# taz.de -- Festival für Neue Musik: Es ist wieder an der Zeit | |
> Am Freitag startet die MaerzMusik. Dabei werden in dem „Festival für | |
> Zeitfragen“ auch liegen gebliebene Fäden vom vergangenen Jahr | |
> aufgenommen. | |
Bild: Schon auch ein Starschnitt-Festival: Das Ensemble Mosaik kommt zur MaerzM… | |
Es ist vielleicht nicht ganz angemessen, für den hier notwendigen Blick | |
zurück zuerst einen Schlagersänger zu Wort kommen zu lassen. Obwohl es doch | |
um die Neue Musik gehen soll. Egal. Dieser Schlagersänger, Barry Ryan | |
nämlich, hatte damit einst auch in der ZDF-Hitparade seinen Auftritt, wo er | |
dann sang: „[1][Zeit macht nur vor dem Teufel halt]“. Dabei sollen jetzt | |
weniger die fastphilosophischen Textstellen in dem Lied wie „Denn die Zeit | |
ist das, was bald geschieht“ oder, noch schöner, „Heute ist schon beinah' | |
morgen“ interessieren, sondern die Schlagzeile mit dem Teufel. | |
Und da ist der Bezug zu der Neuen Musik schlicht der, dass sich die um die | |
Zeit und Zeitfragen kümmernde MaerzMusik genau das machen musste vor einem | |
Jahr. Halt. Die laufende Maschine stoppen. Weil auch das von den Berliner | |
Festspielen veranstaltete „Festival für Zeitfragen“ als Plattform für Neue | |
und experimentelle Musik an diesem teuflisch kleinen und pandemisch sich | |
ausbreitenden Virus nicht vorbei kam. Corona machte die bereits komplett | |
vorbereitete Festivalausgabe 2020 zur Makulatur. | |
Der „Beginn der Zeit“ sollte im vergangenen Jahr das thematische Leitmotiv | |
sein, in diesem Jahr steht das online stattfindende Festival unter dem | |
Motto „Das Ende der Zeit“. Und folgt man der Logik von Berno Odo Polzer, | |
dem künstlerischen Leiter von MaerzMusik, dass die einzelnen Festivals seit | |
2015 wie die Kapitel eines Buches gedacht seien – „eine Erzählung über | |
unseren Umgang mit Zeit, die sich über Jahre erstreckt“ –, dann müsste in | |
dieser Erzählung jetzt eine Lücke klaffen. Weil halt die Ausgabe mit dem | |
„Beginn“ fehlt. | |
So chronologisch aber will man das mit der Zeit bei der MaerzMusik gar | |
nicht sehen erstens, und zweitens ist es auch bei dem am Freitag startenden | |
Festival zu einer Verschmelzung von Programmpunkten gekommen. Damit wird | |
der „Beginn“ jetzt halt nachgeholt in diesem Jahr, etwa in einem | |
gemeinsamen Projekt von MaerzMusik mit dem [2][Kunstraum Savvy | |
Contemporary] zu Halim El-Dabh, einem der Väter der elektronischen Musik. | |
Der experimentierte schon in den 40er Jahren im heimischen Kairo mit einer | |
Musique concrète, bevor er dann 1950 in die USA ging. Mit Konzerten, | |
Lectures und einer großen Ausstellung – „Here History began“ – wird an… | |
doch eher im Halbschatten stehenden Pionier erinnert. | |
Eine Verschmelzung auch gleich das Eröffnungsprojekt „Environment“ am | |
Freitag, in dem sich die pandemischen Spuren besonders intensiv | |
eingeschrieben haben: Geplant bereits als Festivaleröffnung 2020, mussten | |
die Musiker*innen der Ensembles Phønix16 und des Orquesta Experimental | |
de Instrumentos Nativos aus Bolivien nach der Absage des Festivals in eine | |
fast dreimonatige Zwangsquarantäne an der Musikakademie Rheinsberg. Dort | |
entstanden Dokumentar- und Experimentalfilme sowie eine multimediale | |
Bühnenperformance, die nun ihre Premiere haben. Und wenn schon auf ein | |
dabei anwesendes Publikum verzichtet werden muss, will man bei MaerzMusik | |
wenigstens für die dann daheim an den Rechner Sitzenden einen kleinen | |
Vorsprung durch Technik erzielen, etwa mit einer 360°-Kamera, die hier zum | |
Einsatz kommt. | |
Das komplette Festival vom 19. bis 28. März mit seinen Uraufführungen und | |
Filmpremieren – wie etwa dem in den Spreehallen aufgenommenen Konzertfilm | |
mit dem Ensemble Mosaik, das mit „time. cage“ eine Komposition von Manuel | |
Rodriguez Valenzuela spielt, in der er sich von der Vorstellung des | |
Eingeschlossen-Seins anregen ließ – findet im digitalen Raum statt. Zugang | |
zum MaerzMusik-Festivalstream verschafft [3][ein Festivalpass], den es | |
kostenlos gibt. Wer will, darf aber gern etwas dafür zahlen. | |
Natürlich hätte man bei der MaerzMusik nichts dagegen gehabt, wenn das gern | |
zahlende Publikum auch wirklich anwesend hätte sein können bei den | |
Konzerten. Dass sie noch bis Januar drei parallele Festivalplanungen am | |
Start gehabt hätten, sagt Berno Odo Polzer. Er sagt aber auch, dass ihnen | |
von Beginn an klar war, „dass das Festival rein digital funktionieren | |
muss“. | |
Eine Vorsichtsmaßnahme, die auch dazu zwingt, dass man Musik und ihren | |
Umgang damit ein wenig anders denkt. Und Distanzen aushält. Geht ja gerade | |
kaum anders. Hat schon Barry Ryan gesungen damals: „Die Zeit, die trennt | |
auch jeden Sänger und sein Lied“. | |
Dass die Pandemie „uns allen gezwungenermaßen ein neues Zeitgefühl | |
beschert“ hat, sagt Berno Odo Polzer. Und dass es bei dem diesmal | |
gezwungenermaßen digitalen Festival darum gehen könnte: „Eine Reflektion | |
des Zeitempfindens“. Mit und über Musik. | |
18 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=S024kLpz-zo | |
[2] https://savvy-contemporary.com/en/projects/2021/here-history-began/ | |
[3] https://www.berlinerfestspiele.de/de/maerzmusik/tickets/start.html | |
## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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