# taz.de -- Neue schottisch-nordirische Verbindung: Viel Rummel um Tunnel | |
> Großbritanniens Premier Johnson will zwischen Schottland und Nordirland | |
> eine Verbindung bauen. Die nordirische Verkehrsministerin widerspricht. | |
Bild: Fähre in Nordirland: Ein Tunnel nach Schottland würde die Reisezeit kau… | |
DUBLIN taz | Boris Johnson will nicht als Totengräber des Vereinigten | |
Königreichs in die Geschichte eingehen. Deshalb will der Premierminister | |
die vier Länder, die er regiert, verkehrstechnisch besser verbinden lassen. | |
Und Nordirland soll näher ans britische Mutterland rücken – mithilfe eines | |
Tunnels, den Johnson zwischen Schottland und Nordirland graben lassen will. | |
Peter Hendy, der Vorsitzende von Network Rail, der das britische | |
Schienennetz gehört, will noch vor Monatsende einen Zwischenbericht über | |
die Machbarkeit des Projekts vorlegen. Sollte der Bericht wie erwartet | |
positiv ausfallen, wird eine formale Durchführbarkeitsstudie in Auftrag | |
gegeben. | |
Ursprünglich hatte Johnson eine Brücke zwischen dem schottischen Stranraer | |
und dem nordirischen Larne vorgeschlagen. Die Idee wurde wegen der starken | |
Winde fallen gelassen. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die | |
Brücke an hundert Tagen im Jahr gesperrt werden müsste. | |
Stattdessen soll nun „Borisʼ Erdloch“ kommen, wie der geplante Tunnel | |
geringschätzig genannt wird. Er wäre gut 40 Kilometer lang, also rund 10 | |
Kilometer kürzer als der Kanaltunnel, der das Vorbild ist. An die damaligen | |
Probleme wegen Verzögerungen und Kostenexplosion erinnert man sich in | |
[1][Großbritannien] noch gut. So gibt es für den Nordirland-Tunnel bisher | |
weder einen offiziellen Zeitplan noch einen Kostenvoranschlag. Experten | |
schätzen, dass er bis zu 20 Milliarden Pfund kosten könnte. | |
## Skepsis in Nordirland und Schottland | |
Es könnte sogar noch teurer werden, da man nicht den kürzesten Weg nehmen | |
kann. Der führt nämlich durch den 300 Meter tiefen Beaufort-Graben rund 10 | |
Kilometer vor der schottischen Küste. Dort lagern weit über eine Million | |
Tonnen Waffen und Chemikalien aus dem Zweiten Weltkrieg. Die britische | |
Armee hatte das Zeug nach Kriegsende einfach ins Meer geschmissen. Ab und | |
zu wird Kriegsgerät an die schottischen und nordirischen Strände gespült. | |
Der viktorianische Eisenbahn-Ingenieur James Barton hatte schon vor 120 | |
Jahren diese Tunnel-Idee. Er ließ um 1900 Probebohrungen in Larne | |
durchführen. Aber die Idee wurde verworfen – zu schwierig, zu teuer. | |
Dasselbe Schicksal könnte Johnsons Tunnel widerfahren. | |
Zwar wird das Projekt vom britischen Schottlandminister Alister Jack | |
begeistert unterstützt. Aber in den beiden Ländern, die verbunden werden | |
sollen, ist man skeptisch. Eine Schnapsidee, findet die nordirische | |
Ministerin für Infrastruktur, Nichola Mallon, von der Sozialdemokratischen | |
Partei. „Boris Johnson hat viele Pläne für Nordirland ausgeheckt, sei es | |
die Boris-Brücke oder jetzt das Boris-Erdloch, aber er täte besser daran, | |
sich nicht auf glamouröse Tory-Projekte zu konzentrieren, sondern auf die | |
vielen Probleme vor seiner Haustür.“ | |
Der schottische Transportminister Michael Matheson bezeichnete die Sache | |
als „Eitelkeitsprojekt“, das praktisch ohne Konsultation organisiert worden | |
sei, obwohl Infrastrukturmaßnahmen Sache der Regionalparlamente seien. Und | |
die Abgeordnete [2][der schottischen Regierungspartei Scottish National | |
Party], Emma Harper, sagte: „Sogar Johnsons eigene Abgeordnete wissen, wie | |
verrückt sein Projekt ist.“ Der Tory-Abgeordnete Simon Haore vom | |
Nordirland-Ausschuss findet das auch. „Die Züge könnten von einer Herde | |
unermüdlicher Einhörner gezogen werden“, spottete er. „Lass uns lieber | |
daran arbeiten, dass das Nordirlandprotokoll funktioniert. Und legt die | |
halluzinogenen Drogen weg.“ | |
## Unionisten bei Laune halten | |
Vermutlich ist der Rummel um den Tunnel lediglich ein politisches Manöver | |
von Johnson. Er hat wenige Freunde in Nordirland, nachdem er Ende vorigen | |
Jahres das [3][Nordirlandprotokoll] als Bestandteil des Brexitvertrags | |
akzeptiert hat. Es regelt, dass Nordirland weiterhin Teil des | |
EU-Binnenmarkts bleibt und sich deshalb an die Zollregeln der EU halten | |
muss. Dadurch sind nun Kontrollen beim Warenverkehr von Großbritannien nach | |
Nordirland notwendig. | |
Das passt den nordirischen Unionisten nicht, sie halten das Protokoll für | |
einen Schritt in Richtung der Vereinigung Irlands. Zwar würde man in | |
Großbritannien der Krisenprovinz, die lange Zeit die Brexit-Verhandlungen | |
dominiert hat, keine Träne nachweinen. Aber auch Schottland ist drauf und | |
dran, einen erneuten Austrittsversuch aus dem Vereinigten Königreich zu | |
unternehmen. Die Tunnelidee soll die Unionisten in beiden Ländern vorerst | |
bei Laune halten. | |
Der Unterhausabgeordnete Sammy Wilson von der nordirischen Democratic | |
Unionist Party (DUP), die für den Brexit war, begrüßte zwar das | |
Tunnel-Projekt, fügte aber hinzu: „Wichtiger als die physische Verbindung | |
ist, dass wir wirtschaftlich und konstitutionell mit Großbritannien | |
verbunden sind.“ | |
## Unterirdischer Kreisverkehr | |
Der Tunnel würde ohnehin nur geringe Vorteile bringen. Die Fahrzeit von | |
London nach Stranraer beträgt sieben Stunden. Ob man dann mit dem Auto die | |
bestehende Fährverbindung nutzt oder auf einen Autoreisezug verladen wird, | |
beschleunigt die Reise nur unwesentlich. Schneller geht es mit der Bahn | |
erst, wenn die Schnelltrasse High Speed 2 gebaut ist. Dabei handelt es sich | |
um ein Bahninfrastrukturprojekt, das irgendwann London in Rekordzeit mit | |
den Midlands und dem Norden Englands verbinden soll. Darüber hinaus müsste | |
auch die Bahnverbindung vom nordenglischen Carlisle nach Stranraer | |
modernisiert und die Spurbreite in Nordirland angepasst werden. | |
Einige Londoner Regierungsbeamte haben deshalb einen anderen Vorschlag | |
gemacht. Sie plädieren für drei Tunnel – einen von Stranraer, die anderen | |
von Liverpool und Heysham in Lancaster. Die Tunnel sollen in einem | |
Kreisverkehr unter der Isle of Man zusammenkommen und von dort weiter nach | |
Larne geführt werden. Ein Beamter räumte ein, man wolle „mit dem Vorschlag | |
illustrieren, wie bescheuert“ Johnsons Tunnel-Projekt sei. | |
7 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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