| # taz.de -- Rudelgucken bei der Fußball-EM: Flatscreens und Flipcharts | |
| > Manche haben noch nicht mitbekommen, dass wieder Fußball ist. Dafür ist | |
| > das erste Post-Corona-Public-Viewing im Prenzlauer Berg herrlich | |
| > entspannt. | |
| Bild: Bei Tante Käthe am Mauerpark wurde auch geguckt | |
| So richtig rumgesprochen hat es sich noch nicht. „Schau mal, was ist denn | |
| hier los?“, fragt eine junge Frau ihre Freundin und wedelt mit dem Wegbier | |
| in meine Richtung. Die Freundin zwängt sich auf dem Bürgersteig der | |
| Marienburger Straße durch den kleinen Spalt, den Tische und Hocker des | |
| vietnamesischen Restaurants offen lassen. Dann schaut sie ungläubig auf den | |
| großen Bildschirm, den der Besitzer draußen aufgestellt hat. „Fußball“, | |
| lautet die Erklärung an die Freundin. „Ich glaube, da spielt Deutschland.“ | |
| Schon bei der Führung durch das [1][Haus der Statistik], wo ich zuvor war, | |
| dachte ich für einen Moment: Boay ey, Fußball! Public Viewing! Die sind | |
| hier nicht nur stadtpolitisches Vorzeigeprojekt, sondern auch nah dran am | |
| kulturellen Kapital der Massen. Bei näherem Betrachten aber ist der | |
| rechteckige Kasten auf dem Hinterhof zur Berolinastraße kein Flatscreen, | |
| sondern ein Flipchart. Und die Menschen, die davor sitzen, schauen kein | |
| Fußball, sondern stecken ihre Köpfe bei einem Workshop zusammen. | |
| ## Noch ein Platz frei | |
| Ich hatte nicht damit gerechnet, irgendwo noch einen Platz zu finden, um | |
| das Auftaktspiel der Deutschen gegen Weltmeister Frankreich im Freien | |
| gucken zu können. Bis ich beim Nachhauseradeln beim Vietnamesen vorbeikam. | |
| Schnell das Rad abschließen und einen Hocker samt Einzeltisch sichern. Dazu | |
| noch Rindfleischsalat und ein Glas Weißwein, die Europameisterschaft konnte | |
| von mir aus beginnen. | |
| Zum Anpfiff sind alle Tische auf dem Gehweg besetzt. Als ob es kein | |
| WM-Debakel in Russland und kein Abwenden von Langweiler Jogi Löw und seiner | |
| taumelnden Trümmertruppe gegeben hätte, war von einer Sekunde auf die | |
| andere alles wieder abrufbar. Die Spannung vor dem Anpfiff, das „Puh“ und | |
| „Mist“ und „Siehst du nicht …!“, das „Nicht so schlampig!“, und �… | |
| das „Nee, ne!“ beim Eigentor von Mats Hummels und das „Jetzt aber!“. | |
| Bei den Spielen der Deutschen vor der EM hätte ich nach dem Gegentor | |
| Spargel geschält oder das Geschirr aus der Spülmaschine geräumt. Jetzt saß | |
| ich beim Public Viewing und wusste: Ich bin dabei bis zum Abpfiff, egal | |
| was kommt. | |
| Es kam bekanntlich eine Niederlage. Laut war es vor dem vietnamesischen | |
| Restaurant in den letzten Minuten der Nachspielzeit. Auch die Touristen | |
| standen nun um den Fernseher herum. Nicht nur in der Marienburger, sondern | |
| auch in der Sredzkistraße, auf der Schönhauser, fast überall in Prenzlauer | |
| Berg bildeten sich Trauben um die Fernseher auf der Straße. | |
| Nur kurz wundere ich mich über das Lächeln, das mir all das auf die Lippen | |
| zaubert. Dann weiß ich: Die Freude über die Wiederkehr des Rudelguckens ist | |
| größer als der Frust über die Auftaktniederlage. | |
| 16 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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