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# taz.de -- Urteil zu „Estonia“-Recherche: Bedingter Freispruch
> Recherchen über den Untergang der Fähre „Estonia“ brachten zwei
> schwedische Journalisten vor Gericht. Geklärt ist die Angelegenheit noch
> nicht.
Bild: 852 Menschen gingen mit der Fähre Estonia unter, das Wrack liegt in 60 M…
Die schwedischen Journalisten Henrik Evertsson und Linus Andersson wurden
am Montag vom Amtsgericht in Göteborg von einer Anklage freigesprochen,
ohne dass die eigentliche Streitfrage des Verfahrens geklärt worden wäre:
Haben sie mit ihren Recherchen für einen Dokumentarfilm die Totenruhe
gestört?
Ein nicht gerade alltäglicher Vorwurf, weshalb das Verfahren auch über
Schweden hinaus Aufmerksamkeit geweckt hatte. Evertsson und Andersson
[1][recherchierten 2019 zu den Ursachen des Untergangs der Fähre „Estonia“
im Jahre 1994]. Ein Detail ihrer Recherchen rief die Staatsanwaltschaft auf
den Plan: Mithilfe eines Tauchroboters wurden Unterwasseraufnahmen vom
„Estonia“-Wrack gemacht, das in rund 60 Metern Tiefe auf dem Boden der
Ostsee liegt.
Doch das ist strafbar. Den Ort um das Fährschiff, mit dem durch die
schwerste europäische Schiffskatastrophe seit dem 2. Weltkrieg 852 Menschen
untergegangen waren, haben Schweden, Finnland und Estland nämlich [2][durch
ein „Estonia-Gesetz“ zu einer Grabstätte erklärt]. Tauchen ist dort
grundsätzlich verboten.
Im Herbst 2020 erhielten die beiden Journalisten deshalb eine Anklage wegen
Störung der Totenruhe. Es drohte eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren.
Skandinavische Journalistenverbände und [3][die Europäische
Journalistenföderation EFJ] protestierten: Investigativer Journalismus
dürfe nicht kriminalisiert werden. Die Recherchen hätten im Interesse der
Allgemeinheit stattgefunden.
## Neue Untersuchung
Was nicht zuletzt die Reaktion beweise, die der Film ausgelöst habe. Die
„verbotenen“ Aufnahmen zeigen nämlich ein bislang so nicht bekanntes Loch
im Schiffsrumpf. Die Regierung Estlands stellte vergangene Woche 3
Millionen Euro für eine neue offizielle Untersuchung bereit. Ohne die
Filmaufnahmen wäre das nicht geschehen.
Evertsson und Andersson wurden jetzt allein deshalb freigesprochen, weil
die Tauchaktion von Bord eines in Deutschland registrierten Schiffs aus
gemacht worden war. Damit sei deutsches Recht maßgeblich. Und Deutschland
hat als einziger Ostseeanrainer das „Estonia-Gesetz“ nicht übernommen.
Vermutlich wird das Urteil nicht das letzte Wort in der Sache sein. Seine
Auslegung des „Estonia“-Gesetzes würde eine Verletzung der Totenruhe allein
von der Flagge des Schiffs abhängig machen, von dem aus eine Handlung
vorgenommen wird. Die Staatsanwaltschaft dürfte eine Grundsatzentscheidung
durch den Obersten Gerichtshof anstreben.
Der hatte 2015 in einem ähnlichen Fall schon einmal über die Grenzen
journalistischer Recherchen zu entscheiden gehabt. Damals wurden der
Chefredakteur und zwei Journalisten der Tageszeitung Expressen wegen
Verstoß gegen das Waffenrecht zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten im
Rahmen von Recherchen zum Waffenhandel illegal einen Revolver gekauft,
diesen danach aber sofort der Polizei übergeben.
Für JournalistInnen gilt kein Sonderrecht, ganz gleich mit welchen Motiven
sie geltendes Recht brechen, entschied der Oberste Gerichtshof: Ihre Motive
könnten allenfalls bei Schuldfrage und Strafzumessung berücksichtigt
werden.
8 Feb 2021
## LINKS
[1] /25-Jahre-Faehrschiff-Inferno-Estonia/!5607660
[2] https://lagen.nu/1995:732
[3] https://europeanjournalists.org/blog/2020/10/16/sweden-two-journalists-pros…
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Estonia
Pressefreiheit in Europa
Ostsee
Schwedendemokraten
Estonia
Schadensersatz
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