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# taz.de -- Verbotsverfahren gegen HDP in der Türkei: Frontalangriff auf die H…
> Die Staatsanwaltschaft will die kurdisch-linke HDP in der Türkei
> verbieten. Der Schlag hatte sich abgezeichnet – Grund sind Wahlerfolge
> der Partei.
Bild: Mandat entzogen: Ömer Faruk Gergerlioglu, Menschenrechtsanwalt und HDP-A…
Berlin taz | Nachdem die türkische Regierung in den letzten Wochen ihren
Druck auf die kurdisch-linke HDP (Partei der Völker) kontinuierlich erhöht
hatte, kam am Mittwochabend der Frontalangriff: der Generalstaatsanwalt von
Ankara stellte beim zuständigen Verfassungsgericht den Antrag, die HDP
komplett zu verbieten. Außerdem sollen 687 der wichtigsten Funktionäre der
Partei mit einem Politikverbot für fünf Jahre belegt werden, damit sie
nicht in einer neuen kurdischen Partei aktiv werden können.
Dieser Schlag gegen die HDP hatte sich seit längerem abgezeichnet. Immer
wieder waren [1][Funktionäre verhaftet] und Bürgermeister der HDP abgesetzt
und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt worden. Darüber hinaus wurde
versucht, Abgeordneten der HDP im Parlament die Immunität zu entziehen,
angeblich um gegen sie strafrechtlich vorgehen zu können.
Erst wenige Stunden vor Bekanntwerden der Verbotsforderung war dem
HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu sein Parlamentsmandat entzogen
worden, weil eine Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft gegen ihn im
Februar rechtskräftig geworden war. Grund für die Haftstrafe war ein Tweet
aus 2016, der ihm als Terrorpropaganda ausgelegt wurde.
Gergerlioğlu ist ein Menschenrechtsanwalt, der vor seiner
Abgeordnetentätigkeit die islamische Menschenrechtsorganisation Mazlum-Der
geleitet hatte. Seine Kollegin von Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb,
nannte die Entscheidung über die Aberkennung des Mandats eine „absolut
schockierende Entwicklung“, die zeige, dass der so genannte
Menschenrechtsaktionsplan, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor zwei
Wochen vorgelegt hatte, reine Fassade sei.
## HDP war bei Wahlen einfach zu erfolgreich
Dabei wird Gergerlioğlu wohl nicht der einzige Abgeordnete bleiben, der
sein Mandat verliert. Noch vor Ende des Verbotsverfahrens, das sich über
einige Monate hinziehen kann, könnten neun weitere HDP-Abgeordnete ihre
Immunität verlieren. Verschiedene Gerichte fordern vom
Parlamentspräsidenten die Aufhebung ihrer Immunität, um sie in diversen
Verfahren anklagen zu können. Darunter sind die beiden Parteivorsitzenden
Pervin Buldan und Mithat Sancar. Die früheren HDP-Vorsitzenden
[2][Selahattin Demirtaş] und Figen Yüksekdağ sitzen bereits seit 2016 im
Gefängnis.
Trotz des massiven politischen Drucks war die Partei bei ihren Wählern sehr
erfolgreich. Im Jahr 2015 gelang es der HDP als erster kurdischen Partei
überhaupt, die 10-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu
überspringen und die AKP von Präsident Erdoğan damit um ihre absolute
Mehrheit zu bringen. Seitdem war die HDP in zwei weiteren nationalen Wahlen
und den Kommunalwahlen 2019 erfolgreich. Sie hat rund sieben Millionen
Wähler.
Vor allem die Kommunalwahlen haben Erdoğan und seinem Koalitionspartner
Devlet Bahçeli von der ultranationalistischen MHP gezeigt, wie gefährlich
die HDP für sie ist. Indem die HDP, ohne dazu ein formales Bündnis
einzugehen, die Kandidaten der Oppositionskoalition von CHP und IYI-Partei
unterstützte, gelang es der Opposition, die wichtigsten Metropolen des
Landes zu erobern, darunter Istanbul und Ankara. Für kommende Wahlen soll
sich dieses Muster auf keinen Fall wiederholen. Nachdem es Erdoğan bislang
nicht gelang, einen Keil zwischen die Oppositionsparteien zu treiben, soll
nun das Verbot der HDP die Gefahr einer Wahlniederlage bannen.
Devlet Bahçeli forderte seit Wochen ein komplettes Verbot der HDP, während
die AKP und Erdoğan sich zunächst dagegenstellten und die HDP lieber durch
stetigen Druck zermürben wollten. Wie so oft hat sich Bahçeli in der
Regierung durchgesetzt. Die MHP ist seit langem der Meinung, es sei nur
möglich, die kurdische Guerilla PKK zu zerschlagen, wenn man auch ihren
angeblichen legalen Arm, gemeint ist die HDP, verbiete.
## US-Regierung hatte vor HDP-Verbot gewarnt
Die HDP nannte den Verbotsantrag in einer ersten Stellungnahme einen
zivilen Putsch der Regierung. Die AKP-MHP Koalition habe ihre demokratische
Legitimation längst verloren und kämpfe mit Gewalt und Repression um ihre
Macht.
Bei einem Gespräch mit Journalisten hatte Co-Parteichef Mithat Sancar schon
vor wenigen Tagen angekündigt, im Falle eines Verbotsverfahrens mit einer
Parteineugründung reagieren zu wollen. Das US-Außenministerium hat die
türkische Regierung vor einem Verbot der HDP gewarnt. Das würde den
Wählerwillen ignorieren und die Demokratie in der Türkei massiv
beschädigen.
Da Präsident Erdoğan sich zur Zeit um eine Verbesserung der Beziehungen zur
neuen US-Regierung bemüht und angeblich auch einen Neuanfang mit der EU
wagen will, könnte das Verbotsverfahren hohe außenpolitische Kosten nach
sich ziehen.
18 Mar 2021
## LINKS
[1] /Haftbefehle-in-der-Tuerkei/!5716682
[2] /Urteil-zu-kurdischem-Politiker/!5735404
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
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