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# taz.de -- Netanjahu im Nahost-Konflikt: Den Moderaten eine Chance
> Stimmen aus der Zivilgesellschaft fordern das friedliche
> jüdisch-arabische Miteinander in Nahost. Die „Hudna“, ein
> Nichtangriffspakt, wäre der erste Schritt dazu.
Bild: Netanjahu-Gegner hoffen auf eine neue Ära ohne Hetze: „Ende der Zeremo…
Seit dem letzten [1][Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen] macht sich
in Israel die Haltung breit, Regierungschef Benjamin Netanjahu habe „keine
Strategie“ und er habe die Entwicklungen aus eigenen politischen Erwägungen
absichtlich in Richtung militärische Konfrontation gelenkt, damit
letztendlich aber der Hamas einen „Sieg“ beschert.
Selbst wenn die Behauptung richtig ist und die Hamas euphorisch ihren
„Sieg“ feiert, so erscheint die gesamte „strategische“ Diskussion und d…
Suche nach einem „Sieg“ grundlegend falsch. Denn es geht hier um einen
militärischen Sicherheitsdiskurs anstelle einer politischen Debatte.
All jene, die Netanjahu Strategielosigkeit vorwerfen, denken schlicht, dass
sie selbst die bessere Strategie verfolgen, um die Kontrolle Israels über
die Palästinenser zu stärken und das Image Israels in der Welt und
insbesondere in den Vereinigten Staaten zu verbessern.
Die augenscheinlich „moderaten“ Kritiker raten dazu, die Politik gegenüber
der Hamas zu verschärfen, angefangen mit dem Unterbinden der finanziellen
ausländischen Unterstützung, die den Gazastreifen in Form von „Koffern mit
katarischen Dollars“ in bar erreicht. Ziel wäre, die Hamas finanziell
auszutrocknen, um parallel die Beziehungen zu [2][Palästinenserpräsident
Mahmud Abbas], alias Abu Masen, dem Chef der Autonomiebehörde im
Westjordanland, zu intensivieren.
## Mit den gemäßigten Gegnern zusammenarbeiten?
Das ist die gegensätzliche Politik zur der Netanjahus, der Abu Masen
ignoriert. Die Hamas hingegen soll gestärkt werden. Es gibt trotzdem einen
gemeinsamen Nenner der „strategischen“ Kritiker und Netanjahu. Beide Seiten
gehen davon aus, dass das Prinzip von „teile und herrsche“ fortgesetzt
werden müsse, sprich: die Belagerung von Gaza als wirksames Instrument zur
Kontrolle der Palästinenser aufrechterhalten werden sollte. Dies ist eine
typische interne Debatte für koloniale und diktatorische Regime.
Die Frage ist: Soll man mit den gemäßigten Gegnern zusammenarbeiten oder
besser den Konflikt mit den Extremisten eskalieren lassen? Die sanfte,
„gemäßigte“ Strategie der weichen Hand forcierte die israelische
Armeeführung im Verlauf der 1. Intifada, nachdem sie zur Einsicht kam, dass
eine militärische Lösung nicht möglich sei und deshalb eine politische
Lösung gefunden werden müsse, die schließlich ihre Umsetzung im Osloer
Friedensprozess fand.
[3][Jitzchak Rabin], der wenige Jahre später von einem jüdischen
Extremisten ermordete damalige israelische Regierungschef, ging davon aus,
dass [4][Jassir Arafat] – ehemals Chef der PLO (Palästinensische
Befreiungsbewegung) weder ein Verfassungsgericht noch
Menschenrechtsorganisationen zu fürchten habe und deshalb die Hamas
leichter zur Aufgabe zwingen könne, als es für Israel möglich sei.
Netanjahu erfand nichts Neues, weder das „Teilen und Herrschen“ noch die
Belagerung von Gaza, noch die gewaltsamen regelmäßigen militärischen
Konfrontationen. Was Netanjahu doch erfand, ist eine Änderung der
Prioritäten: die Hamas-Herrschaft zu unterstützen und Abu Masen
auszutrocknen. Warum? Dafür gibt es drei Hauptgründe.
## Zum Wohl aller Mitbürger
Erstens, weil es ihm die radikalsten Siedler in seiner Koalition vom Hals
hält, die jeglichen Dialog oder Kompromiss mit der Palästinensischen
Autonomiebehörde ablehnen, und weil es seine Stellung als ideologischen
„rechten“ Führungspolitiker festigt; zweitens, weil Abu Masen gar keine
andere Wahl hat, als mit der Israelischen Verteidigungsarmee
zusammenzuarbeiten, will er seine Macht aufrechterhalten, und drittens,
weil Israel der Hamas militärisch weit überlegen ist.
Netanjahu gelang es dank dieser Strategie, politisch zu überleben. Es
schafft Verzweiflung, Frustration und Angst, ein Gefühl der Hilflosigkeit,
den Verlust jeglicher Hoffnung auf Veränderung. Dies ist der Stoff, aus dem
Netanjahus politische Herrschaft gemacht ist. Nun aber scheint es, dass
Netanjahu diesmal vielleicht doch zu weit gegangen ist.
Im Gegensatz zu den Reaktionen der Verzweiflung und [5][Feindseligkeit der
jüdischen Öffentlichkeit] bei jedem gewaltsamen Ausbruch forderten die
Stimmen der Zivilgesellschaft diesmal den Dialog, die jüdisch-arabische
Kooperation und das friedliche Miteinander. Davon zeugen Demonstrationen
von Juden und Arabern gegen Gewalt, Hetze und Rassismus. Diese Stimmen
haben noch keine klare politische Alternative oder einen alternativen
Diskurs zum strategischen Sicherheitsdiskurs.
Jetzt gilt es in kleinen Schritten voranzuschreiten, angefangen mit einem
Nichtangriffsabkommen, im Sinne des arabischen Begriffs „Hudna“. Ein Ende
der Belagerung des Gazastreifens, Bewegungsfreiheit, Handel zwischen
Familie und Freunden im Westjordanland könnten die nächsten Schritte sein.
Das Siedlungsprojekt, mit dem Palästinenser im Westjordanland, in
Ostjerusalem und innerhalb Israels selbst in Jaffa, Lod, Galiläa und Negev
vertrieben werden sollen, muss gestoppt werden.
Der Konflikt ist über 100 Jahre alt. Höchste Zeit, das militärstrategische
Denken zu beenden, wie der Staat Israel seine Kontrolle über die
Palästinenser ausbauen kann, sondern politische Lösungen zu suchen, wie
dieser Ort zum Wohl aller Mitbürger gemeinsam gestaltet werden kann.
3 Jun 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Lev Grinberg
## TAGS
Israel
Palästinenser
Benjamin Netanjahu
Mahmud Abbas
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