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# taz.de -- Berliner Freiwilligenmesse nur digital: Ehrenämter in 2-D
> Die 14. Freiwilligenmesse startet am Samstag digital. Dabei ist die
> Initiative Arbeiterkind.de, die sich gegen Klassismus im Bildungssystem
> richtet.
Bild: Benachteiligt etwa an der Uni: Kinder aus Arbeiterfamilien
Berlin taz | „Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!“, so lautet das diesjährige
Motto der 14. Berliner Freiwilligenmesse, die am Samstag, dem 17. April
2021, startet. Denn eine „selbstbewusste Zivilgesellschaft“, so erklärt
Carola Schaaf-Derichs von der Landesfreiwilligenagentur Berlin, könne „mit
der Kraft, die in ihr wohnt, die Dinge verändern“. Insbesondere die
ehrenamtlich Engagierten stopften die Löcher dort, wo „Staat und Wirtschaft
weniger den Blick drauf haben“.
Ein solches Löcherstopfen betreibt etwa die [1][Initiative
Arbeiterkind.de], die Kinder, Jugendliche und Studierende unterstützt, die
als erste in ihrer Familie eine Hochschulbildung anstreben. Denn
Arbeiterkinder haben es im deutschen Bildungssystem nicht leicht, wie die
gemeinnützige Organisation in ihrem Jahresbericht vorrechnet: Nur 21
Prozent von ihnen beginnen demnach ein Studium – gegenüber 74 Prozent der
Kinder aus Akademikerfamilien. Und der „Bildungstrichter“, wie Pablo
Ziller, Pressesprecher der Initiative, das Phänomen gegenüber der taz
bezeichnet, wirke auch in der weiteren Hochschullaufbahn fort. So erreiche
nur eines von 100 Arbeiterkindern die Promotion – gegenüber 10 von 100
Kindern aus Akademikerfamilien.
Dieser Form von klassistischer Diskriminierung möchte die Initiative etwas
entgegensetzen, indem sie Schüler:innen und Studierende aus
Arbeiterfamilien berät. Die Initiative veranstaltet etwa Vorträge an
Schulen oder informiert über mögliche Stipendien. Insbesondere die
Ehrenämtler, häufig selbst Kinder aus Arbeiterfamilien, fungierten dabei
als „Vorbilder“, so Pressesprecher Ziller.
Diese Vorbilder sucht die Initiative auch auf der Berliner
Freiwilligenbörse, die in diesem Jahr natürlich in digitaler Form
stattfindet. Dabei sei man kreativ geworden, berichtet Schaaf-Derichs von
der Landesfreiwilligenagentur: Man habe eine [2][digitale „Speaker's
Corner“] eingerichtet, ein Begriff, der eigentlich ein bekanntes
öffentliches Rednerpult im Londoner Hyde Park beschreibt. Für die Messe ist
ein Livestream geplant, über den sich täglich 14 bis 15 Organisationen kurz
vorstellen können.
## Im zweidimensionalen Messeraum
Anschließend könnten sich die am Freiwilligendienst interessierten
Berliner:innen wie in einem Computerspiel in einem digitalen,
zweidimensionalen Messeraum bewegen. Steuere man den eigenen Avatar in
Richtung eines digitalen Standes, öffne sich ein Videokonferenzfenster –
womit der direkte Austausch mit Vertreter:innen der Organisationen
ermöglicht würde. Denn „auch in digitalen Zeiten bleibt der persönliche
Kontakt für das zukünftige Engagement entscheidend“, sagt Schaaf-Derichs.
Die Angebote sind vielfältig: Exakt 100 Freiwilligenorganisationen stellen
sich auf der Messe vor. Interessierte können sich schon vorab auf der
Webseite der Messeerkundigen: Insgesamt stehen 16 Themenfelder zur Auswahl.
Besonders im Trend liege dieses Jahr der Umwelt-, Natur- und Tierschutz,
sagt Schaaf-Derichs, wohl auch, da dieser häufig draußen stattfinde. Die
AHA-Regeln könnten so leichter eingehalten werden.
Etwa 10.000 Menschen besuchten die Messe in analogen Zeiten in Präsenz im
Roten Rathaus sowie auf der Webseite der Messe. Schaaf-Derichs hofft, dass
es in digitaler Form noch mehr werden. Denn nach wie vor seien Ehrenämter
beliebt: Fast 40 Prozent der Berliner:innen würden ein solches ausüben,
wie Schaaf-Derichs unter Bezugnahme auf dem Bundesfreiwilligensurvey 2019
sagt. Trotz Ausbildungsstress und Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt seien
dabei gerade junge Menschen statistisch überrepräsentiert. Doch auch
Rentner:innen blieben lange engagiert.
## Rund 10 Prozent der Organisationen gaben auf
Die Coronapandemie habe das Engagement in den Freiwilligendiensten nicht
geschmälert: „Insgesamt haben wir eine ähnliche Wellenbewegung wie in der
sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erlebt: Zu Beginn der Pandemie
gab es eine enorme Hilfsbereitschaft, die mittlerweile wieder etwas
abflacht, einfach weil dieses Level an spontanem Engagement nicht dauerhaft
zu halten ist“, so Schaaf-Derichs. Besonders hebt sie die „logistischen
Meisterleistungen“ vieler Organisationen hervor, die ihr Engagement
innerhalb kürzester Zeit an die neuen Bedingungen anpassen mussten. So habe
etwa die Berliner Tafel auf einen AHA-Regeln konformen Lieferdienst
umgeschaltet.
Doch nicht alle Organisationen konnten die Umstellung stemmen. „Nach
unserem Überblick mussten circa 10 Prozent der Organisationen aufgeben“,
sagt Schaaf-Derichs. „Vor allem trifft es jene, die noch nicht dauerhaft
organisatorisch aufgestellt und durch langfristige Förderungen gesichert
sind.“ Überdurchschnittlich oft träfe dies auf migrantische
Selbstorganisationen zu, die auf der politischen Agenda „oft noch zu wenig
Unterstützung für ihre Selbstorganisation erhalten“, so Schaaf-Derichs.
Die Initiative Arbeiterkind.de erhofft sich einen neuen Schwung an
Ehrenämtlern durch die Berliner Freiwilligenbörse. Das habe man schon in
der Vergangenheit beobachten können, sagt Ziller. Man müsse auch nicht
zwingend ein Arbeiterkind sein, um bei der Initiative mitzumachen: „Man
kann sich auch bei uns engagieren, wenn man das Kind einer Lehrerin ist.
Wir sind für alle offen.“
17 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.arbeiterkind.de/
[2] https://event.berliner-freiwilligenboerse.de/speakers-corner/
## AUTOREN
Timm Kühn
## TAGS
Ehrenamt
Arbeiter
Klassismus
Bildung
Kolumne Postprolet
Klassismus
Schwerpunkt Coronavirus
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