| # taz.de -- Kämpfe zwischen Hamas und Israel: Raketenhagel auf Tel Aviv | |
| > Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel spitzt sich zu. Während die | |
| > Terrororganisation Verluste beklagt, kündigt Netanjahu weitere | |
| > Operationen an. | |
| Bild: Lod, Israel, am Dienstag: „So schlimm war es noch nie“ | |
| Tel Aviv taz | Keine Minute, nachdem die erste Sirene um 9 Uhr abends | |
| heult, sind schon die ersten Raketen am Himmel zu sehen. Während die | |
| Menschen noch auf dem Weg in einen Luftschutzbunker im Süden von Tel Aviv | |
| sind, ist der Himmel bereits voller Lichter. Wie in einem „Star Wars“-Film | |
| leuchten gelbe Streifen auf, Explosionen folgen, verursacht durch die | |
| sogenannte Eisenkuppel – das israelische Raketenabwehrsystem. Am Eingang | |
| zum Luftschutzbunker drängt sich ein Dutzend Menschen aufgeregt die Stufen | |
| hinunter. | |
| „So schlimm war es noch nie“, sagt eine Frau mit einem schlafenden Kind im | |
| Arm. Sie schnappt nach Luft und setzt sich unten angekommen auf eine der | |
| staubigen Bänke. Einige Familien hocken bereits an die Wand gelehnt auf | |
| dreckigen Teppichen, ein kaputter Kicker steht verstaubt und ohne Ball im | |
| Raum. | |
| Kurz danach hört man den Abschuss der Raketen, es geht Schlag auf Schlag. | |
| Dass der an den Gazastreifen angrenzende Süden mit den Städten Ashkelon und | |
| Ashdod mit Raketen angegriffen wird, ist in Israel trauriger Alltag. Doch | |
| einen derartigen Raketenhagel von Gaza auf Tel Aviv hat es in der | |
| Geschichte Israels noch nie gegeben. | |
| Bei den über 1.000 Raketen, die bis Mittwoch früh auf Israel abgeschossen | |
| wurden, 400 von ihnen auf Städte im Zentrum Israels, rutschen dem | |
| Abwehrsystem einige durch. Ein Mann und seine Tochter aus Lod, etwa zwanzig | |
| Autominuten von Tel Aviv entfernt, wurden Dienstagnacht in ihrem Auto von | |
| einer Rakete getroffen und getötet, davor eine Frau aus Rishon LeZion. Dies | |
| erhöhte die Zahl der Opfer auf israelischer Seite auf fünf. | |
| ## „Wie in Afrika“ | |
| „Gaza ausradieren sollten sie“, raunt einer. Dort waren bis Mittwoch 48 | |
| Menschen bei den Vergeltungsangriffen der israelischen Luftwaffe getötet | |
| wurden, unter ihnen zahlreiche Kinder. | |
| Ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft, dessen Eltern aus dem Sudan nach | |
| Israel geflüchtet sind, zittert und weint. „Warum tun sie das?“, fragt er | |
| immer wieder. „Wie in Afrika“, wiederholt seine Mutter und hebt ihre Arme | |
| gen Himmel. | |
| Dreimal wird die Nachbarschaft in dieser Nacht aus den Betten geholt und | |
| drängt sich in Shorts und Schlafshirts in den kahlen Räumen unter der Erde | |
| zusammen. „Wie soll ich bloß morgen arbeiten“, flüstert eine Frau ihrem | |
| Mann zu und zuckt zusammen, als von draußen wieder der Abschuss einer | |
| Rakete zu hören ist. | |
| Die meisten verfolgen die Nachrichten auf ihrem Handy. Wo die letzten | |
| Raketen eingeschlagen sind. Aber auch, was auf den Straßen in den | |
| jüdisch-arabischen Städten los ist, vor allem in Lod. Palästinensische | |
| Israelis setzten dort in der Nacht auf Mittwoch drei Synagogen, Geschäfte | |
| und Autos in Brand. | |
| ## Brennender Friedhof | |
| Anwohner*innen berichteten, dass Brandbomben durch ihre Fenster | |
| geflogen seien. Kurz danach wird auch ein muslimischer Friedhof in Brand | |
| gesetzt, wohl ein Racheakt von jüdischen Bewohner*innen der Stadt. Der | |
| Bürgermeister der Stadt sprach von einer „Kristallnacht“ und einem | |
| „Bürgerkrieg“. Jahrzehntelange Bemühungen um Koexistenz seien gescheitert. | |
| Auf Facebook postet Tomer Persico, ein Nahost- und Religionsspezialist, | |
| dass das, was heute Abend in Lod passiere, viel besorgniserregender sei als | |
| eine weitere Runde gegen die Hamas, so schwer diese auch sein mag. „Es wird | |
| lange dauern, bis sich die Stadt davon erholen wird.“ | |
| Noch vor einem Tag waren viele Israelis mit den [1][Protesten in Jerusalem] | |
| solidarisch, die dort vor drei Wochen ausgebrochen waren. Anlass dafür war | |
| eine Entscheidung der Polizei gewesen, die Stufen vor dem Damaskustor | |
| abzusperren und damit jungen Muslimen Ostjerusalems ihren traditionellen | |
| Treffpunkt an den Ramadan-Abenden zu nehmen. | |
| Auch in den Augen vieler jüdischer Israelis war dies ein fataler und | |
| unnötiger Fehler. Auch über die drohenden Zwangsräumungen von | |
| palästinensischen Familien in Sheikh Jarrah, einem arabisch geprägten | |
| Stadtteil Jerusalems, waren viele erzürnt. | |
| ## Hoffnungen verflogen | |
| Doch von der Legitimität der palästinensischen Proteste in Jerusalem und in | |
| anderen Städten Israels spricht jetzt kaum noch jemand. Thema sind jetzt | |
| die Nacht in Lod und die Kämpfe zwischen Hamas und Israel. Die Reaktion der | |
| Hamas dürfte die von Zwangsräumung bedrohten palästinensischen | |
| Anwohner*innen in Sheikh Jarrah aus dem Blickfeld geraten lassen. | |
| „Das hier alles zeigt, dass man mit arabischen Parteien keine | |
| Regierungskoalition bilden kann“, raunt ein Mittdreißiger und streicht | |
| seinem Hund über den Kopf. Er bezieht sich auf die derzeitigen | |
| Koalitionsverhandlungen. Oppositionsführer Jair Lapid von der | |
| Zukunftspartei versucht derzeit, eine breite Einheitsregierung auf die | |
| Beine zu stellen, nachdem Netanjahu an der Regierungsbildung gescheitert | |
| ist. | |
| Ein Teil der von Lapid angestrebten Einheitsregierung ist die | |
| arabisch-islamische Partei Ra’am. Doch nun hat Mansour Abbad, der | |
| Vorsitzende von Ra’am die Koalitionsverhandlungen vorerst auf Eis gelegt. | |
| Mit den derzeitigen Ereignissen wird auch die Hoffnung vieler auf einen | |
| Führungswechsel zunichte gemacht. | |
| Am nächsten Morgen ist die Mutter des Jungen, der in der Nacht eine | |
| Panikattacke erlitten hatte, wieder auf der Straße. „Ist es jetzt vorbei?“, | |
| fragen die beiden. Doch auch am Mittwoch geht der Beschuss von Gaza auf | |
| Israel weiter. Im Süden verstärkt die Hamas ihre Angriffe wieder. Eine | |
| Panzerabwehrlenkwaffe wird auf einen israelischen Jeep in der Nähe der | |
| nördlichen Gaza-Grenze abgefeuert, dabei werden eine Person getötet und | |
| zwei schwer verletzt. | |
| ## Aggressive Antwort | |
| Ein Waffenstillstandsangebot der [2][Hamas], heißt es, habe Israel zuvor | |
| abgelehnt. Beobachter*innen sagen, dass Israel vom aggressiven | |
| Vorgehen der Hamas überrascht worden sei. Jetzt gebe es enormen Druck aus | |
| der Gesellschaft, aggressiv zu antworten. | |
| Am Mittwochnachmittag meldet die Hamas den Tod mehrerer ihrer Anführer bei | |
| israelischen Militärangriffen im Gazastreifen – darunter der Chef des | |
| bewaffneten Arms der Hamas in Gaza, Bassem Issa, sowie mehrere weitere | |
| ranghohe Militärverantwortliche. Aus Kreisen der israelischen Armee | |
| verlautet, einer ihrer Soldaten sei von einer Rakete aus dem Gazastreifen | |
| getötet worden. | |
| Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnt, dass die Operationen im | |
| Gazastreifen nicht so bald enden würden. „Das ist erst der Anfang“, sagt | |
| er. „Wir werden ihnen Schläge zufügen, von denen sie nicht einmal träumen | |
| können.“ Ruhe wird wohl dieses Mal nicht mit Ruhe beantwortet. Und es | |
| könnte sein, dass sich die Tel Aviver auch in der kommenden Nacht wieder in | |
| den Luftschutzbunkern treffen werden. | |
| 12 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Judith Poppe | |
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