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# taz.de -- Onlinefilme in der Pandemie: „Irgendwie wie im Kino sein“
> Deutschlands kleinstes Kino ist das Lodderbast in Hannover. Sein
> einzigartiges Onlineangebot blieb im ersten Lockdown trotz 60.000 Gästen
> defizitär.
Bild: Das kleinste Kino Deutschlands: Lodderbast
taz: Herr Thomsen, zusammen mit Ihrer Frau Wiebke haben Sie vor drei Jahren
[1][das Lodderbast] gegründet und offensichtlich funktionierte dieses
gewagte Konzept. Wie ging es Ihrem Kino vor genau einem Jahr?
Johannes Thomsen: Es lief richtig gut, denn wir hatten endlich das Gefühl,
in der Kinolandschaft angekommen zu sein. Es gab eine tolle Zusammenarbeit
mit dem Landesmuseum Hannover, und mit der Staatsoper hatten wir eine ganze
Filmreihe geplant. Bis zum 10. März waren wir fast voll ausgelastet.
Unter welchen Voraussetzungen haben Sie dann Ihr Kino geschlossen?
Wie haben am 11. März selbst entschieden, den Laden zuzumachen. Dafür
mussten wir 99 Platzreservierungen stornieren. Aber das Wohl unserer Gäste
ging vor unseren eigenen wirtschaftlichen Erfolg. Anderthalb Wochen später
kam dann der Lockdown mit der Verfügung, dass alle Kinos schließen mussten.
Aber wir wollten unser unternehmerisches Schicksal lieber selber in die
Hand nehmen.
Wie haben Sie sich damals gefühlt?
Als wir nach der letzten Vorstellung die Tür zugemacht hatten, haben wir
beide erst mal geheult. Aber schon mit dem nächsten Atemzug auch darüber
nachgedacht, was wir tun konnten. Einen Podcast machten auch damals schon
zu viele, und auch eine Kinosendung zu moderieren, war nicht unsere Sache.
Und so sind wir auf die Idee mit unserem Onlinekino gekommen.
Was war denn daran so besonders?
Selber konnten wir ja damals noch keine Filme online zeigen. Stattdessen
haben wir unseren Laptop ins Kino geschleppt und einfach einen Livestream
gesendet, der uns dabei zeigt, wie wir uns schlechte Filme ansehen.
Angefangen haben wir mit „Honig im Kopf“ von Til Schweiger. Den gab es auf
einem der Streamingportale, und wir haben dann das Angebot gemacht, ihn
gleichzeitig mit uns anzusehen und sich dann im Livechat darüber zu
unterhalten.
Damit hatten Sie ein gemeinschaftliches Kinoerlebnis.
Genau. Die Gleichzeitigkeit machte den Unterschied. Dieser Film gehörte ja
nun ganz gewiss nicht zu unserem Jagdgebiet, aber schön waren die
Reaktionen der über 60 Leute, die beim ersten Mal dabei waren. Ein
Filmemacher sagte etwa bei einer Sequenz, in der ein Mercedes kaputt
gemacht wird, da hätte Til Schweiger gerade die Produktionskosten eines
kleinen Films an die Wand gefahren. Das war sehr unterhaltsam und die Leute
haben es genossen, in irgendeiner Form wie im Kino zu sein.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben aus diesem Konzept ein ganzes Programm gestrickt und 100 Tage am
Stück weiter gesendet. Dabei war dann auch mal ein Tatort. Das einzige
Problem für uns war, dass wir damit ja nicht die Filmemacher*innen
unterstützen, und für einen Kinomacher ist es nicht der größte Spaß, wenn
man die Leute dazu ermuntert, sich einen Film etwa auf Netflix anzusehen.
Deshalb kamen wir dann mit Verleihern ins Gespräch. Wir haben ihnen
angeboten, ihre Kinofilme bei uns im Livestream zu zeigen. Und Max
Gleschinski hat das dann mit seinem Film „Kahlschlag“ auch als Erster
gemacht. Das war sein Debütfilm und er lief gerade mal anderthalb Wochen in
den Kinos, bis der Lockdown kam. Der Max war dann per Skype auch noch beim
Livetalk dabei. 800 Leute haben den Film dann bei uns online gesehen und
deren Spenden haben wird zu 100 Prozent an den Verleiher weitergegeben.
Solch ein Konzept eines Onlinekinos gab es meines Wissens davor noch nicht.
Haben Sie dann genügend Verleiher gefunden, die das mitgemacht haben?
Ja, wir haben dann zwischen Mitte April und Anfang Juli so nur noch neue
Filme gezeigt. Und unsere Zugriffszahlen in diesen drei Monaten waren
zusammen über 60.000 Gäste.
Aber konnten Sie damit Geld verdienen?
Nein, wir haben sogar noch draufgezahlt, weil wir die Spenden, die wir an
die Verleiher weitergegeben haben, selber versteuern mussten.
Was gab es dann im ersten halben Jahr nach Corona überhaupt für Einnahmen
bei Ihnen?
Das war nur ein bisschen Geld von der Soforthilfe des Bundes und die 3.000
Euro von einem Kinoprogrammpreis vom Land Niedersachsen.
Bei Wiedereröffnung der Kinos im Sommer konnten Sie nicht mitmachen, weil
das Lodderbast zu klein war und der Mindestabstand zwischen Theke und
Toilette nicht eingehalten werden konnte. Aber warum haben Sie mit dem
Onlinekino aufgehört?
Wir brauchten aus familiären Gründen eine Pause. Meine Mama lag im Sterben
und da war ich dann abends im Kino und tagsüber bei ihr im Krankenhaus.
Wurde es dann nicht finanziell wirklich knapp für Sie?
Ja, wir hatten schon seit fast sechs Monaten zu. Unsere Geldreserven waren
aufgebraucht, und von da an half uns niemand mehr. Wir brauchten eine
Alternative. Also haben wir unser Kino in einen Imbiss verwandelt.
Er war ja auch offiziell als „Kulturkiosk“ angemeldet. Wie war denn der
Übergang?
Die Entscheidung haben wir im August getroffen, und dann gab es viel Hin
und Her wegen der Auflagen vom Gesundheitsamt. Aufgemacht haben wir dann am
30. Oktober.
Und was gab es im Angebot?
Weil wir ja beide aus Niedersachsen sind, haben wir Grünkohl gemacht. Den
Imbiss nannten wir dann Calenberger Palme, denn Calenberg wird die
Landschaft hier um Hannover genannt und der Grünkohl wächst ja in der Form
einer Palme. Ein kleiner Craftbierbrauer hier in Hannover hat uns dazu noch
ein spezielles Grünkohlbier gebraut. Und wir hatten Glück mit dem
Zeitpunkt, denn wir haben genau dann eröffnet, als die Gastronomie wieder
schließen musste.
Sie waren also diesmal Lockdown-Gewinnler?
Ja, wir haben pro Tag 120 Portionen Grünkohl verkauft. Das Essen war immer
ausverkauft. Bis zum Ende Anfang Dezember waren das 2.400 Portionen.
Warum haben Sie dann damit nicht bis zum Ende der Kohlsaison weitergekocht?
Wir wollten es nicht überstrapazieren und gönnten uns selber zur
Weihnachtszeit eine kleine Pause. Im Januar waren wir dann aber zurück und
haben bis Anfang Februar Labskaus gemacht. Das lief auch super. Wir konnten
unsere Miete zahlen und hatten sogar noch etwas übrig. Der Imbiss hat uns
bis jetzt über die Monate gerettet.
Aber warum wollen Sie dann, statt damit auf sicher zu gehen, wieder
Onlinekino machen?
Es kam halt immer mehr der Kinobetreiber in uns hoch. Es macht zwar auch
Spaß, Leute zu bewirten. Aber uns fehlt die Kinoarbeit: das Programmieren
von Filmen, das Reden über Filme und wie auch immer gemeinsam mit Leuten
Filme zu gucken.
Heute ist Ihre erste Vorstellung. Wie sehen das Konzept und das Programm
jetzt aus?
Wir starten mit den drei Gewinnern des Preises der deutschen Filmkritik. Um
die Filme zu sehen, muss man auf unsere Webseite „Lodderbast.de“ gehen. Und
man muss pünktlich kommen: Der Stream läuft als Echtzeitveranstaltung. Da
kann man nicht auf Pause oder Stopp schalten. Alle Sendungen werden
kostenlos sein, aber die Leute bekommen die Gelegenheit zu spenden. Wenn
200 Leute online sind und jeder gibt einen Euro, ist das mehr als genug.
Wie ist die weitere Planung?
Den März haben wir komplett durchgeplant. Meist zeigen wir die Filme von
Donnerstag bis Sonntag, aber das hängt auch davon ab, wann die
Filmemacher*innen für die Gespräche Zeit haben. An jedem Sonntag
zeigen wir einen Film mit Dinosauriern, denn wir arbeiten jetzt wieder mit
dem Landesmuseum Hannover zusammen, und die haben im Maschpark eine
Ausstellung mit dem Titel „Kinosaurier“. Als ersten Film zeigen wir an
diesem Sonntag „Pulgasari“ aus Nordkorea. Das ist ein trashiger
Monsterfilm mit ein bisschen Propaganda. Und als Gast haben wir Uwe
Schmelter eingeladen: einen Cineasten und anerkannten Nordkorea-Experten,
der jahrelang die Goethe-Institute in Südostasien geleitet hat.
Aber reicht das denn längerfristig finanziell?
Wir können nichts planen, also machen wir das Onlinekino solange, wie wir
und die Leute Lust daran haben. Wenn es abebbt, etwa weil die anderen Kinos
wieder aufmachen dürfen, wir aber noch nicht, machen wir vielleicht den
Imbiss wieder auf
8 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.lodderbast.de
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Kino
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Pandemie
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