# taz.de -- Die Wahrheit: „Hier hämmert das Leben“ | |
> Eine Kreuzfahrt buchen? Für die Zeit nach Corona? Kein Problem! In Ihrem | |
> Reisebüro des Vertrauens. Ein kleiner Anruf genügt. | |
Zwar ist das Reisebüro „Real Kreuzfahrten“ in Frankfurt am Main im Lockdown | |
nicht für das Publikum geöffnet, aber es ist eine Mitarbeiterin anwesend: | |
Simone Schmitz. Zu hören sind die üblichen Reisebüro-Geräusche – eine | |
sprotzende Kaffeemaschine, eine quietschende Hängeregistratur, der | |
Staubsauger, das hektische Auf- und Abhängen von Weltkarten. Ein Globus | |
dreht sich das Öl aus den Kugellagern, dann klingelt ein Handy. Klingelton: | |
„Commandante Che Guevara“ in der Einspielung von Wolf Biermann und Nathalie | |
Cardone. Reisekauffrau Schmitz nimmt den Anruf entgegen. | |
Real Kreuzfahrten, Schmitz, guten Tag! | |
Schmatz! | |
Wie bitte? | |
Stanislaus Schmatz. Ich rufe an wegen Ihrer Anzeige „Abenteuer | |
Schurkenschiff. Wegrennen, Verstecken & mehr, NUR 6.666,66 Euro“. Klingt | |
voll super … | |
Ist es ganz und gar nicht. Wir von „Real Kreuzfahrten“ geben uns alle Mühe, | |
die Welt sozusagen eins zu eins aufs Schiff zu bringen. Diese billigen | |
Traumwelten der Kreuzfahrtindustrie locken doch keine Sau mehr hinterm Ofen | |
vor! Mit ihren debilen Kulturabenden und dem tumben Mainstream-Schrott! Sie | |
sind todlangweilig! | |
Stimmt. Woher kennen wir uns? | |
Ich meine die Kreuzfahrten. Hoppla. Sie haben doch hoffentlich nicht | |
erlaubt, dass das Gespräch mitgeschnitten wird? | |
Ich wurde nicht gefragt. | |
Ahh, pardon, das war bei meiner letzten Drecksarbeit. Beschwerdecenter. | |
Hier gibt’s so einen Scheiß zum Glück nicht. Wenn ich überlege, was ich da | |
alles schlucken musste … Darf ich Sie mal beschimpfen? Es wäre nicht | |
persönlich. Vielleicht hören Sie kurz weg? | |
Gern. Bei drei. Eins … zwei …dr– | |
Sie kretinöse Drecksau! Von einem verschimmelten Mistkäufer!!! Erst kaufen | |
Sie Vollkoffer diesen verkackten Unsinn, und dann beschweren Sie sich auch | |
noch, Sie hirnloser Plumpsack von Arschkrampe!!! Sie Kuhfladen! Sie | |
Eicherbecher! Ahh, das tut gut. Hallo …? | |
Ja. | |
Sie können wieder zuhören. Wo waren wir stehengeblieben? | |
Bei Eierbecher. Sie sagten, dass die keine Sau mehr hinterm Ofen … | |
… hervorlocken, genau. Aber auf unseren Schiffen hämmert das echte Leben, | |
und das echte Leben kann verdammt hart sein, wenn Sie wissen, was ich | |
meine. | |
Wem sagen Sie das? Meine Mutter starb, als sie sieben war … | |
Das tut mir leid. Was hat sie denn gesiebt? | |
Ich meinte ihr Alter. | |
Ihr Alter starb, als sie sieben war? Na immerhin war sie dann nicht dabei. | |
Sie lebt noch. War nur ein Spaß. Leider! | |
Ach so. Aber der wird Ihnen auf dem Schiff eh vergehen. Unsere diesjährige | |
Sommer-Südentour heißt nämlich nicht „Fidschi“ und heißt nicht „Tahit… | |
Sie heißt „Somalia“. Kennen Sie Somalia? | |
Australien, oder? Sonne, Oasen, Kamele … | |
Kamele stimmt. Den Rest können Sie vergessen. Und unsere Kamele sind | |
bewaffnet. Ich sage nur Schurkenstaat, Freundchen. | |
Wird also auch ein Gewehr an Bord sein? | |
Wollen Sie mich veräppeln? Unter Kalaschnikows machen die’s nicht. Wir | |
engagieren ja keine Schauspieler. | |
Ach nein? | |
Ach nein. Das wird ein feuriger Querschnitt der somalischen Bevölkerung, | |
etwa 200 Mann, vom schweinekorrupten Präsidenten bis hoch zum ehrlichen | |
kleinen Piraten. | |
Und die ballern da wahllos herum? | |
Nicht sofort. Das Schiff ist zwei Wochen unterwegs, und die | |
Gastronomiepächter würden uns was husten, wenn es ihre Kunden schon am | |
ersten Seetag aus den Latschen haut. Außerdem gibt es Verträge mit den | |
Touristikpaten der Landeshafenstädte. Und die haben ihre Melkkühe verdammt | |
gern lebend, wenn Sie wissen, was ich meine. Die verstehen noch weniger | |
Spaß wie die Somalier. | |
Als. | |
Wie. Sie sind doch hoffentlich nicht Lehrer oder sowas? | |
Berufsschule. Warum? | |
Weiße Hirnwichser sind bevorzugte Geiseln, und natürlich zahlt die | |
Bundesregierung uns als Privatunternehmen keinen Heller. Aber wie gesagt … | |
Als. | |
Wie. Gesagt: Es geht sanft los. Zuerst wird auf Betreiben der Vereinten | |
Nationen eine Wahl abgehalten. Als Organisator konnten wir den ehemaligen | |
UN-Chef Ban Ki-moon gewinnen. Es gibt zwei Parteien. Die eine verpflichtet | |
per Gesetz zur Wahlteilnahme, die andere ist für Wahlboykott. Beide hauen | |
oder schießen bei Zuwiderhandlung. | |
Klingt aussichtslos. | |
Ist es auch. Doch wer wählen will, der kann. Es gibt geheime Wahlbüros, die | |
nur nachts geöffnet haben. Und nur die Kellner der Nachtbars werden wissen, | |
wo die sind. Da können unsere Kreuzfahrtgäste sich also erst richtig schön | |
Mut ansaufen, und dann … | |
… zum Wahlkrimi nach der Happy Hour! | |
Genau. Und bitte nehmen Sie hinreichend Fishermen’s Friends mit. | |
Seit wann wissen Sie von meinem Mundgeruch? | |
Seit jetzt. Aber viele Piraten sind islamischen Glaubens, und wenn die Sie | |
mit vier Promille erwischen, dann gute Nacht. | |
Gute Nacht. Wer zählt die Stimmen eigentlich aus? Doch hoffentlich nicht | |
die Piraten. | |
Nein, hoffentlich nicht. Immerhin wird es Wahlbeobachter geben und | |
EU-Unterhändler, wenn keine der Parteien das Wahlergebnis anerkennt und | |
also Schlichte erforderlich sind. | |
Schlichter. | |
Schlichte. Andi Scheuer macht das seit Jahren. | |
Hört sich doch alles affenscharf an. | |
Wir tun unser Bestes. Vielleicht noch ein Wort zu Buffet und Speisekarte … | |
… die Attraktionen jedes Luxustörns! | |
Normal ja. Nur in Schweine sollten Sie auf dieser Rutsche möglichst nicht | |
zu öffentlich beißen – wenn’s überhaupt was zu spachteln gibt, hehe! | |
Hehe … was?! | |
Na wissen wir denn, wen die Piraten ans Buffet lassen? | |
Stimmt. Aber man kann sich ja bei den Landgängen sattessen! | |
Sofern man noch Geld hat. Piraten klauen ja gern. Immerhin kann man bei den | |
Landgängen auch weglaufen. | |
Gute Idee! Dann ist man allerdings auch vom Schiff und ohne Gepäck … | |
Und ob man seinen Jahres- oder Lebensurlaub vorzeitig abbrechen sollte? Auf | |
eine Kreuzfahrt sparen manche jahrzehntelang … | |
Wem sagen Sie das! Also können Sie bitte sofort für mich buchen? | |
Sind Sie verrückt? Buchen ist eine völlig bescheuerte Arbeit. | |
Glaub ich Ihnen gern. Beim nächsten Mal also mit Mitschneiden? | |
Arschloch. (klick) | |
20 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gsella | |
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