# taz.de -- Rassismus beim britischen Königshaus: Wessen Tränen zählen mehr? | |
> Die Rassismusvorwürfe an die Royals drohen vom Klatsch überdeckt zu | |
> werden. Doch sie sind politisch – und können Vorbild für Marginalisierte | |
> sein. | |
Bild: Idyllische Kulisse, explosives Gespräch: Interview von Oprah Winfrey mit… | |
Am zweiten Tag nach der Ausstrahlung des [1][schockierenden Interviews] von | |
Meghan Markle und Prince Harry mit der US-Moderatorin Oprah Winfrey folgen | |
erste Konsequenzen. Der Buckingham Palace reagiert auf Markles | |
Rassismusvorwürfe mit einem kurzen Statement: Die königliche Familie sei | |
traurig und nehme alles sehr ernst. | |
Der britische Star-Moderator Piers Morgan, der Markle seit Jahren vor einem | |
Millionenpublikum sexistisch und rassistisch beleidigt, verliert seinen Job | |
bei der TV-Sendung „Good Morning Britain“. | |
40.000 Beschwerden gingen allein nach der Ausstrahlung des Interviews bei | |
Morgans Arbeitgeber, dem Sender ITV, ein. Überall auf der Welt war die | |
Spannung groß, welche Enthüllungen das Gespräch mit Meghan Markle und | |
Prince Harry wohl hervorbringen werde. Zwar sprach das Ehepaar – typisch | |
britisch – höflich und zurückhaltend, inhaltlich wurde es allerdings mehr | |
als nur deutlich. Selbst Oprah Winfrey, die in ihrem Leben so einige | |
spektakuläre Interviews geführt hat, musste an einigen Stellen authentisch | |
nach Luft schnappen und innehalten. | |
Das zweistündige Interview ist eben keine reine „Hollywood Show“, es passt | |
nicht in das Ressort „Klatsch & Tratsch“, wo Berichterstattung über die | |
Royals normalerweise stattfindet und sie als eine Art schrullige | |
Familienbande mit Telenovela-haften Zickenkriegen zeichnet. | |
Hier geht es um mehr: um mentale Gesundheit, einen Mangel an | |
weiß-privilegierter Selbstreflexion, fehlende Machtkritik und eine | |
historisch gewachsene ausbeuterische Haltung, die fester Bestandteil im | |
Selbstverständnis des Buckingham Palace zu sein scheint. | |
## Koloniale Vergangenheit | |
Am 2. Juni 1953 wurde Elizabeth II. zur Queen des Vereinigten Königreichs, | |
Australiens, Kanadas, Neuseelands, Südafrikas, Britisch-Ceylons (das | |
heutige Sri Lanka) und Pakistans gekrönt. Sie thronte über ein britisches | |
Imperium, das sich in Kriegen und mit rassistischer Gewalt an den | |
Reichtümern anderer Gesellschaften bediente. Ein Reich, das selbst nach der | |
Unabhängigkeit einiger seiner vormals besetzten Territorien noch großen | |
wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausübte. | |
Die Queen hat sich nie für die Kolonialverbrechen ihres Landes entschuldigt | |
– zum Beispiel für die Rolle Großbritanniens im dehumanisierenden Handel | |
mit versklavten Menschen aus Afrika. Das britische Königshaus war ein | |
Pfeiler dieses kolonialen Projekts. Im Kontext dieser historischen | |
Kontinuitäten muss das Interview einer Schwarzen Frau betrachtet werden, | |
die sich von einem der einflussreichsten Paläste der Welt getrennt hat. | |
Markle erzählt von der grundsätzlichen Skepsis gegenüber ihrer Person in | |
der Royal Family, vom unerträglichen Druck und ihren daraus resultierenden | |
Suizidgedanken. Eine Therapie sei ihr verweigert worden, da diese nicht gut | |
für die „Institution“ sei. Eine Aussage Markles fällt dabei besonders auf: | |
„Ich bin bereit zu sprechen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen und | |
für mich selbst zu reden.“ | |
Kritiker*innen sagen, Markle habe ja vor der Hochzeit mit Prince Harry | |
gewusst, was auf sie zukommen würde: ein starres Protokoll, royale | |
Disziplin und der Druck der Öffentlichkeit. Doch in der heutigen Zeit kann | |
die Liaison mit einem Prinzen nicht bedeuten, dass damit die eigene | |
Subjektivität und Sprechfähigkeit aufgegeben wird. | |
Markle hat sich mit dem Oprah-Interview von den Windsors nicht nur | |
emanzipiert, sie feierte mit dem Auftritt ihre Unabhängigkeit. Es muss sich | |
für den Buckingham Palace wie ein Déjà-vu angefühlt haben. | |
## Die Hautfarbe des Babys | |
Der wohl meistzitierte Satz aus dem Interview dreht sich um die Hautfarbe | |
von Archie, dem Erstgeborenen von Meghan Markle und Prince Harry. „Es gab | |
Bedenken und Gespräche, wie dunkel seine Haut sein wird, wenn er auf die | |
Welt kommt“, sagt Markle. Oprah Winfrey und Millionen von | |
Zuschauer*innen staunten nicht schlecht, dass sich [2][der Rassismus in | |
der britischen Königsfamilie] auf so plumpe Art und Weise geäußert haben | |
soll. Beim erneuten Nachdenken ist es aber doch nicht so überraschend. | |
Markle ging nicht näher darauf ein, wer im Palast diese unsägliche, | |
rassistische Aussage gemacht haben soll. Man kennt es als von Rassismus | |
betroffene Person: Vorsichtig herantasten, obwohl man vollkommen im Recht | |
ist. Natürlich muss auch dieser Vorwurf zunächst als das gelesen werden, | |
was er ist: ein Vorwurf. Der Buckingham-Palast muss die Schilderung von | |
Meghan Markle aber erst mal entkräften. Und in der Vergangenheit hat sich | |
die Royal Family eher entschieden, im Sinne ihres Images zu kommunizieren | |
und nicht im Sinne von Aufklärung. | |
Als weinerlich bezeichnen einige Kommentator*innen den Satz zu Archies | |
Hautfarbe aus dem Oprah-Interview. Es sei ja nichts dabei, wenn man mal | |
über die Hautfarbe des ungeborenen Kindes spricht. Doch die Intention ist | |
natürlich eine andere: Die Repräsentation einer weiß-dominierten | |
Gesellschaft muss weiß sein. Ein Schwarzes Baby passt da nicht ins Bild. | |
Es ist dabei nur ein passender Zufall, dass das königliche Protokoll für | |
Archie keinen Sicherheitsdienst und keinen königlichen Titel vorsieht. | |
Obwohl klar ist, dass Meghan Markle und selbst Prince Harry von Titeln | |
nicht so viel halten. Sonst wären sie ja nicht einfach nach Los Angeles | |
umgezogen. | |
Markle fügt später im Interview hinzu: „Unhöflich und rassistisch sind zwei | |
verschiedene Dinge.“ Und dieser feine Unterschied muss auch hier gelten: | |
Viel wurde in der Vergangenheit über einen Streit zwischen Meghan Markle | |
und Catherine, der Herzogin von Cambridge, spekuliert. Markle habe die | |
Ehefrau von Prince William und zukünftige Königin Großbritanniens, zum | |
Weinen gebracht, hieß es. Im Gespräch mit Oprah Winfrey schilderte Markle | |
ihre Sicht der Dinge: Es soll andersherum gewesen sein. | |
## Weiße Tränen | |
Sie sei von der Herzogin zum Weinen gebracht worden. Warum ist das an | |
dieser Stelle wichtig? Die Wahrnehmung der Gefühle durch die Öffentlichkeit | |
spielt eine zentrale Rolle: Die Betroffenheit der weißen Frau, der | |
Herzogin, wurde in der britischen Presse mit Mitgefühl aufgenommen, Markle | |
als Furie, Mobberin und zornige Außenseiterin porträtiert. | |
Dementsprechend reagierte der Palast und leitete „Ermittlungen“ gegen | |
Markle ein. Niemand kann hinter die Kulissen schauen und genau sagen, was | |
vorgefallen ist. Aber die Festlegung, wer in dieser Konstellation die gute | |
und wer die böse Seite sein soll, sagt viel über die rassistische Denkweise | |
einer mehrheitlich weißen Gesellschaft aus. | |
Überhaupt ist die Rolle der britischen Yellow Press ein zentrales Motiv im | |
Interview gewesen. Prince Harry hat das Trauma seiner verstorbenen Mutter | |
mit der Klatschpresse seines Landes nicht überwunden, sagt er. Wer sich | |
intensiv mit dem Verhältnis zwischen Lady Diana und dem britischen | |
Boulevard auseinandersetzt, weiß: Die Paparazzi haben der Prinzessin das | |
Leben zur Hölle gemacht, bis hin zum tödlichen Unfall in Paris ließen sie | |
in einem misogynen und skandalhungrigen Wahn nicht von ihr ab. | |
So wird auch klar, dass sich Prince Harry große Sorgen um die Gesundheit | |
und körperliche Unversehrtheit seiner Partnerin und Kinder gemacht hat. | |
Dass ihn damit ausgerechnet sein Vater alleingelassen haben soll, zeigt, | |
dass die königliche Familie rein gar nichts aus dem tragischen Schicksal | |
von Lady Di gelernt hat. Familiärer Zusammenhalt sieht zumindest anders | |
aus. | |
Weil die Yellow Press Teil dieser Geschichte ist, dürfen die Analysen des | |
Oprah-Interviews nicht der Klatschpresse überlassen werden. Auch in | |
Deutschland nicht. Die Schilderungen von Meghan Markle und Prince Harry | |
dürfen nicht von Promi-Expert*innen im Frühstücksfernsehen oder im | |
Nachmittagsprogramm analysiert werden. Sie passen nicht zu den | |
Panorama-Seiten von Boulevardblättern. Sie sind genuin politisch. | |
Natürlich handelt es sich bei den beiden um hyperprivilegierte, | |
millionenschwere Celebritys mit hoher Reichweite. Aber das macht ihre | |
Erfahrungen nicht weniger relevant. Im Gegenteil: Ü[3][ber den Schmerz von | |
Meghan und Harry zu sprechen] bedeutet, über den Schmerz so vieler | |
marginalisierten Gruppen in ganz anderen Konstellationen zu sprechen. Und | |
deswegen hat diese Sendung so viele Menschen weltweit bewegt. | |
10 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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