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# taz.de -- Grünen-Kandidatinnen über ihre Profile: „Der Typ Macherin“
> Mit Sina Demirhan und Maryam Blumenthal bewerben sich zwei Frauen mit
> Migrationsgeschichte um den Landesvorsitz der Hamburger Grünen.
Bild: Wollen die grüne Partei in Hamburg führen: Sina Demirhan (links) und Ma…
taz: Frau Blumenthal, Frau Demirhan – was treibt Sie an, Landesvorsitzende
der Hamburger Grünen werden zu wollen?
Sina Demirhan: Ich bin seit zehn Jahren bei den Grünen, war für sie in der
Bezirksversammlung Eimsbüttel, bin in der Bürgerschaft und seit zwei Jahren
im Landesvorstand. Dieses Engagement möchte ich fortführen und ausweiten.
Deshalb mache ich der Partei ein Angebot.
Maryan Blumenthal: Wir haben 3.700 motivierte Mitglieder, die viel
Kompetenz in die Partei einbringen, und sind in Hamburg eine nicht mehr
wegzudenkende Regierungspartei. Ich möchte dazu beitragen, dass wir beides
zusammenbringen und dabei unser inhaltliches Profil schärfen.
Warum sind Sie die Idealbesetzung?
Blumenthal: Ich lebe seit über 23 Jahren in Hamburg, als Kind einer
Flüchtlingsfamilie, ehemalige Hartz-IV-Empfängerin und heute Mutter dreier
Kinder, die in den schmucken Walddörfern wohnt. Mein Blick auf die
Stadtgesellschaft und die Hamburger Grünen ist ein langjähriger und sehr
differenzierter. Genau das brauchen wir jetzt.
Demirhan: Ich habe eine sehr moderative Art und kann unterschiedliche
Positionen gut zusammenbringen, scheue mich aber auch nicht, Konflikte
anzusprechen. Das ist meine Stärke.
Welche Herausforderung erwächst aus dem Mitgliederwachstum?
Demirhan: In einer Phase des ungeheuren Mitgliederwachstums geht es darum,
unsere Strukturen so zu entwickeln, dass alle Mitglieder mit ihren
unterschiedlichen politischen Ideen sich in die Partei einbringen können.
Blumenthal: Die Menschen kommen zu uns, weil sie nicht mehr auf der Couch
meckern, sondern die Ärmel hochkrempeln, gestalten und unsere Programmatik
weiterentwickeln wollen. Sie bringen viel Expertise mit. Gemeinsam müssen
wir noch klarer herausstellen, welchen Unterschied es macht, grün zu
wählen.
Was sind die Themen, die Sie in der Partei voranbringen möchten?
Blumenthal: Wir haben uns deutlich bei den Themen Mobilitätswende, Klima
und Umwelt sowie Wissenschaft profiliert. Jetzt müssen wir die ökologische
und die soziale Frage enger miteinander verketten und daraus ein großes
Gesamtpaket machen.
Demirhan: Es geht darum, dass Hamburg eine klimaneutrale Stadt der sozialen
Gerechtigkeit wird. Dabei müssen wir inhaltliche Radikalität und
Regierungsfähigkeit noch besser unter einen Hut, und das, was auf der
Straße diskutiert wird, ins Parlament bringen.
Landeschefin zu sein, heißt, Konflikte zu kitten – welche kommunikativen
Kompetenzen zeichnen Sie aus?
Demirhan: Ich versuche immer zu ergründen, warum jemand eine bestimmte
Position vertritt und wo es Kompromisslinien zwischen Positionen gibt. Mich
zeichnet aus, dass ich in schwierigen Verhandlungssituationen einen kühlen
Kopf bewahre und die Interessen zusammenbringen kann.
Blumenthal: Ich stehe dafür, mit einem Ergebnis nach Hause zu kommen – bin
der Typ Macherin. Das habe ich in der Vergangenheit oft bewiesen. Ich bin
ergebnisorientiert und habe als bekennende Reala einen guten Zugang zu
allen Parteiebenen, weil ich immer offen bin für andere Gedanken.
Politische Inhalte zu diskutieren und zu einen, ist meine große
Leidenschaft.
Was hat Sie motiviert, bei den Grünen einzutreten?
Demirhan: Ich bin 2010 aus umweltpolitischen und sozialen Gründen Mitglied
geworden, weil ich in der Nähe des AKW Krümmel aufgewachsen bin. Die
sogenannten Gastarbeiter mussten hier unter schwierigen Bedingungen
arbeiten. Dazu kam der Kampf gegen rechts. Ich habe Schmähschriften der NPD
in meinem Briefkasten gefunden, mit der Aufforderung, in meine Heimat
zurückzukehren – wo immer das sein soll.
Blumenthal: Ich habe vor zehn Jahren die Grünen im Wahlkampf etwas
unterstützt. Dann hieß es vor der Bezirks-Wahl: Wir brauchen Frauen auf der
Liste. Also habe ich mich da draufsetzen lassen. Dann wurde ich
überraschend gewählt und landete in einer Welt, die ich nicht kannte. Es
hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich das kann.
Genau deshalb brauchen wir die Frauenquote.
Haben Sie aufgrund Ihrer Migrationsgeschichte innerhalb der Grünen eine
Sonderbehandlung erfahren?
Blumenthal: Das hat keine Rolle gespielt. Nicht meine Fluchtgeschichte,
sondern mein sozialer Hintergrund, die Frage, aus welchem Stadtteil ich
kam, oder dass ich ehemalige Hartz-IV-Empfängerin war, hat es mir manchmal
schwer gemacht. Ich bin anders sozialisiert und habe oft eine andere
Sprache als meine Kolleg*innen, direkter und manchmal kritischer.
Demirhan: Ich hatte mitunter das Gefühl, dass meine Migrationsgeschichte
auch in meiner Partei eine Rolle gespielt hat und es dadurch Barrieren
gegeben hat. Wir haben inzwischen ein Vielfaltsstatut und wollen mehr
Menschen mit Diversitätsmerkmalen die Chance geben, bei den Grünen
anzukommen. Heute sind wir in der komfortablen Situation, dass zwei Frauen
mit Migrationsgeschichte den Anspruch anmelden, die Führung dieser Partei
zu übernehmen.
Was muss passieren, damit Menschen mit Migrationsgeschichte in politischen
Führungspositionen vertreten sind, wie es ihrem Bevölkerungsanteil
entspricht?
Blumenthal: Wir brauchen Vorbilder, mehr Menschen mit einer
Migrationsgeschichte, die sich engagieren. Aber es geht nicht nur um
Migration: Welche*r Bürgerschaftsabgeordnete war schon mal auf Hartz IV
angewiesen, hat keinen Schulabschluss oder ist alleinerziehend?! Das alles
sind Herausforderungen, wenn Parlamente ein Abbild der Gesellschaft werden
sollen.
Demirhan: Vorbilder sind wichtig, reichen aber nicht aus. Wir müssen
Strukturen aufbrechen, so dafür sorgen, dass in den Parlamenten nicht nur
Akademiker*innen sitzen und sie diverser werden. Das fängt bei der
Sprache an: Wenn so verklausuliert geredet wird, dass keiner versteht,
worüber wir debattieren, schließen wir Menschen aus.
Als Kinder aus Familien mit Migrations- beziehungsweise Fluchtgeschichte
aus der Türkei und dem Iran wurden Sie Akademikerinnen. Ist das ein Beleg
für Bildungsgerechtigkeit in Deutschland?
Demirhan: Wir sind noch nicht mal nahe dran, Bildungsgerechtigkeit zu
erreichen. Menschen wie wir beide sind Ausnahmen. Die meisten
Student*innen kommen natürlich aus Akademiker*innenhaushalten. Es ist
unser Ziel, das grundlegend zu ändern.
Blumenthal: Die Ansprüche der Eltern an den Bildungserfolg ihrer Kinder ist
ein sehr wichtiger Faktor, und es ist kein Zufall, wer an der Uni landet.
Deshalb müssen wir dort, wo der Haushalt nicht leisten kann, was notwendig
ist, gezielter fördern.
Der öffentliche Fokus liegt stark auf der Fraktion. Wie wollen Sie die
Partei gegenüber der Fraktion stärken?
Demirhan: Wir müssen definieren, was wir als Partei politisch wollen,
mitunter auch in Abgrenzung zu unserer Fraktion und zum Senat. Es ist nicht
Aufgabe des Landesvorstands, das politische Tagesgeschäft zu kommentieren,
sondern die Identität der Partei zu formen.
Blumenthal: Wir haben unter Corona gespürt, wie sehr wir eine starke Partei
brauchen, die Positionen erarbeitet, die über tagesaktuelle Fragen
hinausweisen. Wir müssen die langen Linien entwickeln, mit denen wir unser
Profil schärfen und Wahlen gewinnen.
Sind die Grünen als Regierungspartei zu zahm geworden?
Blumenthal: Zu zahm nicht, aber wir waren zuletzt nicht so sichtbar, weil
die für die Pandemiebekämpfung wichtigen Senatsämter in SPD-Hand liegen.
Die Menschen sind wegen Corona sehr verunsichert und brauchen keine
Koalition, die sich ständig zankt, sondern eine, die gemeinsam funktioniert
Demirhan: Das wird stets diskutiert, wenn Grüne regieren. Im Spannungsfeld
zwischen radikal und staatstragend ist mir wichtig, dass möglichst viele
grüne Inhalte real umgesetzt werden.
19 Apr 2021
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Realos
Grünes Wachstum
Hamburg
Grüne Hamburg
Migrationshintergrund
Hamburg
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Lesestück Recherche und Reportage
Schulbehörde Hamburg
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