# taz.de -- Neuköllner über Alltagsrassismus: „Nur Zufall, dass es bei Aldi… | |
> Der Neuköllner Prince Ofori wird in einer Aldi-Filiale rassistisch | |
> beleidigt. Er fordert Konsequenzen und Aufklärung. | |
Bild: Altagsrassismus beim Einkaufen? Passiert leider viel zu oft | |
Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde Prince Ofori in einer Neuköllner | |
Aldi-Filiale von einem Kunden rassistisch beleidigt und vom Filialleiter | |
daraufhin aus dem Laden gedrängt, als er anfing, den Vorfall zu filmen. In | |
dem Video, welches er auf der Plattform Instagram hochlud, ist zu sehen, | |
wie er von mehreren Kund*innen umringt und vom Filialleiter mit einem | |
Karton beworfen wird. Mehrmals sei im Vorfeld das Wort „N*“ gefallen, ein | |
Kunde, so sagt es Ofori im Video, habe Schokoküsse in seiner Anwesenheit | |
mehrmals laut als „N*küsse“ bezeichnet. Das Video des Vorfalls haben auf | |
Instagram mehr als sieben Millionen Menschen gesehen. Einen Tag nach dem | |
Vorfall teilte Aldi Nord, ebenfalls auf Instagram mit, dass das Unternehmen | |
personelle Konsequenzen gezogen hatte: „Als ersten Schritt haben wir uns | |
von den im Video handelnden Mitarbeiter aufgrund seines Fehlverhaltens | |
getrennt“. Und bat Prince Ofori um Entschuldigung. | |
taz: Herr Ofori, der rassistische Angriff auf Sie in einer Neuköllner | |
Aldi-Filiale ist nun einige Tage her. Wie fühlen Sie sich heute? | |
Prince Ofori: Ich habe das noch nicht verarbeitet. Jeden Tag realisiere ich | |
aufs Neue, was mir überhaupt dort passiert ist: Meine Hilflosigkeit in | |
diesem Moment. Ich spüre auch die hohen Erwartungen an mich. | |
Von wem? | |
Von vielen Schwarzen Menschen und People of Color. Ich war diese Woche auf | |
dem Weg zum Arzt, weil der ganze Stress mich belastet und auf der Straße | |
haben mich Menschen erkannt, mir Mut zugesprochen. Jugendliche haben | |
gesagt, dass sie an mich glauben. Es gibt hier in Neukölln und überhaupt | |
die Erwartung, dass sich jetzt endlich etwas ändert. Die Leute fühlen sich | |
gesehen. Ich habe es, schon lange vor dem Vorfall, zu meiner Aufgabe | |
gemacht aktiv an dieser Veränderung mit zu arbeiten. Aber diese Welt ist | |
noch nicht so weit. Meine Familie und meine Freund*innen unterstützten | |
mich. Ich fühle mich leer und motiviert zugleich. Komische Gefühlslage. Ich | |
bin auch einfach froh, dass ich wegen der ganzen Sache nicht im Knast | |
gelandet bin. | |
Warum? | |
Hätte ich nicht mit meinem Handy alles festgehalten, hätte man mir nie | |
geglaubt, was passiert ist. Ich stand vor erwachsenen Menschen, die mich | |
rassistisch beleidigt, angeschrien und angegriffen haben. Wer hätte mir | |
geglaubt, dass ich, der Schwarze Mann, angegriffen wurde? Niemand! | |
Haben Sie instinktiv gefilmt oder haben Sie das irgendwo gelernt, dass | |
solche Situationen dokumentiert werden sollten? | |
Das war instinktiv. Ich habe versucht, mit den Leuten im Laden zu reden, | |
ihnen zu erklären, dass das N-Wort rassistisch und verletzend ist. Aber sie | |
wollten nicht hören. Plötzlich versammelten sich so viele Menschen um mich | |
herum. Sie kamen mir nahe, haben mich bedroht, mir versagte die Stimme. Es | |
war so, als sei ich von Hyänen umzingelt gewesen. Also habe ich mein Handy | |
rausgeholt und habe angefangen zu filmen. Als Verteidigung. In diesem | |
Augenblick wurde mir der erste Karton in den Bauch gestoßen, kurz danach | |
flogen sie mir entgegen. | |
Aldi hat sich entschuldigt und angekündigt, den Filialleiter, der Sie | |
angegriffen hat, zu entlassen. Was sind Ihre Forderungen? | |
Ich habe noch nicht schriftlich bestätigt bekommen, dass der Filialleiter | |
entlassen wurde. Ich fordere auch, dass der Security-Mitarbeiter entlassen | |
wird. Ich möchte eine ehrliche Entschuldigung und Unterstützung, dass ich | |
mit dem ganzen Vorfall überhaupt klarkomme. Am wichtigsten ist mir aber: | |
Aufklärung. Bei Aldi müssen alle Etagen – von ganz oben bis zu den | |
Angestellten in den Filialen – eine Sensibilisierung für das Thema | |
Rassismus bekommen. Es ist aber auch nur Zufall, dass es bei Aldi passiert | |
ist. Das hätte mir oder jeder anderen von Rassismus betroffenen Person an | |
einem beliebig anderen Ort passieren können. Rassismus ist leider überall. | |
Wie hat Sie bisher das Thema Rassismus in Deutschland begleitet? | |
Das Thema begleitet mich jeden Tag, ob ich will oder nicht. Mein Vater | |
erzählt, wie er vor ungefähr vierzig Jahren in Deutschland angekommen ist. | |
Er ging in eine Bar. Dort hat ihm jemand eine Waffe an den Kopf gehalten | |
mit dem Spruch: „N*s bekommen hier nichts zu trinken.“ Und deswegen wollte | |
ich in der Aldi-Filiale einfach die Leute aufklären, dass rassistische | |
Sprache mich und andere in der Gesellschaft verletzt und bedroht. Warum | |
würde jemand auf ein verletzendes Wort mit so einer Vehemenz bestehen? Ich | |
verstehe das einfach nicht. | |
Es wurde seitdem viel diskutiert. Einige weiße Menschen haben in | |
Kommentaren formuliert, dass sie Angst haben vor „US-amerikanischen | |
Verhältnissen“, dass man nun bei „politischer Unkorrektheit“ gleich den … | |
verliert. Was begegnen Sie diesen Menschen? | |
Ihr braucht keine Angst zu haben, wir leben in einer weißen | |
Mehrheitsgesellschaft. Wir von Rassismus betroffenen Menschen wollen nur | |
als gleichwertige Menschen mit euch leben. Das Ding ist: Ich will einfach | |
nur Frieden. Meine Bitte ist, dass ich nicht andauernd daran erinnert | |
werden möchte, wie uns Ausbeutung und rassistische Strukturen alles nehmen. | |
Sie sind Künstler. Wie hilft Ihnen die Kunst, diese Realitäten zu | |
verarbeiten? | |
Kunst ist alles. Da draußen gelten wir automatisch als Täter, in der Kunst | |
bekommen wir Anerkennung, Liebe, Solidarität. Wir arbeiten hart und es | |
spiegelt sich direkt in unserer Kunst. Ich merke das bei den | |
Schüler*innen und Student*innen, mit denen ich seit 15 Jahren | |
tanzpädagogisch arbeite. Kunst ist meine Leidenschaft, mein Schutz, sie | |
gibt mir Disziplin und Kraft. Auch um mit den Menschen in einen Dialog zu | |
treten. Meine Erfahrungen als Künstler und Tänzer haben es mir überhaupt | |
ermöglicht, in der Situation so zu handeln wie ich es getan habe – und mich | |
nicht mit den Fäusten zu wehren. | |
Was möchten Sie der Gesellschaft und vielleicht spezifisch der Berliner | |
Stadtgesellschaft noch mitteilen? | |
Es ging mir nie darum, einzelne Menschen zu bestrafen. Es geht mir nur um | |
Aufklärung. Als ich nach dem Angriff vor dem Laden stand, kam irgendwann | |
die Polizei dazu. Die Beamt*innen haben gefragt, ob ich eine Anzeige | |
erstatten oder lieber erneut das Gespräch suchen möchte. Ich habe mich fürs | |
reden entschieden, obwohl es eigentlich nicht mal unsere Aufgabe ist Weiße | |
Menschen über Rassismus aufzuklären. Doch der Filialleiter und ein Kunde | |
bestanden darauf, dass sie das Z-Wort, das N-Wort und überhaupt | |
rassistische Sprache nutzen wollen. Was die Gesellschaft lernen muss ist, | |
dass Weiße Menschen ihr Privileg nutzen sollten und erstens ihre eigene | |
rassistische Sozialisierung erkennen und außerdem in so einer Situation zu | |
helfen. Ich hätte das Video wahrscheinlich nicht hochgeladen, wenn mir | |
mindestens eine Person in dem Laden zur Seite gestanden hätte. | |
29 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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