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# taz.de -- Pädosexuelle Netzwerke in Berlin: Man hat noch nicht mal weggesehen
> Es geht um die Schattenseiten der sexuellen Liberalisierung: Eine Studie
> liefert Erkenntnisse über Pädo-Gruppen im Berlin der 80er und 90er Jahre.
Bild: Gefangen im Netzwerk
Wenn es dieser Tage einen Grund gibt, das 1980 erschienene Buch „Wir Kinder
vom Bahnhof Zoo“ noch mal zu lesen, dann nicht, weil die Biografie der
Berlinerin Christiane F. neu verfilmt als Serie bei Amazon Prime läuft.
Sondern weil die Fixer-Story Strukturen beschreibt, die auch damals schon
erkennbar waren, die aber niemanden interessierten: Der „Babystrich“ am Zoo
war ein Eldorado für pädosexuelle Freier, betrieben von einem
professionellen Kinderhändlerring. Und kräftig nachgefragt von einer
Kundschaft, die sich aus Szene-Reiseführern informierte, wo junges Fleisch
„sauber und appetitlich zum Mitnehmen“ angeboten wurde.
Westberlin war bis zur Wende das Zentrum pädosexueller Netzwerke. Das wird
in [1][einer Vorstudie] deutlich, die am Mittwoch von der Unabhängigen
Kommission für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs [2][präsentiert
wurde]. Im Auftrag der Kommission hatten die Historikerin Iris Hax und der
Kulturwissenschaftler Sven Reiß Klein- und Kleinstarchive der Schwulen-,
Lesben- und Alternativszene durchforstet. Dort fanden sie jede Menge
Hinweise darauf, dass sich pädosexuelle Akteure, die sexuelle Kontakte von
Erwachsenen mit Kindern und Jugendlichen legitimieren wollten, nicht nur
effektiv im Windschatten der Homosexuellenbewegung entfalten konnten,
sondern auch in Nischen der Alternativkultur wie der alternativen Pädagogik
oder in der Autonomenszene.
Dass Pädosexuelle als verfolgte sexuelle „Minderheit in der Minderheit“ bis
in die 1990er Solidarität im linksalternativen Milieu genossen, ist nicht
neu. Dass sie in Kreuzberg, Schöneberg und Neukölln als Freizeit- und
Hilfsangebote getarnte Missbrauchsstrukturen betrieben wie den
„[3][Falckensteinkeller]“, oder das „Kindersorgentelefon“, ist bereits …
der Aufarbeitung der Grünen bekannt. Neu ist, wie organisiert und
kommerziell die pädosexuellen Zirkel agierten.
Die VerfassserInnen der Studie verweisen auf Kleinverlage, die mit
sexualisierten Fotos nackter Kinder handelten, die sie in Szeneblättern
bewarben. Oder auf schwule Reiseführer, die Bars mit kindlichen Strichern
im Hinterzimmer empfahlen. Am deutlichsten wird der organisierte Charakter
sexueller Ausbeutung durch die Betroffenenberichte von Kevin (Name
geändert) und Ingo, die beide im Grundschulalter von Tätern umgarnt und
dann in pädosexuellen „Freundeskreisen“ herumgereicht wurden, in
konspirativen Wohnungen und auf dem Strich. Letzteres unter den Augen der
Polizei, deren Maßnahmen zum Kinderschutz darin bestanden, dass sie die
Jüngsten auf dem „Schwulenstrich“ aufgriffen und am Stadtrand aussetzten.
Ähnlich dürfte es bei den Mädchen gewesen sein, die zu Christiane F.s
Zeiten sich an der Kurfürstenstraße prostituierten.
Berlin hat noch viel aufzuarbeiten, was die Schattenseiten der sexuellen
Liberalisierung nach den 1970ern angeht – nicht nur die Polizei, für die im
Umgang mit Junkie- oder Trebekindern der Kinderschutz damals offenbar
sekundär war. Oder der Jugendsenat, mit dessen Einverständnis damals
Pflegekinder an vorbestrafte Pädosexuelle vermittelt wurden. Sondern auch
die alternativen Szenen, die nicht nur wirre Traktate für „befreite
Kindersexualität“ toleriert hatten, sondern auch ganz konkrete Übergriffe.
Und dies bis in die 2000er. Das Schwule Museum hat einen Anfang gemacht und
seine Archive für die ForscherInnen geöffnet. Jetzt muss es nur noch jemand
wissen wollen.
27 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/programmatik-und-wirken-pa…
[2] /Paedosexuelle-Netzwerke-in-Berlin/!5750570
[3] /Paedophilie-in-Kreuzberg/!5221185
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Pädophilie
sexueller Missbrauch
Westberlin
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Buch
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