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# taz.de -- Fünf Monate bis zur Bundestagswahl: Der grüne Scheinriese
> Die Grünen küren clever Baerbock, in der Union schlagen sich die Machos –
> welch ein Kontrast. Trotzdem sollte man die Union nicht abschreiben.
Bild: Für die Grünen könnten wieder trübere Tage kommen: die Parteichefs Ba…
Für die Grünen sieht es derzeit glänzend aus. Sie haben nicht nur eine
strahlende Kanzlerkandidatin, sondern auch eine kompakte Erzählung: Sie
streben die ökologische Modernisierung der Wirtschaft an, nicht mehr gegen,
sondern mit den Konzernchefs. Sie setzen auf den Markt und eine
Ordnungspolitik, die nur noch schwerlich als Verbotspolitik denunzierbar
ist. Und sie zeigen sich fast beängstigend geschlossen. Basisdemokratie war
vorgestern. Der Flügelstreit fällt mangels eines ernst zu nehmenden linken
Flügels auch aus.
Die Union wirkt hingegen konfus. Armin Laschet ist bei der eigenen Basis
und dem Publikum unbeliebt. Die Union hat noch nicht mal ein Wahlprogramm.
Ihr Image, für pragmatische Lösungen zu sorgen, hat tiefe Kratzer.
Machtkampf und Maskendeals haben das Vertrauen in die Kernkompetenz der
Union erschüttert.
Hier die professionelle Inszenierung von Annalena Baerbock, dort eine
verzweifelte Machowirtshausschlägerei – größer kann der Kontrast kaum sein.
Doch wenn man genauer hinschaut, erkennt man Ähnlichkeiten. Baerbock und
Laschet sind beide Figuren des Apparats. Beide strahlen weniger hell als
ihre Konkurrenten, Robert Habeck und Markus Söder, die beide jenseits der
eigenen Stammklientel punkten könnten. Der Philosoph Habeck gegen den
Populisten Söder, das wäre im Wahlkampf ein hübsches Match geworden.
Baerbock gegen Laschet wird eher ein Kampf um Spiegelstriche.
[1][CDU und Grüne] haben sich somit für Bodenhaftung und gegen die
Höhenflüge entschieden. Ihre Entscheidungen folgen jener typisch
bundesdeutschen mittleren Vernünftigkeit, die auf Risikominimierung zielt.
Denn Habeck wären im Wahlkampf Wissenslücken und verblüffende
Ahnungslosigkeit zuzutrauen gewesen. Und beim Armdrücken in der Union hat
man die Abgründe von Söders Populismus light gesehen. Parteigremien wurden
da in fast Trump’scher Manier niedergemacht. Bei Söder ist nur Verlass
darauf, dass bei ihm auf nichts Verlass ist. Die Union als eine Art Liste
Söder? Das dann lieber doch nicht.
## Der mediale Honeymoon wird vorübergehen
Scheinbar rückt nun Grün-Schwarz ganz nahe. Die Grünen wären aber naiv,
wenn sie die Krönungsfeierlichkeiten für [2][Baerbock] für Hartwährung
hielten. Die von journalistischen Fans derzeit heftig umschwärmte Baerbock
(Mutter! Modern! Jung! Feministisch!) wird schon als neue Merkel auf den
Thron gehoben. Doch ein ehernes mediales Gesetz lautet: Wer hochgejubelt
wird, wird auch wieder heruntergeschrieben. Der mediale Honeymoon mit
Annalena wird vorübergehen. Ist sie nicht doch zu unerfahren? Warum redet
sie jetzt schon genauso stanzenhaft wie alle anderen?
[3][Die Grünen] wollen 12 Euro Mindestlohn und die Vermögenssteuer wieder
einführen, 50 Milliarden pro Jahr investieren und die Schuldenbremse
faktisch abschaffen. Die Frage, wie sie das mit der Union oder gar der FDP
umsetzen wollen, wurde Baerbock großherzig erspart. Bei den Grünen ist die
Kluft zwischen hehrem Anspruch und grauer Wirklichkeit tief. Das kann man
im seit zehn Jahren grün regierten Baden-Württemberg sehen, wo die
Energiewende, das grüne Kernprojekt, so gar nicht vorankommt. Im Wahlkampf,
der immer ein Säurebad ist, werden die Grünen in weniger mildem Licht
erscheinen als jetzt – ihre Mittigkeit als gewöhnlich, ihr Reformelan als
doch etwas anstrengend.
Die Deutschen wählen zudem strukturkonservativ. Sie jagen ungern
Regierungen vom Hof und wählen lieber unspektakulär. Wenn im Herbst zudem
der Pandemie-Ausnahmezustand endet, wird die sehnsüchtig erwartete
Normalität zurückkehren. Normalität aber ist ein Humus, auf dem das
Bekannte gedeiht und auf dem es das Neue schwer hat.
Es ist keine kühne Vermutung, dass dies der zerzausten Union nutzen wird.
Man sollte sie nicht zu schnell abschreiben. Vorausgesetzt, dass Laschet,
der oft so schwankend wirkt, ab jetzt keinen, aber wirklich keinen Fehler
mehr macht.
24 Apr 2021
## LINKS
[1] /Armin-Laschets-Kanzlerkandidatur/!5762342
[2] /Baerbock-gegen-Scholz-in-Potsdam/!5767151
[3] /Gruene-stellen-Wahlprogramm-vor/!5759747
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Annalena Baerbock
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Markus Söder
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Kolumne Der rote Faden
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