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# taz.de -- Der Ethikrat: Die unerbittlich Positiven
> Darf man die Glücklichen langweilig finden oder ist das mäßig gut
> getarnter Neid? Der Ethikrat ist zu sehr mit sich selbst befasst, um zu
> helfen.
Bild: Kurz hatte es den Anschein, als schlüge das Herz des Ethikrats für die …
Kürzlich zog ich eine Postkarte aus dem Briefkasten, mit der mich der
Ethikrat zu einem philosophischen Spaziergang einlud. Der Ethikrat besteht
aus drei älteren Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich
[1][Handreichungen in Sachen praktischer Ethik geben]. Die Postkarte zeigte
eine Schwarz-Weiß-Ansicht der Kaiservilla in Bad Ischl und ich fragte mich,
ob der Rat einen geheimen Hang zur Donaumonarchie pflegte. Bislang hätte
ich bei ihm Sympathien wahlweise für Anarchie oder Preußen vermutet, aber
wer kennt schon das Herz des Ethikrats.
Der Rat hatte als Treffpunkt einen Pavillon im Stadtpark vorgeschlagen und
als ich in die Allee einbog, die dorthin führt, sah ich ihn ein paar
Schritte vor mir gehen. Eines der beiden Mitglieder, die nie etwas sagten,
wandte sich gerade an den Vorsitzenden: „Wir sind bereit, diesen Weg
mitzugehen“, sagte es, „aber es sollte eine Perspektive für uns geben.“
„Nun“, begann der Vorsitzende, und ich versuchte sehr, sehr leise zu gehen,
denn ich wollte dringend wissen, ob die mangelnde Perspektive das
berufliche Fortkommen der beigeordneten Ratsmitglieder betraf oder die
ausbleibenden philosophischen Fortschritte von SchülerInnen wie mir. Aber
da stolperte ich über einen Ast und der Ethikrat wandte sich zu mir um.
„Fast hätte ich Sie eingeholt“, sagte ich, um irgendetwas zu sagen. „Ich
habe mich sehr über die Einladung gefreut. Waren Sie einmal zu Gast in Bad
Ischl?“ – „Wir sind gelegentlich Gäste des dortigen Boogie Festivals“,
sagte der Ratsvorsitzende, aber er schien nicht gewillt, ausführlicher zu
werden. „Spielen Sie selbst ein Instrument?“, fragte ich, denn bislang
hatte ich nur weihnachtliches Flöten vom Rat gehört.
## „Es ist nie zu spät, neue Wege zu beschreiten“
Zu meiner Überraschung zog einer der Beiräte eine Klaviatur aus Filz aus
der Tasche, in der er gewöhnlich eine philosophische Handbibliothek mit
sich führte. „Es ist nie zu spät, neue Wege zu beschreiten“, sagte der
Beirat und schien im Begriff, die Klaviatur auf der Tasche auszubreiten,
aber der Vorsitzende unterbrach ihn: „Dies ist nicht der geeignete
Zeitpunkt.“ Er wandte sich zu mir: „Haben Sie eine philosophische Frage
mitgebracht?“
Es war deprimierend, den Ethikrat uneins zu sehen, denn seine kollegiale
Harmonie hob sich angenehm von meiner ewigen Grämlichkeit ab. Ich hatte auf
dem Weg versucht, eine Frage von Format zu finden, aber mein Leben gab
derzeit nur ein Panoptikum des Scheiterns her, das nicht einmal eine
aufregende Fallhöhe bot.
Es ging damit einher, dass ich die Gesellschaft der unerbittlich Positiven
mied, denn die Gespräche mit ihnen endeten in Schweigen oder aber in
Potemkin’schen Dörfern von Schönem und Vielversprechendem, das ich
zusammenklaubte, um dem Gebirge des Gelingens irgendetwas entgegenzusetzen.
„Tolstoi schrieb, dass sich alle glücklichen Familien ähnelten, nur die
unglücklichen unterschieden sich“, sagte ich, um der Frage einen
literarischen Unterbau zu verschaffen. Schließlich verstand sich der
Ethikrat nicht als therapeutische Aushilfe. „Und ist es nicht so, dass
eigentlich nur das Unglück kommunikativ ergiebig ist? Was soll man schon
sagen, wenn der andere einem den Fächer seines wunderbaren Lebens
entblättert – so etwas wie Rede und Gegenrede, also ein gemeinsames
Nachdenken kann es doch nur geben, wenn man sich gemeinsam an einer Frage
abarbeitet.“
## Den Glücklichen ausweichen
Ich schaute den Ratsvorsitzenden an, aber der beachtete mich nicht, weil er
zusah, wie das üblicherweise schweigende Ratsmitglied seine Filzklaviatur
auf einer Parkbank ausbreitete. „Meide ich die Glücklichen, weil ich sie
beneide oder weil sie langweilig sind?“, hätte ich fragen können, aber die
Gleichgültigkeit des Vorsitzenden erbitterte mich.
„Warum ist der Redeanteil in Ihrem Gremium so ungleich verteilt?“, fragte
ich stattdessen. „Folgen Sie einer strikten Hierarchie?“. Der Vorsitzende
lächelte unergründlich. „Vielleicht wollen Sie den Swanee River Boogie
vortragen“, sagte er zu seinem Kollegen, und der begann auf der
Filzklaviatur zu spielen, während der Vorsitzende mit dem Fuß im Takt
wippte.
14 Feb 2021
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## AUTOREN
Friederike Gräff
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Philosophie
Glück
Ethik
Kolumne Ethikrat
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