# taz.de -- Aschermittwoch und Corona: Asche auf unsere Häupter | |
> Fehler in der Pandemiebekämpfung einzugestehen ist gerade in – auch | |
> jenseits des Aschermittwochs. Doch betrifft das nur Politiker? | |
Bild: Das so aufgemalte Aschekreuz muss in diesem Jahr wegen Corona ausfallen, … | |
Michael Müller könnte an seinem Timing noch arbeiten. Jedenfalls, wenn es | |
um Reue und Schuldeingeständnisse geht. Schon vor sechs Tagen hat der | |
Regierende Bürgermeister von der SPD Fehler in der Coronabekämpfung | |
eingestanden – dabei steht der ideale Termin dafür erst diese Woche im | |
Kalender an: Aschermittwoch, im Kirchlichen wie im Weltlichen Sinnbild von | |
Umkehr und Buße. In den Kirchen kann man sich dazu in normalen Zeiten vom | |
Pfarrer mit Asche ein Kreuz auf die Stirn zeichnen lassen. In kontaktlosen | |
Coronazeiten hat der Vatikan empfohlen, die Asche auf den Kopf zu streuen – | |
ganz im klassischen Sinne von „Asche über mein Haupt“. | |
Es sei falsch gewesen, im Herbst nicht strengere Coronamaßnahmen | |
beschlossen zu haben, räumte Müller bei seinem Schuldeingeständnis im | |
Abgeordnetenhaus ein. Viel zu riskieren hatte er dabei allerdings nicht, | |
weder ewige Verdammnis noch politische Steinigung. | |
Denn ein Vorreiter bei einem solchen „mea culpa“ zum laxen Lockdown light | |
war zuvor glimpflich – gewissermaßen auch „light“ – davongekommen. Bodo | |
Ramelow von der Linkspartei, Müllers Ministerpräsidentenkollege aus | |
Thüringen, hatte bereits Anfang Januar eingeräumt, er habe falschgelegen, | |
als er sich Ende Oktober gegen die Bundeskanzlerin stellte, die damals | |
härtere Maßnahmen forderte. Das kam weitgehend gut an – es führe „heraus | |
aus einem Wettstreit der Rechthaber, den niemand braucht“, kommentierte | |
beispielsweise die Süddeutsche Zeitung wohlwollend. | |
Ganz weit vorauseilend hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der | |
CDU schon in Coronafrühzeiten mögliche Fehler vorab eingestanden: Bereits | |
im April 2020 sagte er im Bundestag: „Wir werden in ein paar Monaten | |
wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Das war schon fast genial: | |
Was auch immer passieren sollte, Spahn konnte und kann sich immer wieder | |
selbst zitieren. Wobei einzuräumen ist: Corona war und ist Neuland, wo viel | |
neu zu entscheiden und zu machen ist – und wer viel macht, macht fast | |
zwangsläufig auch mal was falsch. | |
Im Rheinland war's stets der Nubbel | |
Es wirkt dabei allemal sympathischer, sich selber Asche aufs Haupt zu | |
streuen, statt sich einen Sündenbock zu suchen. Der am Aschermittwoch zu | |
Ende gehende rheinische Karneval, obwohl in einer katholischen Hochburg zu | |
Hause, hat dafür eine ganz besondere Form parat, die in keinem Katechismus | |
auftaucht: den Nubbel. | |
Das ist eine Strohpuppe, die in der Nacht zum Aschermittwoch oder auch erst | |
am Tag selbst verbrannt wird, samt all der ihr angehängten Vergehen und | |
Versäumnisse. Nach der Prunksitzung fremdgegangen? „Der Nubbel hat Schuld“, | |
antwortet im Chor die Menge, die diese Verbrennung in kontaktfreudigeren | |
Zeiten begleitet. Das letzte Geld im kölschen Brauhaus versoffen? „Der | |
Nubbel hat Schuld.“ Das ist zwar tierfreundlicher, als – wie | |
alttestamentarisch im dritten Buch Mose beschrieben – einen Bock beladen | |
mit Sünden in die Wüste zu schicken, hilft aber gegen die Pandemie auch | |
nicht weiter. | |
Ohne Nubbel bleibt Müller, Ramelow, Spahn und Kollegen also nur die | |
Selbstbezichtigung. Drei Politiker, die sich selbst Asche übers Haupt | |
streuen oder streuen lassen – und dazu vielleicht in diesen Tagen sogar in | |
einer Kirche vorbeischauen: Müller und Ramelow, der Anfang 2016 sogar eine | |
Privataudienz beim Papst hatte, sind Protestanten, Spahn ist Katholik, wenn | |
auch nicht immer leichten Herzens. „Die Kirche ist ein Teil von mir, auch | |
wenn sie mich manchmal ärgert“, war von dem CDU-Mann vergangenes Jahr zu | |
hören. Doch dürfen sich Reue, Umkehr, Schuldeingeständnis auf führende | |
Politiker beschränken? Jeder und jede dürfte in den zurückliegenden zwölf | |
Berliner Monaten coronamäßig Fehler gemacht, nicht immer alle Vorgaben | |
eingehalten oder auch mal laut getönt oder leise gedacht haben, das sei | |
alles übertrieben. Das kann die Reise sein, die nicht hätte sein müssen, | |
das kann auch das Abhängen in Massen am Landwehrkanal gewesen sein, von dem | |
Müller und Co. dringend abrieten. | |
Und bei Menschen, die tatsächlich immer alles richtig gemacht, Abstand | |
gehalten, in die Armbeuge gehustet, die Hände desinfiziert haben, war es | |
vielleicht ein zu pharisäerhafter Tonfall beim Ermahnen anderer, der im | |
Nachhinein zumindest überdenkenswert ist. Kurzum: Corona hat für reichlich | |
Gründe gesorgt, sich Asche aufs Haupt zu streuen, egal ob bildhaft oder in | |
echt. | |
In den christlichen Kirchen ist dieser Aschermittwoch übrigens der Auftakt | |
zur vorösterlichen Fastenzeit. Die führt zwar Anfang April am Karfreitag | |
erst zum grausigen Moment der Kreuzigung, am Ostersonntag aber dann eben | |
zur Erlösung. Übertragen auf weltliche Coronazeiten hieße das: Es wird noch | |
einmal hart, aber danach steht die Glückseligkeit zumindest in Aussicht. | |
17 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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