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# taz.de -- Das „Stonehenge“ in Oberfranken: Das Wunder von Wunhenge
> In Wunsiedel möchte ein Designer ein deutsches Stonehenge bauen. Wie der
> künstliche Steinhaufen eines „spinnerten Kerls“ eine Region aufwerten
> soll.
Bild: Genauso soll es dann auch in Wunsiedel aussehen: „Stonehenge“ in Engl…
Wunsiedel taz | Hier soll es also hin. Eine freie Fläche an der nördlichen
Flanke des Katharinenbergs. Man sagt, der Hausberg der Wunsiedler. Im
Sommer findet hier, wenn Corona will, wieder „Collis Clamat“ statt, ein
Mittelalterfestival.
Hier sollen sie stehen, 65 Steine, über 6 Meter hoch, angeordnet in einem
Kreis von 35 Meter Durchmesser. „Wunhenge“, sagt Kai Hammerschmidt, „ich
finde den Namen eigentlich ganz schön.“
Klar, er hat ihn sich ja auch ausgedacht. Die Symbiose aus Stonehenge und
Wunsiedel, der Kleinstadt im Fichtelgebirge, die deutschlandweit vielleicht
für die Theaterfestspiele auf der spektakulären Luisenburg bekannt ist. Und
für [1][die Pilgerfahrten von Neonazis] zum mittlerweile aufgelösten Grab
von Rudolf Heß (dem ehemaligen NS-Reichsminister, Anm. d. Red.).
Das Fichtelgebirge im nordöstlichsten Eck Oberfrankens bekommt sein
eigenes, maßstabsgetreues Stonehenge. Das beschloss der Stadtrat im
Dezember. Das Projekt soll einer abgehängten Region vor allem eines
bescheren: Touristen. Daraus macht niemand einen Hehl, nicht der
Bürgermeister und nicht Kai Hammerschmidt, Geschäftsführer der Kunstfelsen
KaGo & Hammerschmidt GmbH. „Das zu bauen“, sagt der, „ist mein
Lebenstraum.“
Die Geschichte dieses Traums ist eigentlich auch die Geschichte einer
Region. Hammerschmidt, Bart, karierte Weste, selbstbewusster Auftritt,
stammt aus dem benachbarten Selb. Selb nun kennt man, wenn man es kennt,
nicht wegen Nazis oder Felsen, sondern wegen der Porzellanindustrie.
## Der wirtschaftliche Niedergang
Kai Hammerschmidt hat bei der Firma Hutschenreuther Modelleur gelernt. Ende
der 80er Jahre modelliert er Tierfiguren, hängt dann noch ein Designstudium
dran. „Der technische Vorstand hat zu mir gesagt: Das ist eine der besten
Ausbildungen, die ein Modelleur je hatte. Blöde Nachricht: Deinen Job gibt
es nicht mehr.“ Es ist 1990 und dem wohlgenährten Fichtelgebirge steht eine
Talfahrt bevor.
Der Zusammenbruch der Porzellan- und Textilindustrie kostet der Region
Zehntausende Arbeitsplätze. Viele Menschen wandern ab, die Region
überaltert. „Wir haben in Selb“, erinnert sich Hammerschmidt, „jahrelang
Häuser weggerissen, ganze Wohnzeilen. Das war deprimierend.“ Auch er hätte
damals weggehen können. Stattdessen baut er seine eigene, kleine
Porzellanmanufaktur auf. Bei einer Party lernt er Klaus Gohl kennen, einen
ehemaligen Polizisten, der in Heimarbeit damit begonnen hat, Zimmerbrunnen
zu bauen und sich damit selbstständig macht.
1993 steigt Hammerschmidt in Gohls Firma ein. Seit etwa 15 Jahren seien sie
Marktführer in Deutschland, sagt er und lässt Bilder über den Flatscreen
laufen: ein Schloss in Disneyland, eine Pyramide im Legoland, jede Menge
Zoolandschaften – alles eingefärbter Beton aus Wunsiedel. Wenn die Leute
kein Porzellan mehr haben wollen, sollen sie halt Beton kaufen. Und das tun
sie, weltweit.
2003 fliegt Hammerschmidt wegen eines Kunstpalmen-Deals nach Dubai. Das
Emirat finde er seltsam. Aber: „Geile Sachen bauen sie schon.“ Im Flugzeug
nach Hause liest er, dass bei neuesten Ausgrabungen in Stonehenge
menschliche Überreste gefunden wurden. Die Forscher*innen erkannten am
Zahnschmelz des Skeletts, dass der „König von Stonehenge“ aus dem Alpenraum
kam. „Da dachte ich mir: krass. Wir haben quasi Stonehenge gebaut. Dann hol
ich mir das Ding zurück.“
In Süddeutschland nennt man einen Menschen, der auf solche Ideen kommt,
einen spinnerten Kerl, und meint das nicht unbedingt abwertend.
Hammerschmidt spinnt, weil er sofort fragt: Warum nicht? Warum nicht
Stonehenge ins Fichtelgebirge bauen? Denn das Monument hat ihn im
England-Urlaub nachhaltig fasziniert.
## Der erhoffte Aufschwung
Nachdem Hammerschmidt eine Nacht über seiner Idee geschlafen hat, kommt er
zu dem Schluss: Neun kopierte Bauwerke sind besser als eines. Und wenn neun
Gemeinden ihre Attraktion aus seiner Fertigung vorweisen können, erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit, [2][dass die Touristen über Nacht bleiben].
Dass sie hier schlafen, essen, einkaufen. Hammerschmidt will die Sphinx von
Gizeh, die Ruinen von Chichén Itzá und 200 Meter der chinesischen Mauer.
Alles in Beton. „Das Ganze aber auf Bildung. Dass du da reingehst und
extrem viele Informationen mitnimmst. Das war für die Fichtelgebirgler
damals etwas viel.“ Die Idee vom Wunhenge aber lebt weiter. Und taucht über
die Jahre immer wieder auf der Tagesordnung des Stadtrats auf. Zuletzt,
2009, hatte der Landesjagdverband das Monument verhindert. Es dauert elf
Jahre und eine neue Wahl.
Wunhenge ist wieder da. Das hat Kai Hammerschmidt Bürgermeister Nicolas
Lahovnik und Landrat Peter Berek zu verdanken. Von ihnen, nicht von ihm sei
diesmal die Initiative ausgegangen. Eine Machbarkeitsstudie bescheinigt dem
Projekt das Potenzial, etwa 100.000 Besucher pro Jahr anzulocken.
Hammerschmidt blättert durch Zielgruppenanalysen: die Esoterikszene, die
Mittelalterfreaks, Schulklassen, Familien, sie alle sollen kommen und
schauen und lernen. 2023 wäre es so weit. Wenn es ihm gelingt, die
notwendigen Gelder, also fünf bis fünfeinhalb Millionen Euro zu
akquirieren.
Nicht mehr als 10 Euro soll der Eintritt kosten. Mit einem Steinkreis
allein ist es nicht getan. Hammerschmidt will Gastronomie, Seminarräume,
Wohnmobil-Stellplätze, einen 500-Quadratmeter-Spielplatz, eine Bühne, die
gleichzeitig eine Kletterwand ist, er will eine Beleuchtung und Rauch,
aber: „kein Rambazamba, sondern Flair!“ Die Stadt stellt ihm dafür 40
Hektar zur Verfügung.
Man mag die Idee absurd oder kitschig finden – Wunhenge wird einen
entscheidenden Vorteil gegenüber dem Original aufweisen: Es ist nicht
eingezäunt. Man kann sich, wenn man unmittelbar davor steht, selbst von der
monumentalen Wucht der Steine überzeugen. Hammerschmidt [3][will seiner
Heimat mit dieser Idee etwas hinterlassen.]„Schweinereich“, sagt er, „wird
damit niemand, ob man mir das glaubt oder nicht. Aber ich will, dass es der
Region etwas bringt und da drin sitzen, ein Bier trinken und stolz sein,
dass ich das schaffen durfte.“
30 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Thamm
## TAGS
Tourismus
Wirtschaft
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Sozialer Zusammenhalt
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