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# taz.de -- Skispringer über Neuanfang: „Wir sind große Gefühlssportler“
> Severin Freund blieb bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf bisher nur
> die Zuschauerrolle. Auf der Großschanze startet er einen neuen Anlauf.
Bild: Eine Skifliegerin in Oberstdorf
taz: Herr Freund, wie geht es Ihnen bei dieser Weltmeisterschaft, bei der
Sie bislang nur Zuschauer waren?
Severin Freund: Es war auf der kleinen Schanze nicht die schönste Situation
gewesen. Ich wäre sehr gerne gesprungen, aber letztendlich hat sich
Constantin Schmid durchgesetzt. Grundsätzlich wusste ich schon im Voraus,
dass die kleine Schanze nicht unbedingt die einfachste Schanze für mich
ist.
Kombinierer Johannes Rydzek war nach seiner Nichtnominierung für die
Staffel als Fotograf an der Strecke. Was haben Sie während der Springen
gemacht?
Ich habe teilweise die Sprünge mitkommentiert vom Kampfrichterturm. Die
andere Perspektive vom Kampfrichterturm ist sehr aufschlussreich und ganz
spannend. Wenn du im Wettkampfrhythmus drin bist, kommst du nicht so
wahnsinnig viel zum Zusehen.
Was haben Sie dabei gesehen?
Ich habe festgestellt, wo es bei mir fehlt, dass ich nur 98 Meter weit
springe und keine 103 Meter.
Was fehlt?
Mir fehlt auf der kleinen Schanze ein bisschen die Balance im Sprung. Wenn
du mal ein bisschen zu viel machst oder ein bisschen zu spät dran bist zu
drehen, dann ist „Game over“. Leute wie Weltmeister Piotr Zyla oder Karl
Geiger springen raus und dann bewegt sich nichts mehr. Sie sind in der
richtigen Position und können segeln.
Rechnen Sie sich für die Großschanze größere Chancen aus?
Ja. Von der Charakteristik ist die Schanze einfacher für mich.
Sie waren bei verschiedenen Weltmeisterschaften in verschiedenen Rollen
dabei: 2011 in Oslo als Youngster mit Martin Schmitt, dann waren Sie 2015
in Falun Leitwolf und Goldjunge. Wie würden Sie Ihre heutige Rolle hier in
Oberstdorf beschreiben?
Ich hatte auf der Kleinschanze nun mal die Rolle als Zuschauer, das ist
auch etwas Neues. Ansonsten glaube ich, dass ich nach wie vor in dem einen
oder anderen Moment ein wichtiger Teil des Teams sein kann, weil ich schon
viel erlebt und mitgemacht habe. Auf der anderen Seite sind auch die jungen
Athleten gestandene Sportler. Auch wenn die zum ersten Mal bei einer WM
sind und viel lernen werden, haben sie einen klaren Blick, wohin sie
wollen.
Sie hatten zwei Kreuzbandrisse innerhalb kurzer Zeit, dazu eine Operation
am Meniskus. Haben Sie sich die Rückkehr so schwer vorgestellt?
Ich war schon ein bisschen überrascht, wie sich in der Zwischenzeit das
Skispringen entwickelt hat. Ich hatte gedacht, dass ich näher dran bin. Das
hat die Rückkehr schwerer gemacht.
Können Sie diese Entwicklung etwas konkretisieren?
Der Sprung ist noch mal schneller geworden. Er wird schneller gedreht und
ist nach dem Schanzentisch schneller fertig. Wenn man sich die Topleute
anschaut, dann verlieren sie nichts an Dynamik. Sowohl vom Absprung als
auch vom Fliegen ist es noch einmal mehr geworden. Dass unser Sport nicht
stehen bleibt, macht ihn auch so interessant.
Im Vergleich zu anderen Sportarten drängt sich der Eindruck auf, dass es
Skispringern und Skispringerinnen besonders schwerfällt zurückzukommen.
Hängt das mit der Entwicklung zusammen oder gibt es dafür auch physische
Gründe?
Ich würde sogar sagen, dass es noch mehr Gründe gibt. Ein Grund ist sicher
die rasante Entwicklung in unserem Sport. Als Skispringer sind wir relativ
eingeschränkt, das Kreuzband zu „ersetzen“. Man hat die Operation, danach
wandelt sich die Sehne, die als Kreuzband eingesetzt wird, über eine sehr
lange Zeit in etwas Band-ähnliches um. Das Teil übernimmt dann wieder die
Funktion des Kreuzbandes. Aber man verliert darüber sehr viele Rezeptoren.
Das tun die alpinen Skifahrer auch.
Aber als Alpiner kann man hergehen und sagen: Okay, das Kreuzband habe ich
nicht mehr, also muss ich mir etwas Anderes überlegen, was die Funktion
übernimmt. Also mache ich maximales Krafttraining und bekomme darüber
wieder die Stabilität. Diese Variante ist bei uns schwierig, weil maximale
Muskulatur auch maximales Gewicht bedeutet. Dann wird's bei uns schwierig.
Weil Skispringerinnen und Skispringer die Tendenz zum Leichtgewicht haben.
Jeder hat sein Idealgewicht, bei dem er sich gut spürt und seinen Körper
gut fühlen kann. Davon willst du nicht weggehen. Dann kommt bei uns noch
die mentale Komponente hinzu. In anderen Sportarten kann du dich leichter
rantasten. Bei uns musst du den Sprung haben, der richtig in die Grube
geht. Du musst feststellen: Zack, da funktioniert alles. Zack, da hält
alles. Wir können schlecht auf 130 Meter anfangen, dann einen auf 132 Meter
draufsetzen. Du brauchst den Sprung, der nicht 130, sondern 140 oder 145
Meter weit geht.
Die Alpinen benutzen spezielle Orthesen, um das Knie zu stabilisieren.
Haben Sie so etwas auch schon einmal ausprobiert?
Mir wurde vorgeschlagen, so eine Sportorthese zu bauen, die auch beim
Skispringen funktionieren würde. Ich muss aber sagen, dass ich das nicht
100-prozentig rational beantworten kann. Ich kann nur sagen, dass mir mein
Gefühl gesagt hat: Nein, das will ich nicht. Am einen Haxn habe ich was
dranhängen, am anderen Haxn habe ich nichts dranhängen. Dann fühlt es sich
asymmetrisch an. Vielleicht ist meine Herangehensweise sturköpfig. Aber wir
sind Gefühlssportler, in dem Moment war es auch eine Gefühlsentscheidung.
Nach den vielen Kreuzbandrissen wurden die Regeln geändert, die Keile
müssen symmetrisch und dünner sein. War das der richtige Schritt?
Ich glaube ja. Ich glaube aber auch, dass es nicht der einzige Schritt
gewesen sein kann. Das Knie ist ein anfälliges Gelenk bei uns. Da muss man
dran bleiben, wachsam bleiben. Wir sind aber alle Leistungssportler und
wollen auf dem obersten Niveau performen. Und deswegen wird keiner von uns
etwas herschenken.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Auch wenn es jetzt nicht so stattfindet, wie man es sich erträumt hatte,
war Oberstdorf für mich ein großes Ziel. Ich bin schon so alt, dass ich die
Bilder von 2005 noch im Kopf habe. Generell geht der Blick nicht so weit:
Er geht auf die WM, dann danach auf den Weltcup. Und dann gilt es erst
einmal ein Fazit von der Saison zu ziehen. Dann schauen wir weiter.
3 Mar 2021
## AUTOREN
Klaus-Eckhard Jost
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