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# taz.de -- Protest gegen Ausländerbehörde: Nur knapp geduldet
> 100 Menschen protestieren in Eberswalde gegen rassistische Praktiken in
> Brandenburger Ausländerbehörden. Sie wollen endlich Perspektiven.
Bild: Protest gegen die Eberswalder Ausländerbehörde
eberswalde taz | Dienstags ist der Tag, an dem die Ausländerbehörde in
Eberswalde bevorzugt Menschen einbestellt, um ihre Duldung zu verlängern.
Das jedenfalls ist die Erfahrung der Initiative „Barnim für alle“, die
daher zu einem Protesttag mit Kundgebung auf dem Platz zwischen
Ausländerbehörde, Polizei und Grundsicherungsamt in Eberswalde aufgerufen
hatte.
Manche müssten laut Initiative jede Woche oder alle zwei Wochen hinkommen,
um eine Verlängerung für weitere sieben bis 14 Tage zu bekommen, bei
anderen laufe die Duldung zwei, drei Monate. Unter den rund 100
Demonstrant*innen ist auch ein junger Mann aus Tschetschenien. Seinen
Namen möchte er nicht öffentlich machen. Er erzählt, dass er eine
Ausbildung macht und trotzdem alle drei Monate seine Duldung verlängern
lassen müsse. „Dafür muss ich jedes Mal einen Tag Urlaub nehmen“, sagt er,
die Fahrt dauere jeweils eineinhalb bis zwei Stunden. Dabei könnte die
Behörde ihm auch eine Duldung für die gesamte Dauer der Ausbildung
erteilen. „Die Menschen sind nicht gut dort drinnen, viele sind zu 100
Prozent Rassisten“, sagt er.
Laut Barnim für alle ist seine Situation kein Einzelfall: „Letzten Dienstag
war ich von 9 bis 13 Uhr vor der Ausländerbehörde, und da habe ich mit 40,
50 Menschen gesprochen, die alle die gleichen Probleme haben“, sagt Yahya
Mayna Zaor von der Initiative. „Wer diese kurzen Duldungen hat, kann in der
Regel nichts machen: keinen Sprachkurs, keine Ausbildung, keine Arbeit“,
sagt er und erzählt von einem Fall, in dem eine Person mehrmals bei der
Behörde vorstellig wurde, mit der Bitte, seinen bereits ausgemachten
Arbeitsvertrag zu genehmigen – ohne Erfolg. „Eine Duldung ist eine Pause –
aber niemand kann in einer Pause leben“, sagt währenddessen eine Rednerin
auf der Kundgebung. „Stop Duldung“ rufen die Anwesenden.
Viele der Redner*innen prangern rassistische Praktiken der Behörde an.
„Die Angestellten machen rassistischen Druck und behandeln uns respektlos“,
erzählt einer der Redner. „Ich habe es selbst oft erlebt: wenn wir
nachfragen oder darum bitten, dass sie uns ein Formular oder einen Begriff
erklären oder wenn wir sogar nur darum bitten, dass sie etwas langsamer
sprechen, dann kommt oft nur: Ich bin nicht euer Lehrer, wenn ihr das nicht
versteht, kommt mit einem Anwalt oder Sprachmittler“, sagt er. „Wir würden
uns wünschen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort einfach
offener und solidarischer auf uns zugehen und uns bei diesen Dingen
helfen.“
## Ein Geflüchteter nahm sich vor kurzem das Leben
Aziza Sharwe, eine junge Frau aus Libyen, die in Eberswalde lebt, spricht
darüber, was dieses System mit den Menschen macht. „Wir sind von
Abschiebung bedroht, und selbst unsere Kinder, die hier geboren sind,
bekommen keinen deutschen Pass“, sagt sie. „Bis wann müssen wir so leben?
Sollen auch unsere Kinder noch sich mit Duldungen herumschlagen?“ Sharwe
erinnert in ihrem Redebeitrag auch an Salah Tayar, einen Geflüchteten aus
dem Tschad, der im Barnim lebte und sich vor wenigen Wochen das Leben
genommen hat. „Wir alle erleben die Situation so, wie Salah.“ „Ich habe
Angst davor, dass noch mehr von uns in so eine Verzweiflung kommen und
keinen anderen Ausweg sehen“, sagt sie.
Der Landkreis Barnim gibt auf Nachfrage an, Duldungen für vollziehbar
ausreisepflichtige Personen in der Regel für jeweils drei Monate zu
verlängern, kürzere Zeiträume (in der Regel vier Wochen) kämen vor allem
bei Menschen in Betracht, bei denen die zentrale Ausländerbehörde bereits
„aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ eingeleitet habe. Im Landkreis gäbe es
derzeit keine Person, bei der die „Aussetzung der Abschiebung“ nur um eine
Woche verlängert werden würde.
Die Ausländerbehörden unterstehen den Kommunen, die wiederum über
Anwendungshinweise die konkrete Arbeit steuern könnten – und etwa auch
bestimmen können, wie stark Ermessensspielräume ausgeschöpft werden. Ein
Beispiel: vor fast genau einem Jahr, zu Beginn der Coronapandemie, schlug
das Brandenburger Innenministerium den Ausländerbehörden vor, sogenannte
„Notbescheinigungen“ zu verschicken. Diese „Hinweise zu
Verfahrenserleichterungen im Zusammenhang mit der Pandemie“ sollen die
weitere Gültigkeit von Ausweispapieren wie etwa Duldungen bescheinigen und
so Besuche in den Behörden einschränken. Laut Innenministerium ist dieses
Verfahren auch weiterhin möglich. Die Ausländerbehörden setzten dies nach
Information des Brandenburger Flüchtlingsrats unterschiedlich um.
Die Behörde in Eberswalde gehört zu denen, die darauf bisher nicht
zurückgegriffen hat und weiterhin auf Vorsprache und Verlängerung von
Duldungen vor Ort besteht. Wie ein Sprecher des Landkreises auf taz-Anfrage
mitteilte, sieht man solche Notbescheinigungen im Barnim als „Ultima
Ratio“, da sie „nicht den Anforderungen der Aufenthaltsverordnung
entsprechen, nicht an das Ausländerzentralregister übermittelt werden
können und keinen gesteigerten Schutz vor Fälschung oder Verfälschung“
böten.
13 Apr 2021
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Ausländerbehörde
Duldung
Geflüchtete
Lesestück Recherche und Reportage
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