| # taz.de -- Neues Album von Nils Frahm: Einfach nur Klavier | |
| > Eben erst erschienen, aber eigentlich schon von 2009 ist Nils Frahms | |
| > Album „Graz“. Es klingt überraschend anders, der Pianist zeigt sich als | |
| > Romantiker. | |
| Bild: Der Musiker Nils Frahm am Klavier | |
| Neoklassik? Betuliche Wellness-Musik für Hipster in der Midlifekrise. Nils | |
| Frahm? Ja, der ist schon cool. Wie kann das sein? Während der Ruf der | |
| Neoklassik zusehends schlechter wird, lässt kaum jemand etwas auf Nils | |
| Frahm kommen. Das allerdings könnte sich nun ändern mit seinem neuesten | |
| Album „Graz“. | |
| Und das liegt auch daran, dass „Graz“ zwar eben erst erschienen, aber dann | |
| doch nicht wirklich neu ist. Stattdessen ist die Aufnahme von 2009 | |
| eigentlich das Debütalbum des mittlerweile 38-Jährigen für das renommierte | |
| Londoner Label Erased Tapes. Seitdem hat der Neoklassikstar von seinem | |
| Studio im Berliner Funkhaus aus die ganze Welt mit einer faszinierenden | |
| Mischung aus Elektronik, präpariertem Klavier, Synthesizern und Samplern, | |
| klassischen Strukturen, Ideen aus dem Jazz und Sounds aus dem Club | |
| versorgt. | |
| Auf dem neuen, alten Album allerdings, eingespielt im Mumuth, dem Haus für | |
| Musik und Musiktheater der Kunstuniversität Graz, spielt Frahm einfach nur | |
| Klavier. Wäre man nun böse, könnte man sagen: Frahm klimpert, er lässt es | |
| perlen, streichelt die Tasten. Er hört sich, seien wir ehrlich, auf „Graz“ | |
| verdammt nach einem dieser anderen Neoklassiker an, die eine attraktive, | |
| aber auch möglichst unauffällige Klangtapete verkleben. | |
| Es ist auf jeden Fall ein dramatischer Gegensatz zu Frahms letzten | |
| Veröffentlichungen. Erst im Dezember konnte man im Film „Tripping With Nils | |
| Frahm“ sehen, wie der in Hamburg aufgewachsene Musiker als Derwisch hinter | |
| seinen verschiedenen Tastengeräten herumwirbelt und wie unter seinen Händen | |
| eine Klangwelt entsteht, in der man sich leicht verlieren kann. Wie er sich | |
| aber auch immer wieder ans Klavier setzt und pure Sentimentalität aus | |
| seinen Fingern fließt. Vielleicht hatte man es, überwältigt von der | |
| großartigen Verschmelzung der verschiedenen Welten, die Frahms Musik | |
| auszeichnet, nur vergessen: Auch in Nils Frahm wohnt natürlich ein | |
| Romantiker. | |
| Ungebrochene Romantik | |
| Dieser Romantiker ist auf „Graz“ relativ ungebrochen zu hören. Oder, wie | |
| Frahm selbst in den Liner Notes des Albums schreibt, in denen er erklärt, | |
| warum er die Aufnahme „aus gutem Grund unter Verschluss gehalten“ hat: „I… | |
| höre darin eine deutlich jüngere Version von mir selbst, und viele der | |
| musikalischen Ausdrucksformen von damals könnte ich heute unmöglich | |
| nachmachen.“ | |
| Doch trotz der jugendlichen Unbekümmertheit wird aus Frahm nicht gleich ein | |
| Keith Jarrett oder Jean-Michel Jarre, dazu ist der Wahlberliner nicht | |
| ausreichend musikalisch naiv und wohl auch nicht eitel genug. Schon damals | |
| verzichtet er darauf, seine Fingerfertigkeiten allzu ausführlich zu | |
| demonstrieren. Sein technisches Vermögen steht ganz im Dienst des Klangs, | |
| der Harmonie, der Stimmung, aber die ist sehr oft dann doch eher | |
| wohltemperiert. | |
| Nein, Frahm haut nicht in die Tasten, aber, wenn man länger und intensiver | |
| zuhört, ist auch hier schon zu erkennen, wohin die Reise einmal gehen | |
| könnte. Selten stößt er in seinen Kompositionen auf Klischees aus der | |
| Klassik, und wenn, dann umsegelt er sie so souverän, dass sie nur als | |
| Ahnung am Horizont schimmern. In den besten Momenten aber wirken die Stücke | |
| wie improvisiert, ohne wiederum nach Jazz zu schmecken. Und der reine Klang | |
| verkommt nicht zum Ambient. | |
| Denn das, was Frahm wirklich unterscheidet vom Großteil der Konkurrenz im | |
| Neoklassikmarkt, ist auch auf „Graz“ schon spürbar: Seine Musik besitzt | |
| eine lyrische Qualität, die dem reinen Wohlfühlklang, auf den andere | |
| setzen, mit einer sanft vibrierenden Spannung unterlegt. Diese Qualität | |
| wird auf diesem verspäteten Debüt mit seinem kargen, essenziellen Setting | |
| umso deutlicher herausgearbeitet. Nils Frahm? Doch, der ist schon cool – | |
| und war er schon damals. | |
| 26 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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