Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutschland und die Verschlossenheit: Auf, zu, auf, auf, zu
> Deutschland ruft nach Öffnungsstrategien. Unsere Autorin will auch, dass
> wir endlich aufmachen, aber an ganz anderer Stelle.
Bild: Braune Wand, Rollladen runter: Deutschland weiß, wann es dichtmacht und …
Es geht viel ums Öffnen gerade. Auch ich öffne das Internet oder eine
Zeitung und [1][lese von Öffnungsstrategien]. Deutschland möchte nach einer
Zeit der Abgeschlossenheit endlich wieder raus, beziehungsweise rein, durch
Türen, die nicht in die eigene Wohnung oder an den Arbeitsplatz führen,
sondern in Bars, in Restaurants, in Fußballstadien, in Museen und Theater.
Orte, an denen wir vorher nicht genau wissen, was uns erwartet.
Ich vermisse das auch, wenn ich zum Beispiel eine Dosensuppe öffne oder
meinen Briefkasten. Vielleicht ist die Sehnsucht nach Öffnung gerade noch
größer, weil es so bitterkalt ist, dass man die Fenster kaum noch länger
als fünf Minuten aufmachen mag.
Wenn Politiker:innen ein Gespräch über Öffnungen fordern, geht das
meist nur mit Verweis auf das „normale“ Leben. Die Botschaft lautet, man
will wieder zurück dorthin, wo wir vorher waren, natürlich kontrolliert und
mit Plan. Wie absurd das Wort „Öffnungsstrategie“ klingt, wenn es gar keine
richtige Schließungsstrategie gab. Wie absurd es klingt, zurück ins Vorher
gehen zu wollen, wenn das Nachher unausweichlich ist.
Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein sehr verschlossenes Land.
Verschlossen sind zum Beispiel die meisten Hotels für Obdachlose im Winter.
Außerdem hätten viele gern, dass dieses ganze Kapitel Nationalsozialismus
endlich abgeschlossen ist – ist ja lange her und wir hatten das ständig in
Geschichte und so.
## Alles zu
Auch verschlossen: Die [2][NSU-Akten]. (Außen-) Grenzen. Notausgänge. Und
die Türen, hinter denen sich Männer allmorgendlich auf ihre Macht fläzen
wie auf das Ledersofa, auf dem sich bereits eine perfekt geformte Kuhle für
ihr Gesäß gebildet hat. Zu.
Offen hingegen sind Büros und Fabriken. Offen sind allerlei Ausnahmen für
diejenigen, die mit dem nötigen Geld dafür bezahlen. Selbstverständlich
geöffnet sein sollen die Lebensgeschichten derer, die auf finanzielle
Unterstützung vom Staat angewiesen sind und solcher mit Migradingsbums.
Sie sollen so offen sein, dass sie beinahe durchsichtig werden. Viele haben
so oft erklärt, woher sie kommen, dass sie vergessen haben, wohin sie
wollen. Sie legen ihre Biografien in Schnellheftern auf Schreibtische oder
schmettern sie euch ins Gesicht. Egal ob höflich oder wütend, für die
Empfänger:innen alles Nuancen von Storytelling. Derweil öffnen
Gerichtsmediziner:innen die Körper der Opfer des Anschlags von
Hanau, während deren Angehörige nicht um Erlaubnis gefragt wurden.
Auf, zu, auf, auf, zu, auf, das wirkt fast beliebig, ist es aber nicht.
Deutschland hat schon sehr lange eine Schließungsstrategie für all die
Dinge, die man eben unter Teppiche kehrt: Was Schatten wirft, soll weg.
Wenn jetzt also von Öffnungsstrategie gesprochen wird, dann kann ich nicht
anders, als an die unrechtmäßig weggeschlossenen Dinge zu denken. Wenn wir
über Öffnungen sprechen, warum nicht hier anfangen?
17 Feb 2021
## LINKS
[1] /Lockdown-Plaene-fuer-Kitas-und-Schulen/!5751636
[2] /Kulturprojekt-gegen-NSU-Schlussstrich/!5746482
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Kolumne Poetical Correctness
Schule und Corona
Vergangenheitsbewältigung
Kolumne Poetical Correctness
Covid-19
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Diskurse in der Krise: Wege aus der Gelatine
Die soziale, die ökologische, die pandemische, die diskursive Krise – alle
brauchen eine neue Ehrlichkeit. Denn die Sprache hat sich abgenutzt.
Grenzschließungen in der Pandemie: Sachsen und Bayern schotten sich ab
Die Grenzen zu Tschechien sind bereits dicht. Nun erklärt Sachsens
Landeschef Kretschmer, auch über Ostern werde es Reiseverbote geben.
Öffnungsdebatte im Landesparlament: Nicht so einfach zu erklären
Friseure ja, Kosmetikstudios nicht? Das Abgeordnetenhaus stimmt den
jüngsten Coronabeschlüssen des Senats ohne Änderung zu.
Kulturprojekt gegen NSU-Schlussstrich: Mit Kultur gegen das Vergessen
Die ersten rechtsterroristsichen NSU-Morde sind 20 Jahre her. Das
bundesweite interdisziplinäre Projekt „Kein Schlussstrich“ soll daran
erinnern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.