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# taz.de -- Brief an einen alten weißen Freund: „Wir haben doch viel Glück …
> Eine alte weiße Frau schreibt einen Brief an einen alten weißen Mann und
> Freund – der nach rechts driftet und den das Altmänner-Bashing nervt.
Bild: Vielleicht landet unsere Autorin dort auch mal: Bei den Omas gegen Rechts
Lieber Winfred,
der Abend neulich mit uns beiden ist in die Hose gegangen, ich habe mich
hinterher mies gefühlt. Dabei hatte ich mich darauf gefreut, Dich nach
längerer Zeit mal wiederzusehen. Ich bin jetzt, mit gut über 60, in dem
Alter, in dem man froh ist, wenn möglichst viele von früher noch leben.
Wir beide hatten ja früher nicht nur unsere Affäre, die ohne Blessuren
endete, sondern redeten auch ständig über Politik. Ich erinnere mich noch,
wie wir mit Deiner Moto Guzzi zur Anti-Reagan-Demo fuhren.
Nato-Doppelbeschluss, 80er Jahre. Wir hielten uns auf der Demo
Taschentücher vor Mund und Nase, mit Zitronensaft getränkt, das sollte
gegen das Tränengas helfen. Du hast in einem Brief an die Bundesregierung
gegen das Wettrüsten protestiert. Dann, in einem besetzten Haus, hielten
wir bei null Grad zusammen Nachtwache. Wir waren beide links und lustig.
Wir spielten in einer Band, Neue Deutsche Welle, ich textete: „auch das
Mittelmaß macht Spaß“. Cool, eigentlich.
Jetzt sind wir beide alt, Du und ich. [1][Du bist ein alter weißer Mann]
und ich eine alte weiße Frau. Eigentlich wird immer uns alten Frauen
nachgesagt, wir müssten todunglücklich sein mit dem Altwerden, von wegen
Falten und gesellschaftliche Unsichtbarkeit und so. Aber ich habe
inzwischen andere Probleme, die Lebenszeit ist begrenzt, Tote sind zu
beklagen, und ich habe keine Zeit mehr, mich mit jedem Quatsch zu
beschäftigen.
Bei Dir allerdings, da verstehe ich was nicht. [2][Du hast doch alles, was
Du wolltest]: Erfolgreiche Firma, ein Haus in Lichterfelde, zweite Frau,
eine zweite Schicht Kinder (Du weißt, dass ich die Althengst-Nummer ein
bisschen verachte, aber egal). Warum stehst Du jetzt so unter Druck?
Warum lässt Du jetzt diese Sprüche los, von wegen dass das alles schwer
übertrieben sei in den öffentlichen Debatten, mit den Gendersternchen, mit
dem Schwulen-Lesben-Trans-Gerede, dass manche Leute überall nur noch
Rassismus witterten, dass der Islam als Religion hochgefährlich sei und
immer viel zu viel vom Staat erwartet würde, dass Immobilienbesitzer als
die letzten Schweine verhetzt würden?
Dann hast Du behauptet, die Migranten seien besonders lax mit den
Coronaregeln, neulich seist Du U-Bahn gefahren und da hatten wieder mal
drei türkische Jungs keine Masken auf, typisch sei das gewesen. „Aber das
darfst Du nicht laut sagen“, meintest Du, „sonst giltst Du als
[3][missmutiger alter weißer Mann]. Alter weißer Mann! Mit diesem Klischee
bist Du erledigt.“
Ich hab natürlich dagegengehalten. Ich hab an diesem Abend für uns beide
gezahlt, das war mir wichtig und wir sind früh auseinandergegangen. Danach
war ich sauer und traurig.
Denn eigentlich hattest Du immer auch großzügige und kluge Seiten gehabt.
Für die Flüchtlingsfamilie, die Gesine betreute, hast Du viel gespendet.
Nach meinem Unfall hast Du mir Blumen ins Krankenhaus geschickt. Du hattest
Auschwitz besucht, genau wie ich, das Thema Nationalsozialisten in der
Familie, das war und ist ein großes Thema gewesen. Du hast viele
ausländische Bekannte, auch durch den Job. Dein Sohn hat eine
indischstämmige Freundin.
Klar bist Du ein alter weißer Mann. Und ich will nicht verhehlen, dass das
Bashing alter weißer Männer auch einen Hauch Schadenfreude bei mir
hervorruft, vielleicht, weil ich die Exklusion wegen Alters als Frau schon
kenne. Aber deswegen fühle ich mich auch unwohl damit. Denn Alten-Bashing
und Weißen-Bashing und Hetero-Bashing ist Biodiskriminierung. Leute
pauschal zu dissen wegen Persönlichkeitsmerkmalen, die unveränderbar zu
ihnen gehören, also na ja. Da wird ein Spieß umgedreht.
Ich empfinde als alte weiße Frau diesbezüglich also sogar eine gewisse
Solidarität mit Dir, Winfred, als alter weißer Mann. Obwohl ich
wahrscheinlich andere Alterskonzepte habe als Du. Wahrscheinlich werde ich
irgendwann bei den „Omas gegen Rechts“ andocken und an sonnig-kalten Tagen
auf der Straße Stolpersteine putzen, eine coole Beanie auf dem Kopf. Ein
Bild, das mir gut gefällt.
Irgendwie denke ich immer noch, Deine fixe Idee mit den Migranten, die an
allem schuld sein sollen, und Dein Verfolgungswahn als alter weißer Mann,
davon wirst Du auch wieder loskommen. Wir haben doch viel Glück gehabt im
Leben. Vielleicht sind die andern jetzt auch mal dran, auch die Jüngeren.
Vielleicht ist es auch eine Entlastung, nicht mehr so viel reden zu müssen.
Also Winfred, vielleicht kommen wir wieder zueinander. Vielleicht auch
nicht.
Wir sprechen uns wieder, aber nicht vor Herbst.
Herzliche Grüße
Barbara
1 Mar 2021
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## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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