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# taz.de -- Abschiebungen nach Russland: Den Verfolgern ausgeliefert
> Immer wieder werden Tschetschenen aus Westeuropa in ihre Heimat
> verbracht. Dort sind sie Haft und Folter ausgesetzt. Ein Geheimnis ist
> das nicht.
Bild: Nurmagomed Mamujew
Berlin taz | Swetlana Gannuschkina ist erleichtert: Nurmagomed Mamujew
lebt. Dies hat die 79-jährige Menschenrechtlerin vom Moskauer
Menschenrechtszentrum Memorial, die seit Jahrzehnten zu Flüchtlingen und
dem Nord- und Südkaukasus arbeitet und für ihre Menschenrechtsarbeit 2016
mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, am Dienstag aus
sicheren Quellen in Tschetschenien erfahren.
Am 24. März 2021, so meldete das Portal von „Memorial“, seien kurz nach
Mitternacht Polizisten in die Berliner Wohnung des 32-jährigen
Tschetschenen eingedrungen und hätten ihn direkt zum Flughafen gebracht. Am
nächsten Morgen habe seine Frau Mata, die mit ihm und den vier Kindern
bereits seit neun Jahren in Berlin lebt, von der zuständigen
Polizeidienststelle erfahren, dass Nurmagomed Mamujew [1][nach Russland
abgeschoben worden sei]. Gleichzeitig hätten die Polizisten der Frau die
für ihren Mann gültige Duldung abgenommen.
Kaum in Moskau angekommen, so berichtet „Memorial“, sei Mamujew
tschetschenischen Polizisten übergeben worden, die ihn dann nach
Tschetschenien in das Haus seiner Mutter in der 5000 Einwohner großen
Ortschaft Schalaschi gebracht hätten. Doch schon am nächsten Morgen sei er
erneut verhaftet worden. Anschließend habe sich seine Spur verloren. Seit
Dienstag, so Gannuschkina, befindet sich Mamujew wieder in Freiheit.
Mamujew ist nicht der einzige Tschetschene, der nach seiner Abschiebung
nach Moskau Haft und möglicherweise Misshandlungen erdulden musste. Am 9.
Dezember 2019 war Schamil Naschajew aus Dresden nach Russland abgeschoben
worden, obwohl bekannt war, dass er in Russland politisch verfolgt wird.
Auf dem Moskauer Flughafen angekommen, war er sofort vom FSB festgenommen
und tschetschenischen Polizisten übergeben worden. Bereits einen Tag später
wurde ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet, weil er angeblich am 9.
Dezember direkt nach seiner Ankunft in Moskau Drogen gekauft haben soll. Er
kam in Untersuchungshaft und wurde wenig später zu eineinhalb Jahren
verurteilt.
## In Sippenhaft
Man hatte ihn möglicherweise deswegen in Sippenhaft genommen, weil sein
Vater während des Tschetschenien-Krieges auf Seiten der Aufständischen
gegen die russischen Streitkräfte gekämpft hatte, mutmaßt Gannuschkina
gegenüber dem Portal des Sächsischen Flüchtlingsrates.
Auch nach der Freilassung aus der russischen Haft wurde Naschajew von
regierungstreuen Tschetschenen immer wieder Opfer von Nachstellungen und
Gewalt. Deswegen war er im März diesen Jahres wieder nach Deutschland
geflohen und fürchtet nun erneut eine Abschiebung nach Russland.
Naschajew und Mamujew sind nicht die einzigen, die nach ihrer Abschiebung
von Deutschland nach Russland im Gefängnis landeten. Am 10. April 2019
wurde der am 14. Februar 2018 trotz gerichtlichem Auslieferungsverbot von
Hannover [2][nach Russland abgeschobene Tschetschene] Schamil Soltamuradow
von einem russischen Militärgericht in Rostow zu einer Haftstrafe von 17
Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich in
einem Trainingslager einer illegalen bewaffneten Einheit aufgehalten habe.
Aktuell fürchten russische Menschenrechtler*innen, Österreich könnte den
anerkannten Flüchtling Isa Jusupow (tatsächlicher Name der Redaktion
bekannt) ausliefern. „Entsprechend vorliegender Unterlagen bezüglich der
geänderten Lage im Herkunftsland ist anzunehmen, dass die Gründe, die zur
Gewährung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr vorliegen.
In Ihrem Fall liegt ein Aberkennungstatbestand nach dem Asylgesetz vor“
heißt es lapidar in einem Schreiben des österreichischen Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom 30. März 2021.
## Auf der Seite der Aufständischen
Jusupow war 2009 in Tschetschenien entführt sowie mehrere Monate in einem
Geheimgefängnis inhaftiert und gefoltert worden. Bei Memorial geht man
davon aus, dass Jusupow in Sippenhaft genommen wurde, weil auch einige
seiner Verwandten und Klassenkameraden sich den Aufständischen
angeschlossen hätten.
Gannuschkina kann nur den Kopf schütteln über eine Behörde, die der
Auffassung ist, vor Ort in Russland sei alles nun wunderbar geworden. „Als
ob man nichts von dem Fall Gadajew gehört habe.“ empört sie sich.
Magomed Gadajew war am 8. April 2021 von Frankreich nach Russland
abgeschoben worden. Einen Tag nach seiner Ankunft in Moskau war er nach
Tschetschenien in ein Untersuchungsgefängnis gebracht worden.
Aus Protest gegen diese Abschiebung hatte die russische
Investigativjournalistin Elena Milaschina den deutsch-französischen
Menschenrechtspreis, der ihr 2017 verliehen worden war, an die französische
Botschaft in Moskau zurückgegeben. „Europa ist verrückt geworden“ sagt
Gannuschkina über die jüngsten Abschiebungen nach Tschetschenien.
20 Apr 2021
## LINKS
[1] /Wegen-Abschiebung-von-Tschetschenen/!5760736
[2] /Tschetschenischer-Oppositioneller/!5626193
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Russland
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