserfahrung als | |
Mohamed gibt es da nur eine Antwort: Niemand kann das. So eine Organisation | |
gibt es nicht und wird es auch nie geben. Praktikabel ist die muslimische | |
Version des Kirchenfunks also nicht. | |
Im Judentum ist das nicht so anders: „Zwei Juden, drei Meinungen“, heißt | |
es. Deswegen habe ich nur einen Rabbiner kontaktiert und mich zum Thema mit | |
[5][Rabbi Walter Rothschild] ausgetauscht. Rothschild kennt viele Gemeinden | |
in Deutschland, engagierte sich im Sinne des interreligiösen Dialogs und – | |
am wichtigsten – er hat einen exzellenten Humor. Er antwortet ausführlich | |
auf eine Anfrage per E-Mail: „Ich weiß nicht, was ich Ihnen schreiben kann. | |
Ich sehe es nicht als Beleidigung, wenn ein Christ jeden Morgen etwas | |
Nettes und Vernünftiges spricht.“ | |
## Deutlich pluralere Gesellschaft | |
Jüdinnen*Juden würden in Deutschland sogar über die Rundfunkräte | |
beteiligt, auch wenn Rothschild dort einige jüdische Vertreter*innen | |
als „SSP (sehr schwierige Person) und VSIP (Very Self-Important Person)“ | |
bezeichnet. Ich würde mir stundenlange Sendungen mit Rabbi Rothschild | |
reinziehen. Leider denkt er nicht, dass religiöse Minderheit Sendezeit im | |
Radio oder Fernsehen übernehmen sollten. | |
Er habe hier in Deutschland kein Vertrauen in die Institutionen und | |
außerdem gebe es zu wenige Jüdinnen*Juden hierzulande. Er denke nicht, | |
dass seine kleine Minderheit eine Radiosendung „verdiene“. Man solle | |
vielleicht einzelnen Rabinner*innen etwas mehr Möglichkeiten einräumen, | |
sich zu äußern. „Aber die meisten, die ich kenne, haben leider nichts | |
Vernünftiges zu sagen“, witzelt er. | |
Imamin Halima Krausen sagt, dass die Gesellschaft heute viel pluraler als | |
vor zehn, zwanzig, fünfzig Jahren sei. Damals, als dieses christonormative | |
Rundfunksystem gestaltet wurde, dachte niemand an Minderheiten. Auch heute | |
sind sie nicht wirklich präsent in den Entscheidungsräumen. „Ich bin dafür, | |
die ganze Chose abzuschaffen oder andere das auch machen zu lassen“, sagt | |
Krausen. Aber vielleicht lohnt es sich gar nicht, so viele Bäder in diesem | |
Land zu fluten. | |
4 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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