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# taz.de -- Die Wahrheit: Kolumnist und untote Twitterin
> Cancel Culture auf irisch: Wenn sich ein Kolumnist als Schriftstellerin
> tarnt, nimmt das meist kein gutes Ende. Nicht bei den Schwiegereltern.
Wer an seinem Job hängt, sollte die Ehefrau seines Arbeitgebers nicht
beleidigen. Das hat Eoghan Harris nicht bedacht. Der 78-Jährige schrieb
zwei Jahrzehnte lang jede Woche eine gehässige Kolumne in der irischen
Sonntagszeitung Sunday Independent. Jetzt ist damit Schluss.
Doch der Reihe nach. Harris war früher Marxist, aber das ist lange her.
Inzwischen verabscheue er den Marxismus, sagt er. So war er nacheinander
Mitarbeiter von Fine Gael und Fianna Fáil, den beiden rechtskonservativen
Parteien in der Republik Irland. Zwischendurch hatte er auch mal die
Unionisten in Nordirland beraten, bevor er beim Sunday Independent landete.
Seitdem goss er Woche für Woche sein Verbalerbrochenes über Sinn Féin aus,
der Partei, die früher der politische Flügel der Irisch-Republikanischen
Armee (IRA) war.
Aber das reichte ihm nicht. Er gründete einen [1][Twitter-Account unter dem
Namen Barbara Pym]. Pym war eine englische Schriftstellerin, die in den
fünfziger Jahren mit ein paar lustigen Büchern bekannt geworden ist. Doch
sie ist 1980 gestorben und kann demzufolge nicht mehr twittern. Außerdem
deuteten die in ihrem Namen verfassten Tweets eher auf einen hasserfüllten
alten Mann hin – auf Harris.
Das merkte bald auch Alan English, der Chefredakteur des [2][Sunday
Independent]. Er stellte Harris eine Falle, und der war blöd genug,
hineinzutappen. Vor neun Tagen berichtete Frau Pym auf Twitter über eine
Umfrage, deren Ergebnis am nächsten Tag Aufmacher in der Zeitung sein
sollte. Nur wenige kannten die Details. Harris war einer davon. English
fragte Harris, ob er Pym kenne und dafür sorgen könne, dass der Tweet
gelöscht werde. Das geschah binnen einer Minute nach dem Gespräch. Man
musste kein Sherlock Holmes sein, um eins und eins zusammenzuzählen.
## Schimpfe ja, Entlassung nein
Harris war über seine Entlassung entsetzt. Er hatte damit gerechnet, dass
man ihn lediglich ausschimpfe. Die Kolumne habe ihm nicht gereicht, weil er
so gerne schreibe, sagte er. Er hätte sich ein Tagebuch anschaffen sollen,
denn die Menschen, die er mit seinen Frechheiten bedacht hat, ziehen nun
vor Gericht. Besonders abgesehen hatte es Harris auf die Journalistin Aoife
Moore, der er binnen zwei Jahren mehr als Hundert Tweets widmete, weil sie
aus dem nordirischen Derry stammt. Er bezeichnete sie als Heckenschützin
und schrieb, ihr „Sinn-Féin-Hintern ragt hoch in die Luft“.
Francine Cunningham verglich er mit der fiktiven Lady Macbeth, die ihren
Schwiegervater, Stiefsohn und Ehemann sowie dessen Pferd umgebracht hat. Da
Cunningham im nordirischen Strabane geboren ist, müsse sie zwangsläufig
Sinn-Féin-Anhängerin sein, schlussfolgerte Harris haarscharf. Sie ist aber
die Ehefrau von Peter Vandermeersch, und der ist Eigentümer des Sunday
Independent. Dumm gelaufen.
Im Jahr 2008 hatte Harris anonyme Kommentatoren im Internet als „kleine
Wichser, die zu Hause masturbieren“, bezeichnet. Vermutlich der einzige
wahre Satz, den er je geschrieben hat.
17 May 2021
## LINKS
[1] https://twitter.com/rummhammm
[2] https://www.independent.ie/
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Irland
cancel culture
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