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# taz.de -- Wahlen in England und Wales: Labour in der Identitätskrise
> Bei den Kommunal- und Regionalwahlen verliert die Labour-Opposition alte
> Hochburgen. Die Sieger heißen Konservative und Grüne.
Bild: Ergebnisse zum sich Verkriechen – Labour-Chef Keir Starmer schaut verst…
London taz | „Wir haben das Vertrauen der Arbeiterklasse verloren“,
lamentierte Keir Starmer schon am Freitagabend. Zu diesem Urteil war der
Chef der britischen Labour-Opposition nach dem Ergebnis [1][der
parlamentarischen Nachwahl in Hartlepool gekommen]. Labour hatte dort ihre
jahrzehntelange Vorherrschaft an die Tories abgeben müssen. Ben Houchon,
der konservative Regionalbürgermeisters für die Region Tees Valley, in der
sich Hartlepool befindet, wurde sogar mit über 72 Prozent der Stimmen
wiedergewählt – die Gegend im Nordosten Englands [2][war früher eine der
stärkten Labour-Hochburgen Großbritanniens].
„Ich übernehme persönliche Verantwortung dafür“, ließ Starmer verlauten,
[3][der im April 2020 Parteichef geworden war], nachdem Labour unter seinem
Vorgänger Jeremy Corbyn bereits zahlreiche ehemalige Industrieregionen an
Boris Johnsons Konservative verloren hatte. Am Samstag wunderten sich
jedoch einige bei Labour, dass Starmer nicht selbst Konsequenzen zog,
sondern seine Stellvertreterin Angela Rayner absetzte, zu deren Aufgabe die
Wahlstrategie der Partei gehört. Da Raynor aus dem Corbyn-Lager stammt,
rieb der Parteichef damit zugleich neues Salz in die noch lange nicht
verheilten Wunden des innerparteilichen Konflikts zwischen den
Parteilagern.
Ein Mitglied von Starmers Schattenkabinett, Khalid Mahmood, der einen
Wahlkreis Birminghams vertritt, trat inzwischen zurück. Labour sei von
einer London-basierten Bourgeoisie gekapert, schimpfte er: „Die lautesten
Stimmen im letzten Jahr konzentrierten sich mehr auf die Herabsetzung der
Churchill-Statue statt darauf, Menschen zu helfen, selbstständig wieder auf
die Beine zu kommen.“ Mehrere Wortführer des linken Flügels meinten, wenn
Starmer nach Schuldigen für die Wahlniederlage suche, solle er „in den
Spiegel schauen“. Mit weiteren Umbesetzungen im Schattenkabinett wird
gerechnet.
Für Labour war der Wahltag am vergangenen Donnerstag der erste richtige
Stimmungstest im Land seit dem Brexit und der Coronapandemie, aber nicht
nur ein Desaster. Die linke Opposition verlor zwar in England über 300
Kommunalvertreter*innen und die Mehrheit in sieben großen Gemeinden,
darunter Harlow, Nuneaton und Bedworth und Dudley. Auch die Wiederwahl des
konservativen Bürgermeisters des Großraums West Midlands rund um Birmingham
konnte Labour nicht verhindern.
## Es gibt auch Hoffnungsschimmer
Doch gab es für Labour auch Hoffnungsschimmer. So konnte sich der
Bürgermeister der Region Manchester, Andy Burnham, klar behaupten. Seinen
Sieg mit 63,4 Prozent der Stimmen, ein Zuwachs gegenüber seiner ersten
Wahl, bezeichnete er selber als Botschaft nach Westminster zur Ausweitung
der politischen Dezentralisierung. Auch er beanstandete, dass Labour zu
sehr nach London ausgerichtet sei. Aufgrund der Tatsache, dass Burnham sich
inmitten der Covidkrise gegen die Regierung quergestellt hatte, um bessere
Unterstützung für Manchester im Lockdown zu erhalten, wird der 51-Jährige
nun als ein zukünftiger Parteiführer gehandelt.
Bemerkenswert war auch Labours Eroberung des Bürgermeisterpostens für den
Großraum Westengland rund um Bristol. Dan Norris gewann das Amt mit 59,5
Prozent der Stimmen. In der Stadt Bristol wurde der schwarze
Labour-Bürgermeister Marvin Rees, der sich bei den
Black-Lives-Matters-Protesten in Bristol einen Namen gemacht hat,
wiedergewählt, jedoch mit starker Konkurrenz der Grünen, deren Kandidatin
Sandy Hore-Ruthven auf sensationelle 43,5 Prozent der Stimmen kam.
## Erfolge der Grünen
Erfolge der Grünen kosteten Labour sogar im nordenglischen Sheffield ihre
Mehrheit. In der Grafschaft Cambridgeshire verloren die Konservativen ihre
Mehrheit an die Liberaldemokraten auf kommunaler Ebene und an Labour in der
Region – eine verzögerte Folge des in Cambridge sehr unpopulären Brexit, so
Beobachter.
In Wales konnte sich Labour als Regierungspartei behaupten. In London
konnte sich [4][Bürgermeister Sadiq Khan] gegen den konservativen Shaun
Bailey durchsetzen, allerdings nur mit knapp fünf Prozent Vorsprung, viel
weniger als erwartet. Bailey holte überraschend viele Stimmen in den
Außenbezirken, die sich unter anderem gegen die von Khan geplante
Erweiterung von Niedrigemissionszonen im Oktober sträuben.
## Konservative werden Siege auskosten
Khan forderte nach seiner Wiederwahl, dass die wirtschaftlichen
Ungleichheiten, die während der Pandemie gravierender geworden seien,
„gemeinsam mit den Narben des Brexit konfrontiert und geheilt werden
sollten“.
Vorerst aber werden die Konservativen ihre Siege auskosten und
Investitionen in die alten Industrieregionen lenken. Am Dienstag soll mit
der Thronrede der Queen das neue Sitzungsjahr des Unterhauses eröffnet
werden. Berichten zufolge wird die Regierung darin eine massive Ausweitung
von Fortbildungsmöglichkeiten für Erwachsene sowie zur Verbindung von
Arbeit und Ausbildung ankündigen.
9 May 2021
## LINKS
[1] /Nachwahl-im-Norden-Englands/!5765512
[2] /Nachwahlen-im-Norden-Englands/!5770535
[3] /Grossbritannien-und-die-Labour-Partei/!5695300
[4] /Vor-der-Wahl-des-Buergermeisters/!5765454
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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