| # taz.de -- Deutschland und das Klima: Der lange Weg ans Licht | |
| > In der Kolumne „Zukunft“ blickt unser Autor ein paar Jahre voraus. Dieses | |
| > Mal geht es um den öffentlichen Nahverkehr, Fleischkonsum und | |
| > Benzinautos. | |
| Bild: Anschauen erlaubt – als Mahlzeit eine eigenartige Vorstellung | |
| Wir schreiben das Jahr 2024. Beim vergeblichen Versuch, ein spanisches Buch | |
| zu lesen, denke ich an die Zeit vor drei Jahren zurück, als es tatsächlich | |
| noch Diskussionen [1][um sogenannte Übersetzungen] gab: Also wer aufgrund | |
| der eigenen Identität womöglich geeigneter sein könnte, um einen | |
| fremdsprachigen Text zu übersetzen. Da steckte die Zivilisation echt noch | |
| in den Kinderschuhen. Für den öffentlichen Nahverkehr musste man bezahlen, | |
| [2][durch die Innenstädte brummten Benzinautos] und Bücher wurden | |
| „übersetzt“. | |
| So etwas wäre heute zum Glück unvorstellbar – man leert ja auch keine | |
| Nachttöpfe mehr auf die Gasse. Das Übersetzungshandwerk liegt neben dem | |
| Bleisatz und den Hexenverbrennungen auf der Müllhalde der Geschichte. Es | |
| ist natürlich nicht formell verboten, doch jeder Verlag, der nicht von | |
| diesem Irrsinn ließe, würde sich zu Recht komplett ins Abseits stellen: Was | |
| für eine bizarre Anmaßung zu glauben, man könne Gedanken aus der einen | |
| Sprache heil in eine andere transportieren. Das erinnert an ganz dunkle | |
| Zeiten, in denen wir wie selbstverständlich Schuhe trugen, weil die | |
| unbedachte Aneignung und Nachahmung tierischer Fortbewegungstools wie | |
| Schwimmflossen oder die ledrige Sohle einer Bärentatze für uns schlicht | |
| kein Problem darstellte. | |
| So etwas muss man sich mal klarmachen – man hat das einfach rotzfrech | |
| gemacht, als ob die Tiere gar nicht da wären, oder nur so eine Art | |
| minderbemittelte Wesen, mit denen man umspringen kann wie man möchte. Man | |
| hat – TRIGGER ALERT: INTENSE VIOLENCE! – [3][Tiere sogar gegessen!] Noch | |
| bis vor Kurzem lebten sie nicht als unsere Nachbarn in der Wohnung nebenan, | |
| sondern waren in primitive Ställe eingesperrt, aus denen man sie mit Gewalt | |
| herauszog, ermordete und briet. | |
| Das wird an Abscheulichkeit im Grunde nur noch von den Übersetzungen | |
| getoppt. Die smarten Cree-*Indianer* (das wiederum sagt man jetzt wieder, | |
| [4][seit Sahra Wagenknecht] Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes ist) | |
| hatten auch dafür einmal mehr den passenden Spruch parat: „Wo das | |
| Bleichgesicht scheinbar in unserer Zunge spricht, klingt in unseren Ohren | |
| nur das Kläffen eines Köters wider.“ | |
| Erstaunlich, wie der Zeitenwandel dafür sorgt, dass etwas, das man gestern | |
| für völlig korrekt hielt, einem heute unvorstellbar peinlich erscheint. Das | |
| Wissen, dass auch ich selbst ein aktiver Teil dieser geistigen und | |
| moralischen Finsternis war, lastet wie eine Verstopfung auf meiner Seele. | |
| Und endlich verstehe ich die Worte meines treuen Futurologen Zbigniew: | |
| „Scham ist das Exkrement der Schuld.“ | |
| 29 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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