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# taz.de -- Lukaschenko-Unterstützer in Belarus: Tod eines Helden
> Er sollte Hauptperson eines Buches werden. Dann outete er sich als
> Anhänger des Regimes. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeit in Minsk.
> Folge 82.
Bild: Solidaritätsprotest im August 2020 vor der belarussischen Botschaft in M…
In den vergangenen drei Jahren habe ich an einem Buch über einen
einzigartigen Menschen geschrieben. Im Alter von 16 Jahren wurde er von
einer Mine noch aus Kriegszeiten in die Luft gesprengt und verlor dabei
Arme und Beine. Das passierte in friedlichen Zeiten. Überall, wo er
auftrat, nannte man ihn den zweiten Nick Vujicic (ein Australier, der
imternational als Evangelist und Motivationsredner arbeitet. Er wurde ohne
Arme und Beine geboren, Anm. d. Red.).
Das ist ein cooler 38jähriger Typ, Ehemann und Vater von vier Kindern,
Weltrekordhalter und Medailliengewinner im Schwimmen. Mit offenem Mund
hörte ich seinen Geschichten zu und wie er all das überwunden hatte und
erzählte immer von ihm – in Belarus, aber auch im Ausland. Ich was
inspiriert – bis zum August 2020.
Unsere Arbeitsbeziehungen gestalteten sich gut, ich machte hundert
Interviews mit ihm und Personen aus seinem Umfeld: mit der Familie, der
Ehefrau, seinen Trainern und anderen Leuten. Das sollte eine tolle
Geschichte über einen Menschen werden, der trotz allem wieder auf die Beine
gekommen war, die er nicht mehr hat.
Ich fand einen Verlag in Moskau. Uns wurde ein Bestseller prophezeit, Nick
höchst persönlich sollte eine Rezension schreiben. Ich bereitete mich schon
auf den Titel Schriftstellerin vor. Doch vor kurzem änderte sich alles.
## Vom Held zur Enttäuschung
Meine Bewunderung endete abrupt, als ich vor den Wahl (Präsidentenwahl in
Belarus am 9. August 2020, Anm. d. Red.) den Satz las: „Ich habe für
Lukaschenko gestimmt.“
Dann wurde alles noch schlimmer. Als es zu Blutvergießen kam und
[1][Protestierende grün und blau geschlagen wurden], entdeckte ich auf der
Seite meines Helden noch einen Satz, der ein Schlag ins Gesicht war: „ Nun,
die OMON-Sicherheitskräfte waren wohl ein wenig aufgeregt.“ Alles in mir
erstarrte.
Nach seiner Liebeserklärung für [2][Lukaschenko] begann er immer öfter mit
Motivationsreden im ganzen Land aufzutreten. Sogar der Präsident
seinerseits begann ihn zu bewundern und bei seinen Auftritten über ihn zu
sprechen. Dann gekam er von Lukaschenko eine Medaillie für „motivierende
Dienste“, (es begannen Fotos von ihm mit dem Präsidenten aufzutauchen) und
persönliche Glückwünsche für die Sportmedaillien. Dann wurde er Mitglied
der Verfassungskommission, wo sich jetzt das Schicksal der
Belaruss*innen entscheidet.
Wenn das vor 15 Jahren passiert wäre, wären alle glücklich gewesen. Doch
jetzt hat sich alles geändert.
## Die Moral siegt
Um meine jahrelange Arbeit tat es mir leid. Solche Arbeiten schaffen ein
persönliches Markenzeichen, es hätte mein erstes Buch werden sollen und ein
gute Zukunft vor sich gehabt. Bedauere ich das jetzt? Nein. Ich werde mich
niemals gegen mein Gewissen verschwören können. Im Prinzip unterscheidet
uns das von diesen Lukaschisten. Das Schlimmste dabei ist, von Menschen
enttäuscht zu werden. Mein Held hörte auf einer zu sein.
Der August hat das belarussische Volk gespalten. Einige lassen sich wegen
unterschiedlicher politischer Positionen scheiden (ich kenne die Geschichte
einer Ehefrau eines OMON-Mannes). Eine/r verliert Freunde, wie ich. Eine/e
andere/r hört auf, sich mit den Eltern zu unterhalten.
Am 9. Mai wurde wieder der Jahrestag des Sieges (gemeint ist das Ende des
Zweiten Weltkrieges, in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auch als
Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet, Anm. d. Red.). Normalerweise wurde
an diesem Tag immer den Veteranen große Aufmerksamkeit geschenkt.
Aber 2021 hatte die Regierung entschieden, dass dieses Mal Staatsgelder
dafür verwendet werden sollten, um ihre Position im Volk zu stärken: ein
festliches Konzert, ein Feuerwerk in Minsk, eine Ehrung der Nationalflagge
sowie Ballons in den Nationalfarben, die über der Stadt aufstiegen. Das
alles kostete ungefähr umgerechnet 270.000 Euro, eine Wahnsinnssumme. Die
einmaligen Zahlungen an die Veteranen betrugen null Rubel. Der
belarussische Staat ist immer noch eine Welt, die vollkommen von dem
eigenen Volk abgekoppelt ist. Auch deshalb sind wir es leid zu schweigen.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
10 May 2021
## LINKS
[1] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!5758667
[2] /Versteckspiel-in-Belarus/!5716590
## AUTOREN
Olga Deksnis
## TAGS
Belarus
Protest
Kolumne Notizen aus Belarus
Minsk
Alexander Lukaschenko
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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