Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bidens Europareise: Hart, aber freundlich
> Bei seiner ersten Europareise als US-Präsident hatte Biden volles
> Programm: G7-Gipfel, Treffen mit Nato, EU und Putin. Eine Bilanz.
Bild: Immer schön lächeln: Joe und Jill Biden beim G7-Gipfel in Cornwall
## Erste Schritte
Ursula von der Leyen war spürbar erleichtert. Die EU und die USA hätten
einen „wichtigen Schritt zur Lösung des längsten Handelsstreits in der
Geschichte der Welthandelsorganisation WTO“ gemacht, sagte die Präsidentin
der Europäischen Kommission nach ihrem [1][Gipfel mit US-Präsident Joe
Biden in Brüssel]. Die vereinbarte Ruhe im Subventionsstreit über Airbus
und Boeing zeige den „neuen Geist der Zusammenarbeit“ mit Amerika.
Doch der transatlantische Geist wirkt keine Wunder, auf die Erleichterung
folgte Ernüchterung. So ist es von der Leyen nicht gelungen, ein verhasstes
Instrument von Ex-Präsident Donald Trump unschädlich zu machen: die
US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium. Tagelang hatten die Diplomaten
darüber verhandelt. Die Kompromisssuche ging sogar noch nach dem
EU-USA-Gipfel weiter. Erst zweieinhalb Stunden später stand das gemeinsame
Statement.
Bidens Team blieb hart – auf Trump-Kurs. Die Strafzölle bleiben, die
Handelsbeauftragte Katherine Tai machte keine Konzessionen. Am Ende war man
sich nicht einmal darüber einig, welches Signal von diesem Gipfel ausgeht.
Während die EU im Waffenstillstand zwischen Airbus und Boeing den Keim
eines transatlantischen Handelsabkommens sieht – manche träumen schon von
einem TTIP 2.0 –, betrachtet ihn die USA als Modell für den Umgang mit
China: Man müsse alten Streit beilegen, um neue Konflikte vorzubereiten,
sagte Tai.
Es ist, als habe es nicht einen, sondern zwei Gipfel gegeben. Und so war es
ja auch: Biden hat seine Linie schon beim G7-Gipfel festgeklopft und China
zum neuen Gegner erklärt. Die Europäer stimmten zähneknirschend zu, um ihre
eigenen Prioritäten – den Klimaschutz, den Wiederaufbau nach Corona und
den Handel – voranzubringen. Doch ausgerechnet beim Handel ziehen die USA
nicht mit. Auch beim Klima gibt es keine nennenswerten Fortschritte.
Inhaltlich hat Europa nicht viel erreicht.
Strategisch dagegen hat der Biden-Besuch fast alles verändert. Plötzlich
wird die EU wieder als Partner geschätzt – und nicht verächtlich gemacht
und bedroht wie unter Trump. Plötzlich sollen die Europäer in der Nato eine
tragende Rolle spielen und den USA den Rücken frei halten. Der große Bruder
ist wieder da und weist den Europäern eine neue Rolle auf der Weltbühne zu.
Allerdings rufen nicht alle Hurra. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
merkte spitz an, dass China auf seiner Weltkarte nicht im Atlantik liege –
ein Seitenhieb auf die Neuausrichtung der Atlantischen Allianz durch Biden.
Kanzlerin Angela Merkel betonte den Dialog; auch künftig werde man mit
China reden müssen. Und die Osteuropäer warnen davor, die Bedrohung aus
Russland zu vergessen.
Die „strategische Divergenz“ sei nicht überwunden, sagt Sven Biscop vom
belgischen Thinktank Egmont. Bidens Europareise habe keine Wende gebracht,
nur einen ersten Schritt zur Neuausrichtung. Ähnlich sieht das der grüne
Europapolitiker Reinhard Bütikofer: „Die transatlantische Partnerschaft
bewegt sich wieder nach vorne. Aber noch nicht auf der Höhe der aktuellen
Herausforderungen.“
Das liegt nicht nur an Biden, der freundlich lächelnd einen harten
Führungsanspruch erhebt. Es liegt auch an den EU-Politikern. Die bitteren
Trump-Jahre haben sie nicht genutzt, um sich aus dem Schatten der USA zu
lösen und „ein Stück weit“ selbstständig zu machen, wie Merkel versproch…
hatte. Man hat zwar über „strategische Autonomie“ geredet, doch erreicht
hat man sie noch lange nicht.
Die Autonomie droht sogar wieder in Vergessenheit zu geraten, wie die
Russlandpolitik zeigt. Beim Biden-Gipfel mit Präsident Wladimir Putin
spielte die EU nicht einmal eine Nebenrolle: Sie war schlicht abwesend.
Eric Bonse, Brüssel
##
## Selbstgerechter Auftritt
„America is back“ – darüber herrscht nach vier Jahren Trump Erleichterung
in Europa. Was aber die USA und Europa noch nicht wahrhaben wollen: Auch
„China is back“. Nach den letzten 200 Jahren, in denen die
transatlantischen Staaten weitgehend die Entwicklung und Geschicke der Welt
bestimmten, will China wieder an die Rolle als Weltmacht anknüpfen, die es
in den 3.000 Jahren vor den Opiumkriegen spielte.
US-Präsident Joe Biden kehrt zwar in einigen Bereichen zur von Donald Trump
verhöhnten multilateralen Diplomatie und Politik zurück. Zugleich aber
[2][bekräftigt er den Anspruch auf eine unilaterale Führungsrolle der USA].
Doch das kann in einer inzwischen multipolar gewordenen Welt mit anderen
globalen Akteuren (China, EU, Russland, Indien) nicht funktionieren. Auch
nicht durch ein Festhalten an militärischer Überlegenheit durch weitere
kostspielige Aufrüstung.
Die Regierungen der transatlantischen Staaten werfen China in den Reden und
Abschlusskommuniqués ihrer Gipfeltreffen das vor, was sie selbst in den
letzten 200 und mehr Jahren getan haben und zum Teil weiterhin tun: „mit
Atomwaffen aufrüsten“, „wirtschaftlichen Einfluss auf die Länder Afrikas
und Asiens nehmen und diese in Abhängigkeit bringen“. Das ist unehrlich und
wird viele Länder im „Rest der Welt“ auch kaum beeindrucken. Mit diesem
geschichtsvergessenen Habitus moralischer Überlegenheit wird es sicher
nicht gelingen, China in Rüstungskontrollbemühungen einzubinden und auf
Welthandelsregeln zu verpflichten.
Der kritische Diskurs mit China über Pekings Verletzung der seit 1948
vereinbarten und universell gültigen Menschenrechtsnormen ist zwar sehr
wichtig und notwendig. Doch die selbstgerechte Weise, wie Joe Biden das in
seiner Genfer Pressekonferenz mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen
der Regierung Putin getan hat, wirkt nur kontraproduktiv. Andreas Zumach,
Genf
## Respektvolle Feindseligkeit
Am Ende setzt sich Russlands Präsident Wladimir Putin gar für seinen
US-Kollegen ein. Schließlich müsse das Bild Joe Bidens in der
Öffentlichkeit zurecht gerückt werden, erklärt der Kremlherrscher am Tag
[3][nach dem Treffen in Genf] vor den Absolventen einer Moskauer
Hochschule. Der Mann sei wach, trotz Jetlag. Er sei „komplett bei der
Sache“, konzentriert und wisse, was er wolle. Er sei eben ein Profi. „Man
muss auf der Hut vor ihm sein.“
An Selbstgerechtigkeit fehlt es Putin nicht. Mit seinem Auftritt zollt er
dem Amerikaner, den Russlands staatsnahe Medien oft als lächerlich, senil
und vergesslich dargestellt haben, aber Respekt. Respekt fordert er auch
von seinem Gegenüber. „Ich spürte in allem den Wunsch, einander zu
verstehen“, sagt Putin.
Washington ebenbürtig zu sein, das ist das Ziel Moskaus. Nach Putins
Bekundungen ändert sich auch prompt der Ton in der Berichterstattung über
Biden. Staatsnahe Fernsehkanäle betonen die Professionalität des
US-Präsidenten, von Spott keine Spur mehr.
Den USA muss mit Vorsicht begegnet werden, das haben die Russen nach dem
Treffen mit Donald Trump in Helsinki vor drei Jahren gelernt. Die Begegnung
wurde positiv gewertet, danach aber erhoben die USA Sanktionen. Für
Russland geht es nun darum, wie Biden das Treffen zu Hause verkauft und ob
es ihm gelingt, seine Partei und seine Gegner davon zu überzeugen, dass es
sich gelohnt hat.
Die Russen selbst werten die Gespräche als Erfolg, weil sie sich darin
bestärkt sehen, ihre Agenda durchgesetzt zu haben. Sie halten die
Amerikaner grundsätzlich für die Zerstörer gegenseitiger Beziehungen und
loben Biden nun dafür, dass er die Situation entschärft habe. Die
Feindseligkeit sei nicht weg, aber es sei nun eine respektvolle
Feindlichkeit, sagt ein regierungskritischer politischer Beobachter. Eine
Art Ruhepause, die wohl nicht zur weiteren unkontrollierten
Verschlechterung der Beziehungen führt.
Und wenn doch, dann sind – natürlich – die Amerikaner schuld: Das ist das
übliche Narrativ der Russen, an dem auch Genf nicht hat rütteln können.
Ohnehin lobt man in Moskau die „klassischen Zeiten“ und meint damit den
sowjetisch-amerikanischen Umgang miteinander wie in den 1970er Jahren.
Keine amerikanischen Lektionen in Sachen Demokratie, keine Zweifel an der
Souveränität Russlands. Als Grundlage für die Zusammenarbeit scheint das
den Russen das geeignetste Instrument zu sein.
Vor allem das knappe Kommuniqué zur strategischen Stabilität, auf das man
sich verständigt hat, wertet Moskau als großen Erfolg. Die Einrichtung von
Arbeitsgruppen wird der nächste Schritt sein. Auch die Botschafter sollen
an ihren Arbeitsort zurückkehren. Das zeigt die Bemühungen beider Staaten,
sich auf diplomatischer Ebene näher zu kommen. Dass sich im Bereich der
Cybersicherheit etwas bewegen soll, sieht Moskau als seinen Verdienst an.
Schließlich seien es die USA, die da vehement störten.
Kritik an sich selbst lässt Russland nicht gelten. Nicht nur beim Thema
Hacking: Gekontert wird stets mit lässiger Art des „Whataboutism“, etwa im
Umgang mit Fragen nach dem Kremlkritiker Alexei Nawalny – den Putin auch
dieses Mal nicht beim Namen nennt – und nach Russlands
außerparlamentarischer Opposition. Dass sich der Kremlherr in Widersprüche
verwickelt, die ans Absurde grenzen, und dreist lügt, ist der übliche
Umgang, um Unsicherheit zu streuen. Putin rückt von keiner seiner
Positionen ab.
Das ist das Bild, was das russische Publikum bekommen soll: Alles, was
Russland tut, tut es, weil es sich im Recht sieht. Inna Hartwich, Moskau
18 Jun 2021
## LINKS
[1] /Gipfeltreffen-zwischen-USA-und-EU/!5778780
[2] /Abschluss-des-G7-Gipfel-in-Cornwall/!5778562
[3] /Treffen-von-Putin-und-Biden/!5779639
## AUTOREN
Eric Bonse
Andreas Zumach
Inna Hartwich
## TAGS
Joe Biden
Wladimir Putin
Nato
Europäische Union
Gipfeltreffen
Türkei
G7-Gipfel
Russland
Joe Biden
## ARTIKEL ZUM THEMA
EU-Gipfel in Brüssel: „Das betrübt mich etwas“
Der deutsch-französische Vorstoß zu einem Treffen mit Putin ist
gescheitert. Annäherung gibt es mit der Türkei: Ankara darf auf Milliarden
hoffen.
Treffen von Putin und Biden: Verkehrte Welt in Genf
Biden und Putin sprechen wieder. Das ist gut, doch die getrennten
Pressekonferenzen der beiden Mächtigen brachten einige Gewissheiten ins
Wanken.
Gipfeltreffen von Biden und Putin: Kleine Gesten der Hoffnung
Niemand erwartet, dass beim ersten Treffen des neuen US-Präsidenten Joe
Biden mit Russlands Wladimir Putin viel herauskommt. Vielleicht trügt das.
Gipfeltreffen zwischen USA und EU: Dem „Whisky-Frieden“ zum Trotz
Das Treffen zwischen US-Präsident Biden und EU-Vertretern endet mager.
Näher kommt man sich vor allem als gemeinsame Front gegen China.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.