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# taz.de -- Regierungskoalition in Österreich: Der Verrat der Grünen
> In einem Streit mit dem Koalitionspartner um die Abschiebung von
> Schülerinnen stimmen die Grünen nicht für eine Rückholung. Das verstört
> viele.
Bild: Protest gegen die aktuellen Abschiebepolitik der Regierung am 28.01.2021 …
Wien taz | Österreichs Grüne haben sich einmal mehr öffentlich gedemütigt.
In einer Sondersitzung des Nationalrats haben sie Donnerstagnachmittag
gegen ihre zuletzt heftig manifestierten Überzeugungen gestimmt, um die
Koalition mit der konservativen ÖVP nicht zu gefährden. Die SPÖ hatte
beantragt, drei Schülerinnen und einen Lehrling, die [1][vergangene Woche
nach Georgien beziehungsweise Armenien abgeschoben worden waren], zurück zu
holen und den gesetzlichen Rahmen für humanitäres Bleiberecht neu zu
definieren.
In der von der FPÖ einberufenen Sondersitzung kulminierten die Spannungen
zwischen den Koalitionspartnern, deren [2][Positionen in Sachen Migrations-
und Fremdenrecht] weit auseinander liegen. Zuständig für diese Agenden sind
Minister der ÖVP, die immer wieder klar gemacht haben, dass sie von ihrer
Haltung keinen Millimeter abzuweichen gewillt sind. Dazu gehört auch das
Abschieben von gut integrierten Menschen, von denen viele als Arbeitskräfte
dringend gebraucht werden.
Anlass für den Konflikt war Ende Januar die Abschiebung von in Österreich
geborenen Mädchen, die das Heimatland ihrer Eltern nicht kannten.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte sich auf eine letztinstanzliche
Entscheidung der Asylgerichtsbarkeit berufen. Nicht abzuschieben wäre
Amtsmissbrauch gewesen, so sein Argument.
Die meisten Juristen sehen den abschlägigen Asylbescheid hingegen als
Erlaubnis zur Abschiebung, nicht als bindenden Auftrag. So auch die
Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper während der Sondersitzung: „Kein Gesetz
der Welt hat Sie zu dieser Abschiebung gezwungen!“ Auch die Neos
unterstützte den Antrag der SPÖ, der gleichlautend wenige Tage vorher im
Wiener Rathaus von SPÖ, Neos und Grünen beschlossen worden war. Er fordert
auch die Einbeziehung der Länder und Gemeinden in Entscheidungen über
humanitäres Bleiberecht. Dort, wo Asylwerber leben, werden oft andere
Kriterien berücksichtigt, als auf Bundesebene.
## Drohender Kollaps der Koalition
Nehammer hatte die Grünen besonders erzürnt, weil er am Vorabend der
Abschiebung noch versprochen hatte, sich den Fall anzuschauen. Gleichzeitig
ließ er die Antiaufruhreinheit WEGA samt Hundestaffel aufmarschieren und
zog die Außerlandesbringung gegen den zivilen Widerstand Dutzender
Demonstranten – darunter auch Abgeordnete der Grünen – durch.
Sie hätten also gute Lust gehabt, den aus einem ganz anderen Grund gegen
Nehammer eingebrachten Misstrauensantrag der FPÖ zu unterstützen. Der
eigentliche Anlass für Sondersitzung und Misstrauensantrag war das
polizeiliche Verbot von Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen am
vergangenen Wochenende.
Noch am Abend vor dem Plenum waren mehrere Grünen-Abgeordnete bereit, den
umstrittenen Antrag mitzutragen. [3][Fraktionschefin Sigrid Maurer] hatte
der ÖVP im Fernsehen einen „Kurs der Kälte“ vorgeworfen und die
Abschiebungen als Ablenkungsmanöver von Skandalen der größeren
Regierungspartei bezeichnet. In den Medien orakelte man über einen
bevorstehenden Kollaps der Koalition.
In einer abendlichen Sitzung am Mittwoch, an der auch Vizekanzler Werner
Kogler teilnahm, der mit Kanzler Sebastian Kurz telefonierte, wurde dann
eine einheitliche Linie beschlossen. Einziges Zugeständnis der ÖVP: Es wird
eine Kommission einberufen, die in strittigen Asylfällen über die Wahrung
der Kinderrechte wachen soll. Dass das ein erster Schritt zu einer
Aufweichung des über ein Vierteljahrhundert schrittweise verschärften Asyl-
und Fremdenrechts ist, kann angesichts der Politik der ÖVP nicht erwartet
werden.
Entsprechend kühl war die Stimmung bei der Sondersitzung. Kein einziges
Kabinettsmitglied der Grünen nahm auf der Regierungsbank Platz und die
Abgeordneten verweigerten den Rednern der ÖVP den Applaus. Dennoch wurde
der Misstrauensantrag der FPÖ mehrheitlich abgelehnt und der Antrag der SPÖ
fand keine Mehrheit.
4 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ralf Leonhard
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