Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Atomfurz, nein danke!
> Beim Einschlummern vor einer Darmspiegelung wird durch die Hintertür
> manch verschüttete Erinnerung ans Tageslicht gebracht.
Bild: Willi der Ungar spielt gern das Opfer
Meine Frau bekommt jetzt eine eigene Serie auf Netflix. Wie diese Japanerin
Marie Kondo. Allerdings ist meine Gattin kein Aufräum-Guru, sondern die
größte Umfüllerin der Welt. Bleibt von einem Essen etwas übrig, müssen die
Reste unbedingt in andere Behältnisse umgefüllt werden. Auf die simple
Frage „Warum?“ und den Nachsatz: „Das kann doch einfach in der Schüssel
bleiben“, hat sie nur ein müdes Lächeln übrig.
Im Nebenjob ist sie nämlich die größte Knistererin aller Zeiten. Sobald
Gewürze oder Nüsse oder Ähnliches eingekauft werden, beginnt das, was als
„Das große Knistern“ weit über unseren Haushalt hinaus bekannt ist. Denn
kein Ding darf in seiner angestammten Packung bleiben. Dafür haben wir
Gläser, Boxen und Schachteln in allen Größen und Formen. Dann wird beim
herrlichen Umschütten im mächtigen Knisterreich ein jedem das Innere der
Ohren nach außen gekrempelt.
Eine Netflix-Serie bekomme ich in diesem Leben nicht mehr, ich kann
allenfalls mit Bildern aus meinem Innersten dienen. Die bot mir kürzlich
ein Darmarzt an. Ob ich wach bleiben und auf dem Bildschirm zusehen wolle,
wenn er einen Schlauch durch meine Eingeweide führe, fragte er. Ich lehnte
dankend ab und entschied mich fürs sanfte Träumen, was jedoch durch die
Hintertür manch verschüttete Erinnerung ans Tageslicht brachte.
Inzwischen bin ich in einem Alter, das mir die wundersamsten
Vorsorgeuntersuchungen ermöglicht – wie „die große Hafenrundfahrt“. Auf
eine Darmspiegelung hatte ich aber bislang verzichtet, auch weil mir vor
Urzeiten eine öffentliche Koloskopie die Reise zum Mittelpunkt des Körpers
verleidet hatte. Vor gut zwanzig Jahren hatte die publicitygeile und heute
längst vergessene „Tagesschau“-Sprecherin Susan Stahnke eine Darmspiegelung
live im Fernsehen. Was ehemalige Nachrichtentanten so treiben: Sie rutschen
ins Nazimilieu ab, oder sie präsentieren ihre dunkle Schokoladenseite.
Bevor der Arzt mich entschlummern ließ, flog ich ins Reich der kolokolösen
Schnurren: Einst hatte meine Schwester ein selbst gebasteltes Schild an
meine Zimmertür gepappt – „Atomfurz, nein danke!“ Und nachdem ich einmal…
der Schule einen besonders akkuraten Kameraden in die Ecke gestellt hatte,
sprach mein Klassenlehrer die legendären Worte: „Ringel, Sie verwesen
innerlich!“
Und dann war da noch das letzte Brückentrinken. Im harten Lockdown traf ich
mich einmal im Monat auf der U-Bahn-Brücke am Rathaus Schöneberg mit alten
Kumpels, um Bier zu trinken und ferne Zeiten wieder aufleben zu lassen. Es
war fast wie in der Jugend im Park – bis auf das Kiffen. Als Ersatz ließ
ich leise einen fahren, und prompt hob ein Freund genießerisch die Nase in
den Wind: „Mmmh, wie früher, dieser Geruch von Shit.“
Ich kicherte beim Einschlafen, und der Darmarzt war bass erstaunt. Die
Spiegelung hatte übrigens einen negativen Befund. Und das ist positiver als
jede eigene Fernsehshow.
8 Jun 2021
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Darm
Vorsorge
Erinnerungen
Ungarn
Annalena Baerbock
Krankheit
Kolumne Die Wahrheit
Kulturkampf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Vorsicht vor dem Ungarn!
Erkennungsdienstliche Hinweise zu einem europäischen Unhold namens Willi
Magyar, der an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist.
Die Wahrheit: Baerbock beleidigt Schwiegermutter
Die irrsten „Bild“-Schlagzeilen aus dem Wahlkampf 2021. Im Visier des
Blut-und-Sperma-Blatts: die grüne Kanzlerkandidatin. Ein Rückblick.
Die Wahrheit: Schrumpelbrigade vom Stamme Runzel
Die neuen sind die alten Alten. Woran erkennt man die Generation
Junggeblieben? Vier entscheidende Faktoren mit Zusatzzahl.
Die Wahrheit: Autokorso der Coronasimpel
Als Begleitperson für einen Impfling in eine gespenstische Demonstration
von Pandemieleugnern zu geraten, weckt die alten Widerspruchsgeister.
Die Wahrheit: Ein Füllhorn voller Füllwörter
Was kommt nach dem Rassismus? Der finale Kulturkampf um die „Hurenkinder“
und „Schusterjungs“ hat bereits begonnen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.