| # taz.de -- Sozialarbeiter über Gesundheitszentren: „Ungleichheit macht kran… | |
| > Hannah Gruber und Jonas Löwenberg engagieren sich in sozialen | |
| > Gesundheitszentren. Auch Faktoren wie Rassismus und knapper Wohnraum | |
| > trügen zu Erkrankungen bei. | |
| Bild: Soziale Ungleichheit als Faktor bei der Gesundheit: Obdachloser in Berlin | |
| taz: Frau Gruber, Leipzig, Berlin, Hamburg, Köln und Dresden: Gruppen aus | |
| fünf Städte sind bereits Teil des Poliklinik Syndikats. Haben Sie überall | |
| schon Gesundheitszentren aufgebaut? | |
| Hannah Gruber: Das ist unterschiedlich. In einigen Städten gründen sich | |
| gerade Gruppen, in Berlin steht der Einzug in das neue | |
| Stadtteilgesundheitszentrum in Neukölln kurz bevor. | |
| Jonas Löwenberg: Zwei aktive Polikliniken gibt es schon: in Leipzig seit | |
| einem Jahr und in Hamburg bereits seit vier Jahren. Dort gibt es gerade | |
| sogar mehrere Standorte. | |
| Ihr Projekt hat eine dezidiert politische Haltung. Sie sprechen von einem | |
| Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und Gesundheit. Wie | |
| sieht dieser Zusammenhang aus? | |
| HG: Gesellschaftliche Faktoren wirken sich auf die Gesundheit von Menschen | |
| aus, positiv wie negativ. Diese Faktoren heißen soziale Determinanten und | |
| werden oft gar nicht berücksichtigt. Stattdessen sollen wir regelmäßig | |
| Sport machen, nicht rauchen oder uns gesund ernähren. Dadurch wird | |
| vermittelt, dass wir ganz allein für unsere Gesundheit verantwortlich sind. | |
| JL: Schlechte Arbeitsbedingungen, Wohnraum, der immer knapper und teurer | |
| wird, Rassismus, soziale Ungleichheit – all das trägt eben auch dazu bei, | |
| dass Menschen krank werden. | |
| Was heißt das konkret für die Arbeit in Ihren Gesundheitszentren? | |
| JL: Wir schauen bei der Beratung nicht nur auf die akuten Symptome und | |
| leiten daraus eine Therapieform ab, sondern gucken, was dahintersteckt. | |
| Dazu arbeiten verschiedene Berufsgruppen zusammen. Wenn Ärzt*innen | |
| feststellen, dass sie bei der Behandlung nicht weiterkommen, können sie | |
| Sozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen hinzuziehen. | |
| HG: Das kann so aussehen: Wenn eine Allgemeinärztin feststellt, dass die | |
| Wohnsituation einer behandelten Person schwierig ist, kann eine | |
| Sozialberatung dabei helfen, die Probleme anzugehen. Einmal kamen in die | |
| Hamburger Poliklinik viele Menschen in die Hausarztpraxis, bei denen es in | |
| der Wohnung geschimmelt hat. Daraufhin haben sich die Menschen getroffen | |
| und beschlossen, das gemeinsam zu verändern. | |
| Wie finanzieren Sie sich? | |
| HG: Es gibt gemeinnützige Trägervereine, die sich über Drittmittel, Spenden | |
| und Fördermitgliedschaft finanzieren. | |
| JL: In Hamburg, Berlin und Leipzig werden die Projekte im Haushalt der | |
| Stadt berücksichtigt. In den kooperierenden Praxen werden die Leistungen | |
| über die Krankenkassen abgerechnet. Langfristig braucht es aber ein anderes | |
| Abrechnungssystem und Modell für die Trägerschaft – bedarfsorientiert und | |
| gemeinnützig. | |
| Wie erfolgversprechend ist es denn, beim Kampf gegen ein riesiges Problem | |
| wie soziale Ungleichheit mit Gesundheitsarbeit auf lokaler Ebene | |
| anzusetzen? | |
| JL: Viele soziale Kämpfe werden bereits von anderen Initiativen oder | |
| Gewerkschaften geführt. Es ist wichtig, dass wir uns mit ihnen vernetzen. | |
| Aber die Polikliniken sind der fixe Anlaufpunkt im Stadtteil: Hier kommen | |
| Menschen mit Problemen hin, können sich austauschen. Medizinische | |
| Versorgung allein reicht nicht. Wir müssen auch den politischen Weg gehen, | |
| indem wir das Leben der Menschen vor Ort verbessern, Probleme | |
| kollektivieren. | |
| Ihr Anspruch klingt sehr radikal. Aber die Idee funktioniert nur, indem Sie | |
| Leute erreichen, die keinen explizit politischen Anspruch haben und einfach | |
| so in eine der Polikliniken kommen. | |
| HG: Unser Konzept ist sinnvoll, um Gesundheitsarbeit zu machen. Wir haben | |
| konkrete Vorstellungen davon, wie gute Gesundheitsversorgung und Beratung | |
| aussehen sollen. Wir wollen Leute nicht politisch agitieren, nur weil sie | |
| in eines unserer Gesundheitszentren kommen. | |
| Wie könnte die Arbeit des Syndikats in zehn Jahren aussehen? | |
| HG: Solidarische Stadtteilgesundheitszentren soll es bis dahin in mehreren | |
| Stadtteilen und Städten geben. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen | |
| geschaffen werden, wir wollen zum Beispiel Kassensitze. | |
| JL: Ja! Gesundheitszentren könnten neben Arztpraxen und Krankenhäusern | |
| bestehen. | |
| 20 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Christina Gutsmiedl | |
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